# taz.de -- Investorenfußball in Hannover: Erhebliche Zweifel an Kind
       
       > Der Klubboss von Hannover 96 will das alleinige Sagen haben. Stimmt der
       > Ligaverband dem zu, verstößt er gegen die eigenen Kriterien.
       
 (IMG) Bild: Mehr als umstritten: Martin Kind kommt bei den Ultras von Hannover 96 nicht wirklich gut an
       
       BERLIN taz | Martin Kind verkehrt gerne im Großburgwedeler Kokenhof, dort,
       „wo Tradition auf Moderne trifft“. So zumindest steht es auf der
       Internetseite. Dem Hörgerätehersteller gehört das umfassend sanierte
       Fachwerkgebäude, das seit über 450 Jahren besteht. Von außen besehen prägen
       klassische, rote Backsteine und dicke, dunkelbraune Holzbalken das Hotel,
       innen wirkt dem die helle Innenausstattung entgegen, modern eben. Robust
       steht der Kokenhof da – so wie auch Martin Kind, der trotz seiner 73 Jahre
       fit wirkt.
       
       Kind ist drahtig gebaut, er hat wache Augen. Nur auf dem Kopf wächst nicht
       mehr viel, aber das ist schon länger so. Wenn Kind spricht, klingt er
       ausgeglichen, bedächtig fast. Am Ende aber bringt er die Dinge auf den
       Punkt. „Fußballklubs sind Wirtschaftsunternehmen“, ist so ein typischer
       Kind-Satz. Weil er so unverblümt spricht, ist Kind einer der meistgehassten
       Männer im deutschen Fußball. Und: Weil er die Moderne reinholen will, so
       wie beim Kokenhof.
       
       Nur geht es diesmal um Hannover 96, einen Klub, den Kind so regiert wie
       seine Hörgerätefirma: Erfolgreich, aber eisern – gar diktatorisch. Finden
       jedenfalls seine Kritiker. Derzeit strebt Kind auch formell nach der
       Alleinherrschaft im Hannoveraner Profifußball. Bei den 96-Fußballfans, die
       irgendwie auch mitbestimmen wollen, kommt das ziemlich schlecht an.
       Stimmungsboykott im Stadion, Kind-muss-weg-Plakate, sogar Morddrohungen
       soll es gegeben haben. Ihr Credo: Gegen den modernen Fußball, gegen Martin
       Kind.
       
       Für die traditionellen Fußballwerte steht Reinhard Grindel ein, der
       DFB-Präsident, zumindest offiziell. Grindel gibt sich als Versteher der
       Basis und der Fans, und er schreibt offene Briefe wie den vom 16. August:
       „Wir haben verstanden, dass es um mehr geht. Der Fußball in Deutschland
       steht auch für Stehplätze, faire Eintrittspreise und die 50+1-Regel. Der
       DFB meint es mit dem Angebot zum Dialog ernst.“ Die spannende Frage lautet
       nun: Wie ernst meint Reinhard Grindel das wirklich? Steht er für Tradition,
       für Moderne, für beides? Wohin und wie will Grindel den deutschen Fußball
       steuern?
       
       ## Die Regel als Religion
       
       Der Fall [1][Hannover 96] könnte darüber bald Aufschluss geben. Es geht um
       die 50+1-Regel. Sie schützt die Fußball-Profibetriebe vor einem zu großen
       Einfluss von Investoren. Praktisch heißt das: Der Mutterverein (e.V.) muss
       über mindestens 51 Prozent der Stimmen am ausgegliederten Profibetrieb
       verfügen, die Investoren dürfen maximal 49 Prozent halten. So ist
       garantiert, dass der e.V. die vollständige Entscheidungsmacht hat.
       
       Die Investoren, die gerade Fußballromantikern in etwa so schmecken wie
       warmes Bier und kalte Stadionwurst, können so viel Kapital in einen
       Profibetrieb stecken, wie sie wollen; die strategische Ausrichtung bestimmt
       immer die vom e.V. bestellte Geschäftsführung. 50+1 wirkt wie ein
       Artenschutzgesetz, das den e.V., der im Grunde genommen ein
       urdemokratisches Wesen ist, vor singulärer Finanzherrschaft schützt.
       
       Dass die 50+1-Regel, eine deutsche Besonderheit, gewahrt bleibt, ist eine
       Kernforderung der Fanszene. Höchstes bestimmendes Organ soll die
       Mitgliederversammlung sein. Allen voran die Ultra-Bewegung, wo meist die
       treuesten Klub-Anhänger zu finden sind, fürchtet aber, dass die Deutsche
       Fußball-Liga (DFL) und der DFB zunehmend Investoren-freundlicher werden
       könnten. Aus Gründen einer erhöhten internationalen Wettbewerbsfähigkeit
       etwa, damit die Bundesliga nicht völlig den Anschluss an einen von Scheichs
       und Oligarchen dominierten Transfermarkt verliert, wo Spieler wie der
       Brasilianer Neymar mittlerweile für 222 Millionen Euro den Klub wechseln.
       Wie die Interessen in den mächtigen Verbänden gelagert sind, darüber
       entscheidet der Fall Hannover 96.
       
       [2][Hörgerätehersteller] Martin Kind will das alleinige Sagen über die
       ausgegliederte Profifußballabteilung – die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA –
       haben. Eine Sonderregel, die Kind selbst 2011 bei der DFL erwirkt hat,
       erlaubt ihm dies theoretisch. Seither gilt: Eine Ausnahme der 50+1-Regel
       ist dann möglich, wenn die Übernahmepartei (im konkreten Fall: Martin Kind)
       den Fußballsport des Muttervereins seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen
       und erheblich gefördert hat. So jedenfalls steht es in der [3][Satzung von
       DFL und DFB].
       
       Zuvor galt die sogenannte Stichtagsregelung. Nur Klubs, in denen bereits
       vor dem Stichtag 1.1.99 Investoren das Sagen hatten, durften bis 2011 die
       50+1-Regel umgehen. De facto hieß das: Außer dem VfL Wolfsburg (100 Prozent
       VW) und Bayer 04 Leverkusen (100 Prozent Bayer) durfte keine deutsche
       Mannschaft fremdbestimmt werden. Ein Nachteil, der den Wettbewerb verzerre,
       sei das, argumentierte Kind stets. Kein anderes deutsches Team könne
       schließlich ein so investorenfreundliches Umfeld wie Wolfsburg und
       Leverkusen bieten – wodurch ein gewaltiges, monetäres Ungleichgewicht
       bestünde.
       
       Kind will nun auch in Hannover ein Wolfsburger Umfeld schaffen, Ende August
       hat er deshalb einen Antrag bei der DFL eingereicht. Dabei stellen sich
       zwei Fragen, erstens: Erfüllt Kind tatsächlich die von der DFL gestellten
       Bedingungen? Und zweitens: Wie ernst nimmt die DFL die eigenen Regularien
       überhaupt? Bislang war die Frage der Ernsthaftigkeit schwer zu überprüfen,
       weil die DFL diese Regularien der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten hat.
       
       Ein internes DFL-Papier, das der taz vorliegt, bringt Aufklärung. Das
       „Rundschreiben Nr. 30 Bereich Recht DFL“, das alle 36 DFL-Mitglieder (18
       Erst- und 18 Zweitligisten) am 12. Dezember 2014 per E-Mail erhielten, legt
       nahe: Der darin vorgegebene Rahmen ist für Martin Kind kaum einzuhalten.
       Denn: Der Investor Martin Kind hat schlicht zu wenig in das
       Fußballunternehmen Hannover 96 investiert.
       
       Das „Rundschreiben Nr. 30“ haben der DFL-Präsident Reinhard Rauball,
       Vizepräsident Peter Peters und der für Rechtsfragen zuständige Jürgen
       Paepke unterschrieben. Es war auch maßgebend für Dietmar Hopp, Klubbesitzer
       von 1899 Hoffenheim, die Profiabteilung im Kraichgau zu übernehmen. „Es
       wurde sehr gründlich geprüft, Herr Hopp musste jeden noch so kleinen
       Rechnungsbetrag nachweisen“, teilt TSG-Mediendirektor Christian Frommert
       auf taz-Nachfrage mit.
       
       ## Erhebliche Zweifel
       
       Hopp nutzte als erster Investor die 20-Jahres-Regel. Um die TSG 1899
       Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH zu hoppisieren, legte er nach
       taz-Informationen dar, 279,2 Millionen Euro in das Gesamtkonstrukt 1899
       Hoffenheim (Profibetrieb, Verein, Infrastruktur) gesteckt zu haben, davon
       36,7 Millionen Euro in den e.V.. Hopp wies also nach, die TSG 20 Jahre lang
       erheblich gefördert zu haben.
       
       Was genau erheblich meint, steht im Rundschreiben Nr. 30 unter Punkt 6:
       „Der Begriff,erheblich' soll nach Auffassung des Vorstandes clubbezogen
       verstanden werden und zwar dergestalt, dass die Höhe des finanziellen
       Engagements in jeder einzelnen Spielzeit während des 20-Jahres-Zeitraums
       mindestens dem durchschnittlichen Budgetanteil entsprechen soll, den das
       Hauptsponsoring des Clubs, d.h. das höchste Einzelsponsoring, in der
       jeweiligen Spielzeit ausmacht.“ Konkret: Überweist der Hauptsponsor dem
       Klub jährlich fünf Millionen Euro (etwa für Trikotwerbung), muss der
       Investor dieselbe Summe aufbringen, Jahr für Jahr wohlgemerkt.
       
       In Hannover heißt der aktuelle Hauptsponsor Heinz von Heiden, eine Firma
       für Massivhäuser. Die überweist seit 2014 rund vier Millionen Euro, in Liga
       zwei sollen es drei gewesen sein. Davor, von 2002 bis 2014, warb das
       Reiseunternehmen Tui auf der 96-Brust, der Preis: ebenfalls rund drei bis
       vier Millionen Euro. Kind hätte also allein in den Jahren 2002 bis 2017
       jährlich drei bis vier Millionen in die KGaA investieren müssen, rund 45
       bis 60 Millionen Euro insgesamt. Das weisen die frei [4][zugänglichen
       Bilanzen der KGaA] aber nicht aus.
       
       Die vierköpfige Investorengruppe, die 100 Prozent der KGaA-Kapitalanteile
       besitzt und in der Kind die Mehrheit hält, hat in 20 Jahren insgesamt 13
       Millionen Euro in die KGaA investiert. Laut Konzernbilanz flossen im
       Geschäftsjahr 2009/2010 zusätzlich drei Millionen auf das KGaA-Konto, und
       vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 exakt 106.370,44 Euro.
       
       ## Magere Investitionen
       
       In allen anderen Jahren wurde entweder nicht in die KGaA investiert – oder
       eine Rendite erwirtschaftet. Die höchste Rendite betrug etwas über fünf
       Millionen (2011/12). Die Spenden an den e.V. beliefen sich in den beiden
       letzten Jahren auf 9.626,58 Euro (2016) und 25.518,67 Euro (2015).
       Öffentlich bekannt ist, dass Kind davon 2.600 Euro im Jahr 2016 gespendet
       hat. Trotz des zu geringen finanziellen Investments ist Martin Kind
       überzeugt, dass sein Antrag, über den die DFL bis Ende Dezember entschieden
       haben will, durchkommt.
       
       Dazu muss man wissen, dass der Fall Kind eine Vorgeschichte hat. Nach
       taz-Informationen soll der Verband 2008 ein externes Gutachten eingeholt
       haben, um zu überprüfen, ob die 36 Profiteams der 1. und 2. Liga die
       50+1-Regel einhalten. Ergebnis: Auf dem daraufhin ausgestellten Papier
       wurde 96 wegen Kind als kritischer Fall eingestuft. In Hannover ist der
       Investor Kind gleichzeitig auch Vorsitzender des e.V. und Geschäftsführer
       der KGaA, eine Kombination, die offenbar Misstrauen erweckte.
       
       Die Folgen? Folgende: Ab 2008 forderte Kind die Abschaffung der 50+1-Regel,
       am 17. November 2009 beantragte er dies im Rahmen der
       DFL-Mitgliederversammlung auch ganz offiziell. 35 der 36 Profiklubs lehnten
       ab. Weil Kind im Falle eines Scheiterns mit einer Klage vor dem
       Europäischen Gerichtshof gedroht hatte, [5][wetterte BVB-Boss Watzke] via
       Bild: „Herr Kind, Sie erpressen die Liga!“
       
       Tatsächlich kündigte Kind im Januar 2010 an, gegen die DFL klagen zu
       wollen. Die Causa ging dann aber vor's [6][DFB-Schiedsgericht, und das
       befand am 30. August 2011]: 50+1 sollte bestehen bleiben, Investoren jedoch
       nach 20-jährigem Engagement die Möglichkeit erhalten, einen Klub übernehmen
       zu dürfen.
       
       ## Fehlende Klarheit
       
       Seither ruht Kind und beruft sich auf das 2011er Urteil, indem – wie er es
       formuliert – „Rechtsfragen des Vergleichs“ zwischen ihm und der DFL
       geschlossen worden seien. Sprich: Kind geht davon aus, er müsse lediglich
       die notwendige Bedingung erfüllen (20-jähriges Engagement), nicht aber die
       hinreichende (Höhe der Investitionen).
       
       Nun soll bei der DFL vor allem Präsident Rauball, der ja seinen Schriftzug
       unter das DFL-Papier gesetzt hat, darauf beharren, dass streng nach den im
       Dezember 2014 verschickten Leitlinien geprüft werde. Diesbezügliche
       taz-Anfragen ließ die DFL allerdings unbeantwortet. Fest steht, dass Kind
       im August 2011 nichts von den DFL-Leitlinien ahnen konnte. Aus engen
       Kind-Kreisen heißt es, ausschlaggebend für den 96-Boss sei lediglich die
       DFB-Satzung. Ein 20-jähriges Engagement also.
       
       Weil DFL und DFB die Leitlinien nicht in ihre Satzung aufgenommen haben –
       bewusst oder unbewusst? – fehlt die Klarheit. In der Welt hat Kind bereits
       [7][angekündigt]: „Wenn die DFL gegen unseren Antrag entscheidet, werden
       wir den Rechtsweg beschreiten, das ist klar.“ Kalle Rummenigge,
       Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, teilte auf taz-Anfrage mit:
       „Ich kenne Herrn Kind als seriösen und intelligenten Mann. Daher bin ich
       auch überzeugt, dass er die Regularien der DFL zur Gänze erfüllen wird,
       wenn er einen entsprechenden Antrag stellt.“ Stellt sich die Frage, ob die
       DFL bei Kind einen anderen Maßstab anlegt als bei Hopp.
       
       In dem Rundschreiben heißt es, man bewerte Ausnahmeanträge „grundsätzlich“
       anhand der intern aufgestellten Leitlinien. Andererseits seien die
       „Besonderheiten des Einzelfalls“ maßgeblich zu berücksichtigen, die
       Leitlinien dienten lediglich der grundsätzlichen Orientierung. Dann
       wiederum steht da, dass der DFL-Vorstand einen Ermessensspielraum habe, den
       er je nach Einzelfall „unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes“
       ausüben werde. Kurzum: Wenn die DFL Kind durchwinken will, wird sie sich
       eine maßgeschneiderte Begründung schon zurechtlegen.
       
       Kinds Verdienste 
       
       Dass Kinds Wirken den 96ern zugute kam, kann nicht mal die vereinsinterne
       Opposition bestreiten. „Die Fakten sehen so aus, dass Hannover 96 1997
       Dritte Liga spielte und vor der Insolvenz stand. Seither ist die
       Entwicklung positiv: 14 Jahre in Folge Bundesliga, der sofortige
       Wiederaufstieg nach dem Abstieg 2016, zwei Europacup-Teilnahmen, der Bau
       der HDI-Arena, Bau des Nachwuchsleistungszentrums“, hat Kind im
       [8][taz-Interview] Mitte September aufgezählt. All das stimmt, und es
       beweist: Trotz 50+1-Regel ist es Kind gelungen, 96 in der Bundesliga zu
       etablieren. Allerdings hat darüber weniger Kinds Kapitaleinsatz
       entschieden, als vielmehr sein strategisches Geschick.
       
       Kind hat vorhandene Mittel gut verwaltet und an den richtigen Stellen die
       Fäden gezogen. Und für die gute Arbeit, die den Klub wirtschaftlich nach
       vorne gebracht hat, will er nun die volle Ernte einfahren. Das aber
       widerstrebt der Opposition. Einige demonstrieren im Rahmen der
       Rechtsordnung, andere schießen übers Ziel hinaus. Neben den plakativen
       Anti-Kind-Stimmungsmachern, allen voran den Ultras im Stadion, hat sich
       eine weitere Opposition gebildet; sie besteht aus Anwälten, Bänkern,
       Immobilienhändlern.
       
       Allesamt betonen sie, dass es ihnen um den Verein gehe. Sie meinen damit
       den Mutterverein, den Hannoverschen Sport-Verein von 1896 e.V.. Schon
       länger hegen sie den Verdacht, dass Martin Kind an vielen Stellen getrickst
       hat, um dem e.V. die Machtbefugnis über die Fußball-KGaA zu entziehen. Zu
       spät habe man reagiert, heißt es, zentrale Stellen wie jene im Aufsichtsrat
       habe man zu lange der Kind-Fraktion überlassen. Sie argumentieren: Ja, Kind
       habe einen guten Job gemacht. Und nein, für sein Wirken könne ihm im
       Gegenzug nicht die Entscheidungsmacht über die millionenschwere
       Fußballsparte überlassen werden. Job sei Job, das Herzstück des e.V., die
       Profifußball-Sparte, müsse unter demokratischer Kontrolle bleiben.
       
       Zum guten Job gehörte die Rettung des e.V. vor der Insolvenz im Jahr 1997.
       11,6 Millionen D-Mark Schulden drückten den Verein. Fünf Spieler, darunter
       der spätere Schalker und deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah, wurden
       für 4,6 Millionen D-Mark an die Sparkasse verpfändet. Einer, der Utz
       Claassen, Kinds Vorgänger als Vereinsvorstand, so nahe steht, wie niemand
       sonst, sagt: „Die Situation war schlimmer als jemals öffentlich bekannt.
       Die Sparkasse hat massiv Druck gemacht. Sie hat damals alles getan, um 96
       das Leben schwer zu machen. Wäre Kind nicht gekommen, hätte es die
       Insolvenz gegeben.“
       
       ## Vom Hörgerätehersteller zum Fußballunternehmer
       
       Dem Hörgerätehersteller sei die heikle Lage bekannt gewesen, nur habe Kind
       – um Claassen zu diskreditieren – die Zahlen beschönigt. Warum Kind, damals
       ein Unternehmer ohne jegliche Fußballaffinität, überhaupt bei 96
       eingestiegen ist? „Er war zwar damals schon Unternehmer, aber es kannte ihn
       niemand. Sein Einstieg bei 96 änderte das“, so der Claassen-Vertraute.
       Claassen selbst wollte auf taz-Anfrage keine Stellungnahme zum damaligen
       Machtwechsel abgeben.
       
       Nachdem Kind den Verein übernahm, kaufte er diesem die Namens- und
       Markenrechte für 2,7 Millionen D-Mark ab. Einzige Bedingung: Jederzeit
       könne der e.V. diese Rechte – das Londoner Markeninstitut Brand Finance
       schätzt deren Wert auf rund 75 Millionen Euro – für denselben Preis
       zurückkaufen. Mittlerweile ist bekannt: Die Rückkaufoption liegt nicht mehr
       beim e.V., man habe das 2014 neu geregelt, so Kind. Auch die Kapitalanteile
       an der Profisparte hat Kind als e.V.-Vorsitzender Schritt für Schritt
       heruntergefahren – bis seine Investorengruppe 2015 dann alles besaß und der
       e.V. nichts mehr.
       
       Nur die Stimmanteile verblieben über eine Tochtergesellschaft zu 100
       Prozent beim e.V., eben wegen 50+1. Die Oppositionsseite hat DFL und DFB
       über die Vorgänge bei 96 in Kenntnis gesetzt. Weil Kind 51 Prozent der
       Stimmanteile für 12.750 Euro von der Profisparte an sich selbst verkaufen
       will, schade er dem e.V., heißt es. Bisher besitzt der e.V. 100 Prozent der
       Stimmanteile an der Profisparte. Der Verkauf käme nur zustande, wenn die
       DFL dem Deal zustimmt (indem sie die 50+1-Regel in Hannover auflöst).
       
       ## Interpretierbares Mitgliedervotum
       
       Es stellt sich die Frage: Warum sollte der e.V. für diesen geringen Betrag
       seine Kontrollfunktion aufgeben? „Weil wir dieses Konzept vor einem
       Jahrzehnt so entschieden haben. Deshalb macht es Sinn. Es ist eine saubere
       und zukunftsorientierte Lösung, ohne Risiken von Zufallsentscheidungen. Bei
       Vereinen gibt es auch immer Zufallsentscheidungen“, hat Kind der taz auf
       diese Frage geantwortet. Was er nicht gesagt hat: Die Mehrheit der
       e.V.-Mitglieder ist gegen diesen Deal, der ihnen das Mitspracherecht an der
       Profisparte entziehen würde.
       
       Bei der Mitgliederversammlung am 27. April 2017 wollten 60 Prozent der
       96-Mitglieder die 50+1-Regel in die Satzung implementieren, nötig wären
       dafür aber 66,6 Prozent gewesen (Zweidrittel-Mehrheit). Und in einem
       zweiten Antrag votierten 71 Prozent für die Einberufung einer
       außerordentlichen Mitgliederversammlung, die darüber entscheiden solle, ob
       Hannover 96 bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) eine 50+1-Ausnahmeregelung
       beantragt oder nicht.
       
       Interessanter Nebenaspekt: Im Fall Hoffenheim forderte die DFL eben dies;
       für Hopp war das auch kein Problem, weil der eine stattliche Mehrheit
       hinter sich wusste. Beim Traditionsverein Hannover 96 sind die Mehrheiten
       anders gelagert. Kind allerdings argumentiert, dass mit dem nicht erfolgten
       Satzungsbeschluss – der um schlappe sechs Prozent verfehlt wurde – die
       Sache erledigt wäre. Ausreichend sei also, dass zwar die meisten, aber
       nicht genügend Mitglieder für eine satzungsrechtliche 50+1-Dauerlösung
       gestimmt hätten.
       
       Ob das die DFL genauso sieht? Oder das DFB-Präsidium, das einen
       50+1-Ausnahmeantrag der DFL final absegnen müsste? Am Ende könnte es
       entscheidend sein, zu welchem Schluss DFB-Präsident Reinhard Grindel kommt.
       Stellt er sich auf die Seite des Hannoverschen Sport-Vereins von 1896 e.V.
       – oder folgt er der Argumentationslinie des Investors Martin Kind? Von
       dieser Frage hängt ab, was der DFB unter Tradition und Moderne versteht.
       Sie zu verbinden, fällt jedenfalls schwerer als im Kokenhof.
       
       3 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.hannover96.de/startseite.html
 (DIR) [2] https://www.kind.com/de-de/
 (DIR) [3] https://www.dfb.de/verbandsservice/verbandsrecht/satzung-und-ordnungen/
 (DIR) [4] https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet
 (DIR) [5] http://www.bild.de/sport/fussball/martin-kind-erpressen-die-bundesliga-10398520.bild.html
 (DIR) [6] https://www.dfb.de/news/detail/50-1-regel-bleibt-bestehen-28925/
 (DIR) [7] https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article169631362/Martin-Kind-zeichnet-duesteres-Bild-fuer-die-Bundesliga-Zukunft.html
 (DIR) [8] /Martin-Kind-ueber-Kontrolle-in-Hannover/!5444892
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) David Joram
       
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 (DIR) Martin Kind über Kontrolle in Hannover: „Gut, weil wir so entschieden haben“
       
       Der Präsident von Hannover 96 spricht im Interview zu Ultras und der
       50+1-Regel. Er erklärt, warum ein Verkauf der Profiabteilung bevorsteht.
       
 (DIR) Widerstand bei Hannover 96: „Das ist zu viel unkritische Dankbarkeit“
       
       Vereinsboss Martin Kind will, dass im Profibereich Investoren das Sagen
       haben. Robin Krakau von der Interessenvertretung Pro Verein 1896 wirft dem
       Chef vor, Hannover 96 zu verramschen.
       
 (DIR) Übernahme von Hannover 96: Mitglieder klagen gegen Martin Kind
       
       Der Präsident vom Fußballclub Hannover 96 versucht mit allen Mitteln, den
       Profiklub zu übernehmen. Exkanzler Schröder unterstützt ihn dabei.