# taz.de -- Eine weitere Wahrheit
       
       > Alpha-Akteure und Erinnerungscollagen: dreierlei Fotografie mit
       > filmischem Kontext
       
       Von Bettina Maria Brosowsky
       
       Vielleicht mag es ja zu weit gehen, angesichts der Enthüllungen um Harvey
       Weinstein und andere mächtige Männer der Filmbranche generell sexistische
       und entsprechende gewaltverherrlichende Strukturen zu unterstellen. Aber
       man erinnert sich vielleicht an immer wieder in dieser Form lesbare
       Skandalfilme, etwa „Der letzte Tango in Paris“, 1972 von Bernardo
       Bertolucci gedreht. Ende 2016, fünf Jahre nach dem Tod von
       Hauptdarstellerin Maria Schneider, wurde (neuerlich) bekannt, dass die so
       skandalöse wie brutale anale Vergewaltigungsszene nicht im Drehbuch stand,
       sondern ein spontaner Einfall des Regisseurs und seines damals 48-jährigen
       männlichen Stars Marlon Brando war. 
       
       Die beiden mannhaften Künstler-Genies überrumpelten damit die unerfahrene,
       damals 19-jährige Schauspielerin. Schneiders von der ahnungslosen
       Filmkritik als besonders authentisch gefeierte Darstellung war es ja leider
       eben auch: Sie erlitt leibhaftig die Entwürdigung einer Vergewaltigung.
       
       Zwei markante Fotos von den Bertolucci-Dreharbeiten sind unter den
       ausnehmend eindrucksvollen, großformatigen Schwarz-Weiß-Bildern des
       italienischen Set-Fotografen Angelo Novi, die gerade das Braunschweiger
       Museum für Fotografie ausstellt. Eines zeigt Maria Schneider entspannt auf
       einem Heizkörper ruhend, auf dem anderen liefert ihre Silhouette unter
       großem Hut den Vordergrund für ein Porträt von Marlon Brando. Man ist
       geneigt, jetzt ein gehöriges Maß an Arroganz und Herablassung gegenüber
       seinem weiblichen Gegenpart hineinzuinterpretieren, vielleicht gar
       Verachtung .
       
       Angelo Novi (1930–1997) hatte nach zehn Jahren als Agenturfotograf 1960
       begonnen, die Dreharbeiten italienischer Regisseure zu begleiten, arbeitete
       früh etwa mit Roberto Rossellini und Pier Paolo Pasolini zusammen. Während
       für Werbezwecke wie Plakate und Schaukästen benötigte Standbilder
       traditionell nachgestellt und opulent in Farbe inszeniert wurden,
       revolutionierte Novi das Genre: Er wandte sein fotojournalistisches
       Handwerk an, eine situative „street photography“ in der Linie eines Henri
       Cartier-Bresson oder Robert Capa. Mittendrin, in Drehpausen oder auch
       abseits des Geschehens wagte und verstand es Novi, hinter die Kulissen zu
       blicken. Er registrierte abstrahierend-kühl gleichermaßen die großen,
       fiktiven Emotionen wie auch eine weitere Wahrheit dahinter. 
       
       Einige seiner Fotos erschienen in Zeitungen, die meisten aber verschwanden
       in Novis sommerlicher Berghütte. Es mag durchaus sein, dass mancher
       Regisseur diese Fotos als künstlerische Konkurrenz empfand. So soll auch
       Bertolucci einmal in freundschaftlicher Ironie zu Novi gesagt haben, dass
       der ihm ja seine besten Szenen stehle. Vor rund zwei Jahren hat Novis Enkel
       die Fotos wiederentdeckt, das Zeit-Magazin widmete dem Fund vergangenes
       Jahr ein ganzes Heft, und Anfang 2017 wurden sie erstmals ausgestellt.
       
       In Braunschweig treffen Novis Fotos auf eine weitere Generation, zudem
       weiblicher Fotografie mit filmischem Kontext: Die in Berlin lebende
       Spanierin Eli Cortiñas, Jahrgang 1979, verarbeitet „found footage“ zu
       Videos oder plakativen Collagen in der Tradition einer Hannah Höch. Auch
       die Düsseldorferin Martina Sauter, 1974 geboren, collagiert große Szenen
       der Filmgeschichte mit eigenen Aufnahmen zu feinen, dreidimensional
       geschichteten Assoziationen. Unser kollektives Bildgedächtnis als
       schillerndes Material für unendliche künstlerische Interpretationen, das
       aber immerwährender kritischer Revision bedarf.
       
       „Film Footage Fotografie“: bis 26. November, Braunschweig, Museum für
       Photographie
       
       10 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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