# taz.de -- Deutsch-italienischer Film „Drei Zinnen“: Nur ein Fels hält das aus
       
       > Beherrscht vom Klang der Stimme und der Leere von Worten: Jan Zabeils
       > Spielfilm „Drei Zinnen“ über die Nöte einer Patchworkfamilie.
       
 (IMG) Bild: Vater und Sohn? Tristan (Arian Montgomery) und Aaron (Alexander Fehling) im Gebirge
       
       Ein Massiv am Rande der Dolomiten, das aus drei Gipfeln besteht. Drei
       Gipfel sind dreimal so gefährlich wie einer und damit auch dreimal so
       interessant. Monumental und anrührend aus der Entfernung, doch aus der Nähe
       betrachtet karg und unwirtlich. Nach diesen „Drei Zinnen“ heißt auch der
       neue Film von Jan Zabeil, einer der vielversprechenden jungen Stimmen des
       deutschen Kinos.
       
       Irgendwo zwischen den drei Berggipfeln ist Aaron (Alexander Fehling)
       ausgerutscht und gestürzt, jetzt sitzt er mit Tristan (Arian Montgomery),
       seinem Stiefsohn in spe, am Lagerfeuer. Sie haben sich gemeinsam für den
       Ausflug entschieden, ohne das Wissen von Tristans Mutter Lea (Bérénice
       Bejo). Und da sind sie nun, irgendwo im Nebel. Sie müssen gemeinsam die
       Nacht überstehen.
       
       Ein Mann und ein Junge, die miteinander und voneinander isoliert sind, weil
       sie etwas miteinander zu klären haben. Es könnte eine Liebe entstehen, aber
       immer wieder kommt es zwischen den beiden zu Verletzungen. Dann sagt der
       Junge mit einer distanzierten Stimme und einem etwas abfälligen Tonfall:
       „Du kannst so viel, das ist nicht normal.“ Es vermischen sich Bewunderung
       und Missgunst. Eine Missgunst, die immer wieder ins Aggressive umschlägt.
       
       Aaron kann mehr als Tristans Vater und Tristan hat Angst, seinen Vater
       wegen Aaron zu verlieren. Denn Lea, die mag Aarons Muskeln. Jan Zabeil
       erzählt in seinem neuen Film von einem Gebilde aus drei Menschen, bei dem
       Gefahr eine Rolle spielt. Sie sind in die Berge gefahren, um zu einer neuen
       Familie zu werden. Doch der Versuch droht zu scheitern.
       
       Wenn Fehling als Aaron mit dem Jungen spricht, wirken seine Sätze oft wie
       aufgesagt. Zabeil hat ihm beim Schreiben des Drehbuchs eine Sprache in den
       Mund gelegt, die nicht selten gestelzt wirkt. Das passt, weil der junge
       Mann mit dem Kind keinen Umgang findet. Er wünscht sich manchmal, dass
       Tristan verschwindet. Das gibt er sogar zu, in einem der gefühlvolleren
       Momente. Naturalistisch wirkt seine Rede aber auch da nicht.
       
       ## Sein echter Vater ruft an
       
       Der Schauspielduktus der Sprache fällt manchmal weniger auf, weil die drei
       Menschen miteinander drei Sprachen sprechen. Immer wieder wechselt sich das
       Deutsche mit dem Französischen und Englischen ab. Und dann taucht eine
       vierte Sprache auf, die keine menschliche ist. Sondern eine unnatürliche:
       Tristan hat ein Telefon, das immer wieder von außen dazwischen klingelt.
       Sein echter Vater ruft an, zwei oder drei Mal am Tag.
       
       Und es gibt noch einen unbekannten Menschen im Hintergrund, in der Zukunft:
       Aaron und Lea hätten gerne ein Kind. Den jungen Tristan bringt das aus dem
       Gleichgewicht, macht ihn wütend auf seine Mutter und ihren neuen Geliebten.
       
       Jan Zabeil war Kameramann, bevor er sich stärker der Regie zuwandte. Wie
       sein erster Langfilm „Der Fluss war einst ein Mensch“ ist auch „Drei
       Zinnen“ stark vom Bild her gedacht. Die Szenen sind voller
       bedeutungsschwangerer Bildkompositionen und visueller Versuchsanordnungen.
       Die Mausefalle neben dem Bett. Das Kind mit verbundenen Augen in den
       Bergen. Einige Bilder wirken gewollt in ihrer Absicht, eine formale
       Konsequenz zu errichten.
       
       ## Liebe als körperliches Kräftemessen von Mann und Kind
       
       „Drei Zinnen“ ist spröde und von einer entschiedenen künstlerischen
       Massivität. Der Film fühlt sich verschlossen an, manchmal stur und
       statisch. Und nie klaustrophobisch, trotz Berghütte. Fehlte da das Gespür
       für den Innenraum der Berghütte, in dem die Familie wohnt? Erst in den
       Bergen scheint sich Zabeil wohl zu fühlen, findet zu einer kraftvollen,
       sich öffnenden Schlusssequenz. Drastische Intimitäten in der steinigen
       Felslandschaft. Die grenzüberschreitende Natur von Liebe als körperliches
       Kräftemessen von Mann und Kind. Ein Kampf.
       
       Sogar die ganz markante Kettensäge wird ausgepackt in einem Wutmoment. Ein
       Film der Offensichtlichkeit und Klarheit: Wer liebt, kann zerschellen und
       von einem anderen zerschlagen werden. In „Drei Zinnen“ finden sich Ängste
       vor dem Absturz des zarten Familienglücks, tiefe Täler der
       unausgesprochenen Verunsicherung. Da sind Krämpfe in den Figuren, die sich
       nicht so einfach lösen lassen. Immer wieder verschließen sie sich.
       
       Da sind Anspannungen aus vergangenen Beziehungen und auch ganz frische.
       Zabeil verrät nicht viel Konkretes über die Vorgeschichte dieser Leute. Nur
       die Dauer wird einmal klar: Von zwei Jahren Beziehung spricht Aaron, als er
       Lea bittet, seine Liebe zu ihrem Jungen zuzulassen. Nein. Ein klares Nein.
       
       ## Sein Gesicht bleibt undurchschaubar
       
       Wieder einer der stärkeren Momente Fehlings, wo beinahe ein Gefühl
       durchscheint. Doch sein Gesicht bleibt undurchschaubar und wirkt unangenehm
       versöhnlich. In dem Gespräch reden sie Englisch, die Sprache der
       internationalen Kommunikation. Sie taugt hier nicht einmal, um einen Raum
       zu überbrücken.
       
       Das Versagen ist keines der Inszenierung, sondern ein strukturelles. Das
       zivile Miteinander-Umgehen interessiert Zabeil offensichtlich weniger als
       das rohe, losgelöste Aufeinandertreffen von Menschen in der Natur. Das war
       schon im vorherigen Film so, als ein Schauspieler Afrika bereiste und mit
       der Landschaft verschwimmt.
       
       Nun rufen sich Aaron und Tristan in den ersten Momenten von „Drei Zinnen“
       unter Wasser Worte zu, die sie nicht verstehen können. Beide verbindet die
       Liebe zu Lea und doch werden sie sich in dieser Liebe nicht einig. Sie
       müssen eine Verbindung zueinander erst finden. Eine Verbindung jenseits
       ihrer Rollen als Liebhaber und Sohn, jenseits der Sprache.
       
       ## Reden scheitert als Orientierungshilfe
       
       Selbst drei Sprachen reichen nicht aus. Reden scheitert als
       Orientierungshilfe. In den Bergen hallen die Stimmen von den Felswänden und
       werden zum irreleitenden Echo, zur Manipulation, zum Trugschluss. Ein Film,
       der durchzogen ist vom Klang der Stimme und der Leere von Worten. Ein
       Resonanzraum.
       
       Zabeils Film soll das Essenzialistische im Menschen verhandeln, nicht
       dessen Fähigkeit zum sinnhaften Ausdruck. Vielleicht funktionierte aus
       diesem Grund auch bereits sein Langfilmdebüt „Der Fluss war einst ein
       Mensch“ so gut im internationalen Blick.
       
       Zabeil gehörte Anfang der Dekade zu den wenigen deutschen Regisseuren, die
       bei den anspruchsvollen Filmfestivals wie etwa Rotterdam wahrgenommen
       wurden. Er bekam eine Einladung ins Filmprogramm des Museum of Modern Art.
       Er wurde beim Festival von San Sebastián mit dem „New Directors Award“
       ausgezeichnet und mit 50.000 Euro belohnt. Ohne den Preis wäre es
       vermutlich schwer gefallen, die Kosten eines Films aufzufangen, der noch
       deutlich widerständiger war als nun „Drei Zinnen“. Denn im Kino startete
       „Der Fluss war einst ein Mensch“ nur in drei Ländern.
       
       ## Ein gehässiger Feigling und Manipulator
       
       Zabeils neuer Film lief in Locarno, wo sich die Bilder bei der Weltpremiere
       vor den 8.000 Sitzplätzen des großen Piazza-Grande-Kinos unter freiem
       Himmel beweisen mussten. Wie im Film das Kind inszeniert wird, hat bei den
       vielen Leuten sicherlich Fragen aufgeworfen und Irritationen provoziert.
       Zabeil ist mutig, weil er den Jungen so unsympathisch und kalkulierend
       zeigt. Ein gehässiger Feigling und Manipulator, der aber auch schwach ist
       und es eben nicht besser weiß.
       
       Tristan weckt unangenehme Gefühle, die beim Zwischenmenschlichen im Kino
       oft ausgespart werden. Und die Gefühle in all ihren Extremen schwanken,
       sind unberechenbar, mitunter radikal und zerstörerisch. Nur ein Fels hält
       das aus. Der Mensch hingegen wird immer wieder umgeworfen.
       
       21 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dennis Vetter
       
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