# taz.de -- Arabische Popmusik aus den Siebzigern: Labor of Love
       
       > „Habibi Funk. An Eclectic Selection of Music From the Arab World“ ist
       > eine vorzügliche Songsammlung aus dem Maghreb, Ägypten, Libanon und
       > Sudan.
       
 (IMG) Bild: Es sprudelt: die ägyptische Band Al Massrieen
       
       Liebe geht durch den Magen, aber zuerst kommt sie bei den Ohren an. Glauben
       Sie mir: Wer einmal den Song „Bsslama Hbibiti“ des marokkanischen Sängers
       Fadoul hört, will sofort Walnüsse im Dattelmantel kauen oder eine Portion
       Shakshuka mampfen. Und folgt dann dem Keksdosen-Beat und dem beseelten
       Gesang von Fadoul. Danach gibt es kein Halten mehr, nur noch
       konvulsivisches Zucken und Zappeln.
       
       Fadouls Song ist der erste von 16 Preziosen auf der Compilation „Habibi
       Funk. An Eclectic Selection of Music From the Arab World“, die das Berliner
       Label Jakarta veröffentlicht hat. Musik aus dem nordafrikanischen Raum, dem
       Mittleren und Nahen Osten stößt schon seit Längerem auf Interesse: Labels
       wie Fortuna Records aus Tel Aviv veröffentlichen alte Schätze in
       restaurierten Fassungen, machen Künstler ausfindig, leisten Archivarbeit.
       In Frankreich ist die Nachfrage nach den musikalischen Schätzen am Größten,
       aber auch in Deutschland erfreuen sich arabische Pop-Genres einer gewissen
       Beliebtheit.
       
       Was die aktuelle Entwicklung angeht, hat der US-Autor und Musiker Jace
       Clayton mit seinem Buch „Uproot. Travels in 21st Century Music and Digital
       Culture“ ein Grundlagenwerk geschaffen und den Boden für diesen
       musikalischen Arab Spring bereitet. Die auf „Habibi Funk“ enthaltenen Songs
       wurden mutmaßlich in den siebziger und achtziger Jahren komponiert und
       eingespielt, die Künstler stammen aus unterschiedlichen Regionen der
       Maghrebstaaten, aus dem Libanon und aus Ägypten, aber auch aus dem Sudan.
       
       ## Unzählige Routen
       
       Manche leben heute in der europäischen Diaspora, machen von Madrid und
       Paris aus immer noch Musik, nicht nur für den arabischen Markt. Die Routen
       des Pop sind vielfältig, auch in umgekehrter Richtung: Der
       afroamerikanische Soulsänger Bob Destiny lebte in den Siebzigern in Algier
       und Casablanca und veröffentlichte dort zusammen mit einer marokkanischen
       Band eine obskure Single, sie ist selbstverständlicher Teil der
       Compilation.
       
       Große Bekanntheitsgrade der Musiker helfen im Krisenfall nichts, auch das
       ist eine Erkenntnis von „Habibi Funk“. Der in der libyschen Stadt Bengasi
       geborene Hamid El Shaeri musste vor dem Gaddafi-Regime nach Kairo fliehen.
       Dort wurde er zum Superstar der arabischen Popwelt, informieren die
       instruktiven Linernotes. Sein ätherischer Song „Ayonha“ würde auch auf
       jedem westlichen Disco-Dancefloor zu ekstatischem Jubel führen.
       
       Jannis Stürtz, Manager von Jakarta Records, ist vernetzt mit Radiosendern
       und Bloggern in Brüssel, Paris und in Beirut. Viele Künstler kennt er
       persönlich, hat die Songs von ihnen oder ihren Angehörigen direkt
       lizenziert, bezahlt Urheberrechte und erklärt im Booklet die
       Entstehungsgeschichte der Songs und die Karrieren der Musiker. In dieser
       Hinsicht ist „Habibi Funk“ vorbildlich, eine auch mit Fotos vorzüglich
       gestaltete labor of love. Was den Titel angeht, wirkt „Habibi Funk“
       irreführend.
       
       ## Irreführender Titel
       
       Weder existiert ein hippes Subgenre namens Habibi Funk, noch entsprechen
       die Songs dem landläufigen Idiom von westlichem Funk. Eher kommt hier die
       raue Klangsignatur von Northern Soul zum Tragen, dessen gesangliche
       Intensität oder die entspannte Anmutung des Souljazz von US-Künstlern wie
       Ramsey Lewis. Genauso wie die mediterrane Küche – Shakshuka wird in
       Israel genauso gekocht wie in Tunesien –, voneinander beeinflusst ist,
       durchdringt sich auch die Musik der Region gegenseitig.
       
       Die Songs aus dem Sudan sind stilistisch mit äthiopischem Jazz verwandt.
       Das algerische Genre Zouk ist ursprünglich weit entfernt in der Karibik
       entstanden, auf Martinique und Guadeloupe. Auch im Libanon gibt es
       Bossa-Sound. Den Song „Sah“ vom ägyptischen Künstler Al Massrien könnte man
       fast mit brasilianischer Popmusik der siebziger Jahre verwechseln, wäre da
       nicht der kehlige arabische Gesang: Musik ist ein nimmersatter
       Globetrotter, der überall anknüpft, das stellen die Songs von „Habibi Funk“
       eindrucksvoll unter Beweis.
       
       Und noch etwas fällt angenehm auf, das heute ubiquitäre Thema Religion
       bleibt aus der Musik ausgespart. Offensichtlich spielte Religion in der
       arabischen Popmusik der Siebziger und Achtziger keine Hauptrolle, den
       Menschen stand der Sinn nach säkularer Unterhaltung. Vielleicht müsste man
       da mal wieder ansetzen.
       
       15 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Politische Kunst
 (DIR) BDS-Movement
 (DIR) Popmusik
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 (DIR) Festival
       
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