# taz.de -- Klassische TV-Sender: Absolute Trostlosigkeit
       
       > Vor allem die privaten Fernsehsender verlieren stetig Zuschauer. Anders
       > als oft vermutet, liegt das nicht nur an den Streamingsdiensten.
       
 (IMG) Bild: Ein alter Hut. 2009 lief bereits die 3. Staffel des Dschungelcamps mit Dirk Bach und Sonja Zietlow
       
       Traditionell werden den Fernsehsendern im Januar die Quoten des Vorjahres
       um die Ohren gehauen: Sie sinken und sinken. Vor allem für die Privaten ist
       das existentiell, sie sind wegen der Werbeeinnahmen gerade auf die
       Zielgruppe fixiert, die abwandert: Noch im Jahr 2011 lag der Anteil der 14-
       bis 49-Jährigen die RTL, Sat.1 und ProSieben sahen zusammen bei 40,7
       Prozent. 2017 waren es nur noch 30,1.
       
       Schuld daran seien die US-Streamingdienste, heißt es oft. Über 100
       Millionen Abonnenten soll Netflix weltweit haben, in Deutschland
       schätzungsweise dreieinhalb Millionen. Ähnlich Amazon: Viele Kunden des
       Onlinehändlers haben durch ihre „Prime“-Mitgliedschaft Zugang zum
       Videoangebot, in England, Japan und Deutschland sollen es elf Millionen
       sein.
       
       Aber die Wahrnehmung, das Netflix und Co. den klassischen TV-Sendern ihr
       Publikum wegnehmen, ist verzerrt. Die Zuschauerzahlen gehen nicht erst seit
       Netflix zurück. Seit den 80ern ist die Zahl der Kanäle stetig gewachsen,
       dann kam das Internet als Verbreitungsplattform für die Sender dazu. Die
       Aufmerksamkeit der Zuschauer verteilte sich nun. Inzwischen gibt es fast
       100 frei empfangbare lineare Sender, darunter nischige Ableger wie ZDF Neo
       oder Pro 7 Maxx. Die Werbeeinnahmen der Privaten werden dadurch nicht
       weniger.
       
       Die 14- bis 39-Jährigen saßen im vergangenen Jahr im Schnitt immer noch
       zweieinhalb Stunden pro Tag vor dem Fernseher, elf Minuten weniger als
       2016. „Die Onlineportale haben nicht wesentlich Einfluss auf die
       Einschaltquoten“, sagt Helmut Thoma, ehemaliger Geschäftsführer von RTL.
       „Die Serien von Netflix sind toll, aber wer interessiert sich schon, wie
       bei 'House of Cards’, für die Intrigen im US-Kongress, wo die meisten noch
       nicht einmal den deutschen Bundestag verstehen? Das ist ein
       Minderheitenprogramm.“
       
       ## Unterschiedliche Bedürfnisse
       
       Der Strategie-Chef der Mediengruppe RTL Marc Schröder gibt sich ebenfalls
       entspannt: Die meisten Nutzer sähen neben den Bezahlangeboten auch lineares
       TV: „Weil beide Genres unterschiedliche Bedürfnisse erfüllen – die
       Onlinevideotheken bieten sehr viel US-Fiction. Für Sport, Shows und
       deutsche Serien greifen auch Netflix-Abonnenten aufs klassische Fernsehen
       zurück.“ Schröder vermutet deshalb, dass der klassische lineare TV-Konsum
       stagnieren, aber nicht weiter sinken werde.
       
       Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Denn auch wenn die Erosion des
       linearen Fernsehens eher schleichend vor sich geht, dürfte allen
       TV-Managern klar sein, dass sich das Nutzungsverhalten langfristig ändern
       wird. Da ist sich zum Beispiel der Geschäftsführer von Warner TV
       Deutschland, René Jamm, sicher: „Je mehr sich die technischen Möglichkeiten
       verbreiten und je leichter bedienbar sie sind, desto mehr werden sie auch
       von der älteren Zielgruppe genutzt werden.“ Bisher sind es vor allem die
       unter 39-Jährigen, die Filme und Serien um Netz schauen.
       
       Auf neueren Fernsehgeräten sind die Sender-Apps und Mediatheken
       mittlerweile vorinstalliert. Das animiert die Sender, ihre Onlineangebote
       so attraktiv und umfangreich wie möglich zu gestalten. RTL hat vor, alles,
       was im klassischen Programm läuft, auch im Internet zugänglich zu machen –
       und will dafür neue Formate entwickeln.
       
       ## Zu lange auf uralte Formate gesetzt
       
       Aus der Sicht des früheren RTL-Geschäftsführers Helmut Thoma haben sich die
       großen Sender zu lange auf uralte Formate wie „DSDS“, „Dschungelcamp“ oder
       „Wer wird Millionär“ verlassen. Thomas Fazit: „Die Privaten müssen sich
       nicht sonderlich um die Video-on-Demand–Konkurrenz kümmern, sie müssen nur
       etwas gegen die absolute Trostlosigkeit ihrer eigenen Programme machen. Die
       ProSiebenSat.1-Videothek Maxdome hat letztes Jahr mit „Jerks“ als erste
       eine deutsche Eigenproduktion vorgestellt.
       
       Ob das innovative Privatfernsehen kommt? Eins ist klar: TV-Sender, die in
       den nächsten Jahren nicht dafür sorgen, dass ihre Angebote unkompliziert
       auch übers Netz abrufbar sind, haben keine Zukunft.
       
       Update 13.02., 9:30: In einer früheren Fassung dieses Textes wurde Helmut
       Thoma als Geschäftsführer von RTL bezeichnet. Tatsächlich ist er der
       ehemalige Geschäftsführer von RTL. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
       
       12 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Urbe
       
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