# taz.de -- Diskriminierung von Roma in Tschechien: Plötzliche Liebe zu den Toten
       
       > Auf dem Gelände des ehemaligen Arbeitslagers Lety soll eine Gedenkstätte
       > für im NS ermordete Roma entstehen. Das ganze Land diskutiert mit.
       
 (IMG) Bild: Gedenken ist wichtig, aber ihm muss auch ein Bildungsauftrag folgen
       
       Kurz bevor sie das Zepter an Wahlsieger Andrej Babiš und seine ANO-Bewegung
       weiterreichte, tätigte die scheidende Regierung des glücklosen
       Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka eine letzte große Amtshandlung: Sie
       kaufte die Schweinemastanlage auf, die auf dem Gelände des ehemaligen
       Zigeunerlagers Lety in Südböhmen seit den 1970er Jahren zum Himmel stinkt.
       Für umgerechnet satte 18 Millionen Euro machte sie damit den Weg frei für
       die Errichtung einer Gedenkstätte.
       
       Der Preis ist höher als der eigentliche Wert der Anlage. Denn er besteht
       nicht nur aus dem Buchwert der Schweinemast, sondern auch aus dem ideellen
       Wert ihres Abrisses. Seitdem der amerikanische Schriftsteller Paul Polansky
       und der deutsche Publizist Markus Pape die lang verschwiegene Geschichte
       des Lagers Anfang der 1990er Jahre bekannt gemacht haben, ist Lety zu einem
       internationalen Symbol geworden. Nicht nur für den Holocaust an den Roma,
       sondern auch für den Umgang mit ihm.
       
       Immer wieder hat die internationale Gemeinschaft tschechische Regierungen
       in den vergangenen 20 Jahren ermahnt, dafür zu sorgen, dass das
       Mastschweine-Lager von dieser Holocaust-Stätte verschwindet. Ob der
       Betreiber der Anlage nun durch die jahrelangen Proteste mürbe gemacht oder
       durch den hohen Kaufpreis weich gestimmt wurde: Mit Unterzeichnung des
       Kaufvertrags Ende November letzten Jahres steht der Weg für den Bau einer
       würdigen Gedenkstätte frei. Doch leider dreht sich die Diskussion nicht um
       die zukünftige Funktion der Gedenkstätte Lety. Stattdessen wird die
       Geschichte Letys in der gegenwärtigen Politik instrumentalisiert.
       
       Seit Ende Januar kochen die Emotionen hoch. Da erklärte Tschechiens
       oberster Populist Tomio Okamura vor laufender Kamera, das Lager Lety sei
       nicht von Stacheldraht umgeben gewesen und seine Insassen hätten sich frei
       bewegen können. Tatsächlich war Lety bei seiner Eröffnung im August 1940
       ursprünglich ein Arbeitslager. Erst im Sommer 1942 funktionierten es die
       Nazis im Rahmen ihres Vernichtungsfeldzugs gegen die europäischen Roma zum
       „Zigeunerlager“ um – einen Wartesaal für die Gaskammern, in dem ganze
       Familien inhaftiert wurden.
       
       Die Drecksarbeit erledigten Tschechen, die als Aufseher fungierten. Nachdem
       eine Typhus-Epidemie Ende 1942 im Lager ausgebrochen war und 326 Leben
       gefordert hatte, 241 von ihnen waren Kinder, wurde das Lager 1943
       geschlossen. Insgesamt 420 Insassen wurden nach Auschwitz-Birkenau
       deportiert und in der Nacht vom 2. auf den 3. August, in der in Auschwitz
       3.000 Roma vergast wurden, ebenfalls ermordet.
       
       ## Jegliche Diskussion ist eigentlich überflüssig
       
       Es ist also vollkommen egal, ob Lety von Stacheldraht umzäunt war oder ob
       es in der perfiden Klassifizierung der Nazis als Arbeits-, Sammel-, oder
       Konzentrationslager galt. In Lety wurden Menschen aufgrund ihrer Herkunft
       eingesperrt und von dort aus in die Gaskammern deportiert. Verglichen mit
       dem Horror der Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis mag Lety
       „nur“ ein Nebenschauplatz des Holocaust gewesen sein. Dennoch: Es war Teil
       seiner Maschinerie. Jegliche Diskussion ist da überflüssig. Und unwürdig.
       
       Geführt wird sie dennoch, und das mit einer Emotionalität, wie man sie in
       Tschechien sonst höchstens erlebt, wenn die Eishockey-Nationalmannschaft im
       WM-Finale steht. Die Debatte gilt dabei nicht der historischen Aufarbeitung
       Letys, sondern dem politischen Kampf gegen Okamura. Der hat mit seiner
       populistischen „Partei der direkten Demokratie“ fast 11 Prozent in den
       Wahlen bekommen.
       
       Momentan kreist er gefährlich nahe um die Macht, weil er außer den
       Kommunisten der Einzige ist, der Andrej Babiš, den Regierungschef ohne
       Vertrauensmandat, unterstützen will. Sein Gerede zu Lety kommt da gerade
       recht, weil es Forderungen legitimiert, ihn von seinem Posten als
       stellvertretenden Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses abzusägen. Zumindest
       rufen danach lautstark Sozial- und Christdemokraten, die Okamura gar
       Leugnung des Holocaust vorwerfen.
       
       Dank des Populisten haben beide Parteien ihre Liebe zu den Roma entdeckt.
       Zumindest zu den Toten. Denn bei den Lebenden scheint es noch zu hapern: In
       den 25 Jahren seit Bestehen der Tschechischen Republik waren
       Christdemokraten wie Sozialdemokraten, meist gemeinsam, insgesamt zwölf
       Jahre an der Macht.
       
       In dieser Zeit hat sich die Situation der Roma nur verschlechtert. Die
       Anzahl der Roma-Ghettos ist von ein paar Stadtvierteln auf 600 angewachsen.
       Noch immer werden Roma-Kinder in Schulen segregiert, 80 Prozent der
       Tschechen lehnen Roma als Nachbarn ab. Solange der Antiziganismus im Land
       nicht effektiv bekämpft, sondern durch Segregation und Ghettoisierung noch
       gefördert wird, haben Populisten wie Okamura ein leichtes Spiel, sich
       dessen zu bedienen.
       
       ## Gedenkstätte mit Bildungsauftrag verbinden
       
       In einem Land, in dem es in weiten Teilen der Gesellschaft vollkommen
       akzeptabel ist, „Zigeuner ins Gas“ zu wünschen, ist eine Gedenkstätte zum
       Roma-Holocaust sicher sinnvoll. Allerdings auch nur, wenn mehr aus ihr wird
       als nur ein politisches Eitelkeitsprojekt. Dafür, einmal pro Jahr Kränze
       niederzulegen und betroffen zu gucken, reicht eigentlich auch das Denkmal
       aus, das bereits im Jahr 1994 auf dem ehemaligen Lagergelände eingeweiht
       wurde.
       
       Nichts gegen Pietät. Aber was bringt sie, wenn der inhärente Antiziganismus
       schon in den Grundschulen sitzt? Dort wird nichts erzählt darüber, dass 90
       Prozent der böhmischen und mährischen Roma, die seit dem Mittelalter im
       Land lebten, in Auschwitz vergast wurden.
       
       Wenn mit der Gedenkstätte in Lety kein Bildungsauftrag verbunden wird, der
       sich zum Beispiel in Form von Lehrplänen oder Schulexkursionen
       manifestiert, hat Tschechien sich zwar für 18 Millionen Euro ein paar
       internationale Prestigepunkte erkauft. Das Land verspielt aber auch die
       Chance, die Gedenkstätte im Kampf gegen den allgegenwärtigen Rassismus
       gegenüber den Roma zu nutzen.
       
       19 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexandra Mostyn
       
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