# taz.de -- Reformideen für das Außenministerium: Vom Mitläufer zum Mitgestalter
       
       > In Zeiten außenpolitischer Unsicherheit muss Heiko Maas seine Behörde
       > strategischer organisieren: neues Personal, sicherere IT – die Akten
       > digitalisieren!
       
 (IMG) Bild: Der neue Außenminister hat ziemlich viel auf seiner To-Do-Liste
       
       Kann er das? Mit einem Putin oder Erdoğan verhandeln, ohne mit der Wimper
       zu zucken? Reformen in Europa anpacken? Immer mehr Krisen managen? Selten
       war Außenpolitik so entscheidend für Deutschland und Europa. Entsprechend
       viele Fragen haben Experten und Journalisten [1][zu dem neuen Außenminister
       Heiko Maas].
       
       Wenn Maas diese Herausforderungen nur annähernd effektiv angehen möchte,
       dann lautet eine weitere wichtige Frage: Hat er den Mut und den Weitblick
       für Reformen im eigenen Haus, an die sich seine Vorgänger nicht
       herantrauten?
       
       Nicht dass es in den letzten Jahren keine Reformen gegeben hätte. So
       stellte etwa Frank-Walter Steinmeier in einer Reihe von
       Diskussionsveranstaltungen mit Experten, Bürgern und den eigenen Diplomaten
       im Jahr 2014 ganz offen die Frage: „Was ist falsch mit der deutschen
       Außenpolitik?“
       
       Als sichtbarstes Ergebnis schuf das Auswärtige Amt eine neue Abteilung für
       Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und humanitäre Hilfe.
       Das war wichtig, denn damit hat das Amt die Voraussetzung geschaffen,
       Expertise und Projektgelder zu bündeln und systematisch zu lernen. Aber es
       war längst nicht genug. Denn wenn die außenpolitischen Debatten in den
       letzten Jahren eines gezeigt haben, dann dies: Geld und technische
       Unterstützung allein lösen keine politischen Probleme, ob in Krisenländern
       oder anderswo.
       
       Was bislang fehlt, ist die andere Hälfte der Reformen: Die deutsche
       Außenpolitik muss strategischer und politischer werden. Diese Erkenntnis
       trugen auch Steinmeier und insbesondere zuletzt Sigmar Gabriel vor sich
       her. Doch die notwendigen Konsequenzen für den Umbau des Auswärtigen Amts
       zogen sie nicht. Höchste Zeit, dass sich das ändert: Dem Auswärtigen Dienst
       fehlen bis heute die Voraussetzungen, um vom loyalen Mitläufer der
       Amerikaner, Briten und Franzosen zum europäischen Mitgestalter werden zu
       können.
       
       ## Es braucht mehr Diplomaten
       
       Anfangen müsste Heiko Maas bei der Personalpolitik. Die Welt sei „aus den
       Fugen“ – diese Feststellung fehlt derzeit in keiner Rede eines deutschen
       Diplomaten. Nur in der Personalabteilung des Auswärtigen Amts bleibt alles
       beim Alten. Dabei sind die Herausforderungen enorm.
       
       Da fehlen zunächst die Diplomaten. Als Deutschland noch kaum eigene
       Beiträge zu Zielen und Strategien leisten musste, hat das Personal
       ausgereicht. Heute spielt Berlin eine Führungsrolle in der Ukraine, im
       Irak; auch bei der europäischen Haltung zu Iran, Russland, China oder
       Indien kommt es mehr denn je auf Deutschland an. Doch heute liegt die
       Zahl der Planstellen im Außenministerium um knapp 1.000 unter der von 1990.
       Seit 2006 hat sich der Etat des Auswärtigen Amts von 2,3 auf 5,3
       Milliarden Euro mehr als verdoppelt, insbesondere wegen erhöhter Ausgaben
       für Projekte zu „Frieden und Stabilität“ – nicht zuletzt wegen der
       Flüchtlingskrise. Doch die Anzahl derer, die den Einsatz der zusätzlichen
       Gelder sinnvoll steuern sollen, stieg im gleichen Zeitraum um nur 5
       Prozent.
       
       Vor allem in Krisenländern macht sich das bemerkbar. Beispiel Irak: Dort
       engagiert sich die Bundesregierung nicht nur militärisch, sondern auch mit
       mehreren hundert Millionen Euro für komplizierte und politisch hochsensible
       Projekte zum Wiederaufbau, zur Versöhnung oder Rückkehr von
       Binnenflüchtlingen in ihre Heimatorte. Wie viele deutsche Diplomaten
       konnten in den letzten Jahren bei diesen Geldsummen und der hochkomplexen
       politischen Lage in Bagdad Gespräche führen? Genau zwei – neben dem
       Botschafter saß dort ein einziger politischer Referent. In vielen
       Botschaften in Afrika sieht es noch schlechter aus.
       
       Darüber hinaus hält das Amt krampfhaft an den alten Rotations- und
       Generalistenprinzipien fest. Dass Diplomatinnen immer wieder zwischen Aus-
       und Inland wechseln müssen, ist grundsätzlich nicht schlecht. Nur müsste es
       dafür ein Wissensmanagement geben, das über ein paar Seiten Notizen des
       Vorgängers hinausgeht, damit die Kollegen nicht alle drei Jahre fast bei
       null anfangen müssen. Und dass sich Diplomaten nicht stärker spezialisieren
       können, ist im 21. Jahrhundert schlicht nicht mehr zeitgemäß. Während die
       Bundeswehr ihre Offiziere für Auslandsposten teilweise ein ganzes Jahr die
       lokale Sprache erlernen lässt, kann eine deutsche Diplomatin froh sein,
       wenn sie vor Antritt eines Jobs im Nahen Osten drei Wochen Arabisch lernen
       durfte. Und dass sie ihre gewonnenen Regionalkenntnisse danach jemals
       wieder anwenden kann, ist auch nicht garantiert.
       
       ## Digitalisierung des gesamten Aktenwesens
       
       All das anzupacken ist eine Herkulesaufgabe, aber mit genügend politischer
       Führung von oben möglich. Anfangen könnte man damit, in der
       Personalabteilung nicht mehr Diplomaten in Rotation, sondern Personalprofis
       einzusetzen. Dann könnte das Ministerium ganz neue Karrierewege schaffen:
       für Kommunikation oder die Umsetzung der Projektmittel, besetzt mit
       Mitarbeitern, die weder ständig rotieren noch den Anspruch haben,
       Botschafter zu werden. Und für das Kerngeschäft muss sich das Amt von der
       Illusion verabschieden, die derzeitige hohe Anzahl von Krisen sei nur
       vorübergehend. Das heißt, endlich genügend permanente Stellen zu schaffen.
       Gleichzeitig muss es möglich sein, auch mal flexibel Mitarbeiter von außen
       anzustellen – auch mal für fünf oder sieben Jahre. Damit würde auch der
       Austausch zwischen Ministerium, Wissenschaft und Privatwirtschaft gestärkt.
       
       Eine überfällige Digitalisierung des gesamten Aktenwesens und des
       Wissensmanagements böte zudem die Möglichkeit, zahlreiche Sachbearbeiter
       für sinnvollere Dinge einzusetzen, als Akten in verstaubte Regale
       einzusortieren oder ein veraltetes Intranet zu bedienen.
       
       Für eine Außenpolitik, die strategiefähiger sein soll, müssten auch
       Entscheidungen anders vorbereitet und getroffen werden. Wie in vielen
       anderen Ministerien auch, arbeitet das Amt mit „Vorlagen“: Ein Vorschlag
       von unten wird auf dem Weg nach oben so lange mit anderen betroffenen
       Referaten und Abteilungen „abgestimmt“, bis jegliche
       Meinungsverschiedenheit ausgeräumt ist und „das Haus“ einen gemeinsamen
       Vorschlag für den Staatssekretär oder Minister hat. Das macht man seit
       Jahrzehnten so. Als es die Hauptaufgabe deutscher Diplomaten war,
       Beschlüsse umzusetzen, hat das vielleicht noch gereicht. Doch es ist das
       Gegenteil von politisch oder strategisch.
       
       Inzwischen wird von deutschen Diplomaten erwartet, dass sie gestalten, für
       ihre Ideen streiten, Kollegen in Paris, Brüssel oder Neu-Delhi von ihnen
       überzeugen. Dafür braucht es auch innerhalb des Amts eine Kultur, in der
       Dissens erwünscht ist; in der öfter von Angesicht zu Angesicht kontrovers
       um die beste Strategie gerungen wird, anstatt schriftlich einen
       Minimalkonsens auszuhandeln; in der Manager Kreativität, Querdenken und
       Streit als Mehrwert und nicht als Risiko sehen; und in der einem Minister
       mehrere, gleichwertige Optionen zur Entscheidung vorgelegt werden. Das
       erfordert einen Kulturwandel und einen neuen Managementstil. Beides muss
       von oben kommen.
       
       ## Mehr Mittel für ordentliche IT-Ausstattung
       
       Ein drittes großes Projekt für den neuen Minister: ein Ministerium, das
       sowohl mit der deutschen Öffentlichkeit und dem Bundestag als auch weltweit
       strategisch kommuniziert. In einer Welt von Brexit und Donald Trump, in der
       China immer stärker und Putin immer hemmungsloser wird, fällt dem
       Auswärtigen Amt eine wichtige Rolle dabei zu, im globalen Wettbewerb für
       ein westliches, liberales und demokratisches Narrativ einzustehen. Dafür
       muss das Ministerium aber so kommunizieren, dass es jemand hört. Das ist
       bisher nicht der Fall.
       
       Dass sich das Auswärtige Amt inzwischen neben der täglichen Pressearbeit
       nun auch mit strategischer Kommunikation beschäftigt, ist ein echter
       Fortschritt. Doch während das Entwicklungsministerium eine eigene Agentur
       unterhält, gar nicht zu reden von den Ressourcen des
       Verteidigungsministeriums, ist Kommunikation im Auswärtigen Amt weiterhin
       Aufgabe viel zu weniger Personen. Und nicht erst seit dem letzten Hack ist
       bekannt, dass auch die IT-Ausstattung dramatisch veraltet ist. Heiko Maas
       könnte gleich am Anfang seiner Amtszeit ein Zeichen setzen, indem er den
       Bereich Strategische Kommunikation mit dem Pressereferat vereint und beim
       Bundestag mehr Mittel für ordentliche IT-Ausstattung und
       Digitalisierungsstrategien einfordert.
       
       Mehr Diplomaten, stärkere Spezialisierung, digitales Wissensmanagement und
       moderne technische Ausstattung, Entscheidungsvorlagen mit neuen Ideen und
       strategische Kommunikation: das sind nur einige dringende Fragen, die nicht
       nur den neuen Minister interessieren sollten, sondern auch den Bundestag.
       Es gibt viele weitere: Wie die Ausbildung der Diplomaten anpassen? Wie den
       Europäischen Auswärtigen Dienst stärken? Wie sich besser mit anderen
       diplomatischen Diensten austauschen?
       
       Eine regelbasierte Weltordnung erhalten, Europa reformieren, Krisen
       bewältigen – die deutsche Außenpolitik hat deutlich an Gewicht gewonnen.
       Deutschland genießt die internationale Anerkennung und die finanziellen
       Möglichkeiten, bei diesen Aufgaben weltweit eine Führungsrolle einzunehmen.
       Die eigene Bürokratie umzukrempeln, gar mehr Geld und Diplomaten zu fordern
       ist nicht gerade ein Prestigeprojekt für den nächsten Außenminister. Doch
       nur wenn er sich dieser Reformen ernsthaft annimmt, wird der nächste
       Außenminister auch bei den vielen prestigeträchtigen Reisen und
       Verhandlungen langfristig noch Erfolg haben.
       
       28 Mar 2018
       
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       artig.