# taz.de -- Die Berliner CDU-Fraktion: Herr Graf und die Geschlossenheit
       
       > Das führende Brüderpaar der Berliner Landespolitik macht dem CDU-Chef
       > Florian Graf Konkurrenz.
       
 (IMG) Bild: Was tut sich da in seinem Rücken? CDU-Fraktionschef Florian Graf hat Konkurrenz
       
       Lübeck also. Es gab schon glamourösere Ziele für eine Klausurtagung der
       Berliner CDU-Fraktion. In Wien war sie zum Beispiel mal. Und auch in
       Warschau – aber daran mag man nicht so gern erinnert werden. Weil später in
       der Zeitung stand, mehrere Abgeordnete hätten dort mehr geshoppt oder
       gefeiert als getagt. Seither nehmen die Christdemokraten – anders als alle
       anderen Fraktionen – keine Journalisten zu ihren Klausuren mehr mit.
       
       Was schade ist. Denn die Medienvertreter hätten am vergangenen Wochenende
       in der kleinen Hansestadt aus aller Nähe betrachten können, wie weit es
       denn wirklich her ist mit der großen Geschlossenheit der CDU-Fraktion, von
       der ihr Vorsitzender Florian Graf in den Tagen vor der Klausur so gern
       sprach.
       
       Denn irgendeinen Grund muss es geben, dass SPDler nicht müde werden, Graf
       als „lame duck“ hinzustellen, als Fraktionschef auf Abruf. Das begann mit
       einem entsprechenden Zwischenruf im Parlament im Dezember an und fand in
       einem Interview von Regierungschef Michael Müller seinen unverhüllten
       Niederschlag. Und auch aus der SPD-Fraktionsspitze raunt es, Graf werde
       bald abgelöst. Und zwar von Mario Czaja.
       
       ## Der will noch was
       
       Im November war der frühere Sozialsenator, während der Flüchtlingskrise
       massiv in der Kritik, plötzlich wieder präsent. Nicht dass er als nun
       einfacher Abgeordneter die vorigen sieben Monate im Parlament blaugemacht
       hätte. Aber er stand erstmals wieder bei einer zentralen Rede am Mikro. Und
       ließ spüren: Der will noch was. Seither arbeitet sich die SPD daran ab,
       Czaja als Graf-Nachfolger hinzustellen. „Die CDU ordnet sich hinter den
       Kulissen neu, und offensichtlich spielt der ehemalige
       Sozialsenator Mario Czaja eine Rolle“, ließ sich Michael Müller in
       besagtem Interview zitieren.
       
       Geht gar nicht, der hat keine Mehrheit in der Fraktion, ist bei den
       Christdemokraten mehrheitlich zu hören. Sicher, der Czaja habe etwas
       Charismatisches, und ein guter Redner sei er auch. Aber er gilt vielen als
       arrogant, Einzelnen gar als nicht verlässlich. Seine politische Basis im
       Osten, wo er das einzige Direktmandat der CDU gewann, ist sicher, aber
       überschaubar: Sein Kreisverband in Marzahn-Hellersdorf, den er seit 2001
       führt, ist mit 530 Mitgliedern einer der kleineren in der über 12.000 Köpfe
       zählenden Berliner CDU.
       
       In Marzahn hat zwar auch die CDU-Landesvorsitzende Monika Grüttters ihren
       Bundestagswahlkreis. Aber die eigentlichen Machtzentren der Partei sind in
       Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf. Und die dortigen Vorsitzenden, die
       Bundestagsabgeordneten Frank Steffel und Thomas Heilmann, zeigen bislang
       kein Interesse daran, Czaja in eine führende Position zu bringen. Der
       selbst mochte sich gegenüber der taz weder zu nachgesagten noch zu
       tatsächlichen Ambitionen äußern.
       
       Für Florian Graf sind das sowie nur Hirngespinste der SPD in deren eigenem
       Interesse. „Wenn der Regierende Bürgermeister von eigenen Problemen
       ablenken will, kann ich das mit Blick auf den Zustand der SPD gut
       verstehen“, sagt der Fraktionschef. „Aber über die CDU muss er sich nicht
       der Kopf zerbrechen. Wir stehen in großer Geschlossenheit.“
       
       ## Zappelig und ungeduldig
       
       Was nicht ganz stimmt. Manche Parteifreunden wirken nämlich mit Blick auf
       die nächste Abgeordnetenhauswahl wie Wartende vor dem WC in der Opernpause:
       extrem zappelig und ungeduldig. Bis zur Wahl sind es zwar noch fast
       dreieinhalb Jahre, aber mancher will jetzt schon eine Festlegung von
       Landeschefin Grütters haben. Die führt die Berliner CDU seit
       Eineinvierteljahren, seit Vorgänger Frank Henkel wegen der Wahlschlappe im
       Herbst 2016 abtrat. Und sie solle jetzt mal klar sagen, ob sie bei der
       nächsten Wahl Spitzenkandidatin sein will.
       
       Was so lange vor einer Wahl schon sehr unüblich wäre. Denn je früher jemand
       Kandidat ist, je länger ist er oder sie angreifbar. Aber man ist halt
       skeptisch, ob Grütters tatsächlich Lust hat, ihren Traumjob als
       Kulturstaatsministerin aufzugeben, den ihr Angela Merkel nach der
       langwierigen Koalitionsbildung jüngst für weitere vier Jahre anvertraut
       hat.
       
       Und da kann man auch in CDU-Kreisen schon mal Dinge hören, wie sie
       SPD-Fraktionschef Raed Saleh vergangenes Jahr im Abgeordnetenhaus offen
       aussprach: „Die Frau Professor [Grütters hat eine Honorarprofessur an der
       FU, d. taz]besucht lieber Cocktailpartys und lässt sich auf Luxusyachten im
       Mittelmeer fotografieren.“ Salehs Botschaft: Grütters interessiere sich
       nicht für profane Berliner Angelegenheiten. Was zwar nicht stimmt, weil
       Grütters bei aller Kulturbegeisterung, die sie qua Job haben muss, weiter
       etwas Bodenständiges hat. Was aber trotzdem haften bleibt.
       
       ## Lernen von S-H
       
       Bei der Klausurtagung in Lübeck wollte sich die Fraktion auch ein bisschen
       abgucken, wie sie – mit wem auch immer an der Spitze – Wahlen gewinnen
       kann. Daniel Günther, seit zehn Monaten Ministerpräsident von
       Schleswig-Holstein und vorher außerhalb dieses Bundeslandes weitgehend
       unbekannt, schaute am zweiten Abend zum Kamingespräch vorbei. Und erzählte
       vom Weg in die schwarz-grün-gelbe Jamaika-Koalition mit dem inzwischen zum
       Grünen-Bundesvorsitzenden avancierten Robert Habeck als Vize.
       
       Immer mit dabei: Stefan Evers, nicht nur Stadtentwicklungsexperte der
       Fraktion, sondern auch Generalsekretär der Berliner CDU. Über ihn sagen
       andere, er wolle im kommenden Jahr ins Europaparlament wechseln. Dort ist
       die Berliner CDU derzeit mit Joachim Zeller vertreten, dem früheren
       Bezirksbürgermeister von Mitte. Der wird zwar nächstes Jahr 67, hat aber
       bislang nicht verlauten lassen, dass er nicht wieder kandidiert. Das
       versicherte jedenfalls sein Brüsseler Büro der taz.
       
       Diese Personalie ist erst einmal nur nice to know, aber nicht mehr. Fiele
       da nicht bei einem Wechsel von Evers das Argument weg, mit dem Grütters ihn
       Ende 2016 als Generalsekretär vorgeschlagen – und dafür seinen beliebten
       Amtsvorgänger Kai Wegner entmachtet hatte. Weil sie selbst in der
       Bundespolitik sei, müsse der Generalsekretär aus der Landespolitik und
       -fraktion kommen – Wegner sitzt wie Grütters im Bundestag. Das sorgte für
       Zoff und einen schlechten Start für die neue Vorsitzende: Evers wurde erst
       im zweiten Wahlgang äußerst knapp gewählt. Bleibt Grütters bei ihrer Logik,
       müsste Evers bei einem Wechsel ins EU-Parlament gehen und sie bräuchte
       einen neuen Generalsekretär. „Alles nur Spekulationen“, sagt Evers selbst
       dazu. „Dass ich europapolitisch engagiert bin, ist bekannt. Aber daraus
       ergeben sich keine Personalentscheidungen, die jetzt zu klären werden.“ Ein
       Dementi hört sich anders an.
       
       Ähnlich wenig überzeugend klingt auch ein Satz, den Florian Graf gern
       wiederholt: „Wir sind die führende Oppositionskraft.“ Quantitativ ist das
       zwar nicht zu bestreiten: Die CDU-Fraktion hat 31 Mitglieder, die beiden
       anderen Oppositionsparteien AfD und FDP haben 23 beziehungsweise 12
       Abgeordnete. In der Praxis aber sieht das manchmal anders aus. Und da ist
       es dann wieder ein Czaja, der Graf Konkurrenz macht: FDP-Mann Sebastian C.
       – der acht Jahre jüngere Bruder von Mario Czaja – führt zwar nur die
       kleinste Parlamentsfraktion an, steht aber dennoch oft im Zentrum.
       
       Was viel damit zu tun hat, dass die FDP ihr Gewinnerthema Tegel aus dem
       Wahlkampf 2016 über den Volksentscheid 2017 dauerhaft im Parlament
       etabliert hat. Sebastian Czaja ist nicht nur Fraktionschef, sondern auch
       Initiator der „Weiter mit Tegel“-Bewegung. Und hat damit mehr Hebel als die
       CDU in der Hand, kann entscheiden, ob er den Weiterbetrieb am
       Verfassungsgericht zu erzwingen versucht. Als er mit Graf Anfang März einen
       neuen BER-Untersuchungsausschuss ankündigte, bezeichnenderweise in den
       Räumen der FDP, war er und nicht der CDU-Fraktionschef die zentrale Figur.
       
       ## Hinter der Linkspartei
       
       Auch Schwächen des rot-rot-grünen Senats, ob tatsächliche oder
       herbeigeschriebene, hat die CDU bislang nicht nutzen können. In Umfragen
       erreichte sie in diesem Jahr 19 bis 20 Prozent. Das ist zwar mehr als bei
       ihrer 17,6-Prozent-Wahlschlappe 2016. Aber nie lag sie damit vor der gerade
       zu Jahresbeginn bundesweit taumelnden SPD. Im Februar rutschte sie sogar
       hinter die Linkspartei.
       
       Durchaus möglich, dass die befragten Berliner die Lage der Dinge in der
       Hauptstadt als weniger desaströs wahrnehmen als die CDU. Graf wird nicht
       müde, von „Chaos“ zu sprechen, etwa in Sachen S-Bahn. Wo zwar tatsächlich
       Züge ausfallen, ein „Zustand vollständiger Unordnung“ – für den das aus dem
       Griechischen stammende Wort Chaos steht – aber weit entfernt ist. Es
       überzeugt auch nicht, wenn Graf der Koalition vorwirft, vor allem die
       Randbezirke der Stadt stiefmütterlich zu behandeln – kaum vorstellbar, dass
       das mit einer Linkspartei passiert, die in den Randbezirken Marzahn,
       Lichtenberg und Treptow-Köpenick ihre stärksten Ergebnisse holt. Die hat
       kein Interesse daran, ihre Wähler zu verprellen.
       
       Von ihrer Klausurtagung in Lübeck bringt die CDU-Fraktion einen ganzen
       Stapel Beschlüsse und Konzepte mit. Wer grätzeln will, könnte natürlich
       sagen, dass man deshalb so arbeitsam war, weil Lübeck nicht so spannend ist
       wie einst Warschau und folglich weniger ablenkt. In jedem Fall war auch
       ohne Journalisten vor Ort am Ende durchaus davon zu lesen oder zu hören –
       unter anderem von Forderungen nach einer Fußfessel für jeden islamistischen
       Gefährder, einer Helmpflicht für radelnde Kinder und einer Express-S-Bahn.
       Und: Fraktionschef ist auch weiterhin Florian Graf.
       
       18 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
       
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