# taz.de -- Neuer Comic über Gérard Depardieu: „Ein eruptiver Charakter“
       
       > Comic-Autor Mathieu Sapin hat den exzentrischen Gérard Depardieu auf
       > Reisen begleitet. Entstanden ist eine intime und lustige Graphic Novel.
       
 (IMG) Bild: Der Schauspieler und der Comiczeichner scheinen sich blendend zu verstehen
       
       „Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“, so lautet der Titel
       einer Graphic Novel des Zeichners Mathieu Sapin. Der 1974 geborene
       Franzose Sapin hat sich bislang durch Comics für Kinder und eine Reihe
       dokumentarischer Comics einen Namen gemacht, die sich mit der französischen
       Politik auseinandersetzen. 
       
       2012 bekam Sapin die Gelegenheit, an einer TV-Dokumentation mitzuwirken, in
       der Gérard Depardieu auf den Spuren des Schriftstellers Alexandre Dumas
       wandelt. Dabei entwickelte er eine persönliche Beziehung zu dem
       französischen Enfant terrible. In Mathieu Sapin reifte die Idee, eine
       Comic-Reportage zu machen, die Depardieu aus nächster Nähe über einen
       längeren Zeitraum beobachtet. 
       
       So verabredete sich Mathieu Sapin über eine Spanne von fünf Jahren immer
       wieder mit Depardieu, begleitete ihn auf Reisen nach Aserbaidschan und
       Russland, besuchte ihn bei Dreharbeiten oder zu Hause in seiner Villa in
       Paris. Das taz-Gespräch mit Mathieu Sapin fand in den Räumen des Reprodukt
       Verlags in Berlin statt. Sapin machte dort auf dem Weg zu einer Lesung in
       Deutschland Station. 
       
       taz am wochenende: Monsieur Sapin, „Gérard“ ist Ihre erste Veröffentlichung
       in deutscher Sprache. Aber nicht Ihre erste dokufiktionale Comicreportage … 
       
       Mathieu Sapin: Ja, ich entdeckte den dokumentarischen Comic als geeignete
       Form 2010, als Joann Sfar den Film „Gainsbourg“ machte und mir erlaubte,
       einen Making-of-Comic zum Film zu machen. Danach wurde mir vorgeschlagen,
       sechs Monate die Arbeit der Libération zu dokumentieren, und so entstand
       ein Comic über den redaktionellen Alltag einer Zeitung. Über Libération
       habe ich die Gelegenheit bekommen, die Kampagne des
       Präsidentschaftskandidaten François Hollande zu begleiten und später in
       Comicform zu erzählen. Danach entwickelte ich die Idee, über zwei Jahre das
       Leben im Élysée-Palast zu dokumentieren, und François Hollande erlaubte es
       mir. Ergebnis war der Comic „Le Château“. Das Mysteriöse am Élysée-Palast
       hat mich dabei besonders gereizt, ebenso der Alltag dort.
       
       In Ihrer aktuellen Graphic Novel „Gérard“ erzählen Sie zunächst, wie sie
       Depardieu kennenlernten und wie es zu ihrer Zusammenarbeit kam. Am Anfang
       wurde ein Comiczeichner für die arte-Doku „Reise durch den Kaukasus“ als
       Begleitung von Depardieu gesucht. 
       
       Ich war nicht der Erste, dem das Projekt vorgeschlagen wurde. Es gab vier,
       fünf Zeichner, wie Christophe Blain, die das Projekt eher abschreckte und
       die ablehnten. Dann erst kam ich an die Reihe.
       
       Wie gut kannten Sie da Depardieu und seine Filme? 
       
       Die Chance, mitzumachen, ergab sich sehr kurzfristig, eine Woche vor
       Drehbeginn. Ich kannte gar nicht so viele seiner Filme, auch seine
       Autobiografie kannte ich nicht. Ich hatte schon Bedenken, dass das ein
       Problem werden könnte. Doch dann stellte sich heraus, dass Depardieu
       erleichtert reagierte, weil ich viele seiner Filme nicht kannte. Er ist gar
       nicht so stolz, redet nicht gerne von der Vergangenheit und reagiert eher
       genervt, wenn er von Leuten mit Lobhudeleien für ältere Rollen angesprochen
       wird.
       
       Fünf Jahre haben Sie Depardieu begleitet. Ist dabei eine Freundschaft
       entstanden? 
       
       Depardieu hat sich sehr offen gezeigt. Er interessiert sich zwar nicht
       sonderlich für meine Arbeit als Zeichner, aber sehr für Menschen. Unser
       Verhältnis ist schon freundschaftlich, aber es ist wohl zu kompliziert, mit
       ihm eine echte Freundschaft zu unterhalten – er ist nicht der Typ, mit dem
       man in Urlaub fahren kann.
       
       Wie ist heute seine Bedeutung in Frankreich? 
       
       Er ist schon sehr lange eine öffentliche Person, wie vielleicht bis vor
       Kurzem nur vergleichbar mit Johnny Hallyday. Für viele Generationen war
       Depardieu einfach „schon immer da“. Jeder in Frankreich hat irgendeine
       Meinung zu ihm. Manche Leute bewundern ihn, andere fühlen sich abgestoßen.
       Er spaltet sehr, weil er ein loses Mundwerk hat, ein echter Störenfried
       sein kann. Gleichzeitig hat er ein sehr paradoxes Verhältnis zu Frankreich.
       Einerseits ist er in seinem ganzen Lebensstil sehr französisch, aber dann
       spürt er auch die Grenzen des heutigen Frankreich, interessiert sich mehr
       für andere Länder, spricht gerne von Russland, Algerien. Ich wollte ein
       Porträt machen, ohne zu beurteilen, was er denkt oder sagt. Das Porträt
       einer Person, die sich außerhalb der Normen bewegt. Das fasziniert mich.
       
       In den letzten Jahren hat Depardieu vor allem Schlagzeilen durch seine
       Abkehr von Frankreich gemacht: erst der belgische Wohnsitz, dann der
       russische Pass … Er lebt im Luxus und kann sich das erlauben. 
       
       Er ist ständig in Bewegung. Meiner Ansicht nach steht dahinter eine
       Sehnsucht nach Freiheit. Zugleich muss man bedenken, dass er ein Star ist
       und ihn das immer begleitet. Er versucht, ein normales Leben zu führen,
       aber es gelingt nicht. Daher dieser Freiheitsdrang. Er lebt luxuriös,
       gleichzeitig schert er sich auch einen Dreck darum.
       
       In Russland ist Depardieu sehr beliebt. Wie erklären Sie sich das? 
       
       Er ist sehr berühmt. Einmal durch seine Filme, insbesondere die Komödien
       mit Pierre Richard, die dort sehr populär sind, und Gérard wiederum zeigt
       öffentlich seine Zuneigung zu dem Land, was nicht viele ausländische Stars
       machen. Das nimmt viele Menschen für ihn ein.
       
       Der Comic bezieht keine Stellung zu seiner politischen Haltung. Seine
       fragwürdigen Beziehungen zu Putin und weiteren hochrangigen Politikern des
       ehemaligen Ostblocks wird nur beiläufig erwähnt. Was treibt Depardieu dazu
       – eine Verehrung der Macht? 
       
       Nun, ich denke, Gérard fühlt sich tatsächlich von mächtigen Männern
       angezogen, vielleicht auch von der Macht schlechthin. Depardieu sagt aber
       immer, was er denkt. Und umgekehrt ist Putin wiederum fasziniert von
       Künstlern, von deren Unabhängigkeit und Popularität. Künstler und Politiker
       – wahrscheinlich beneiden sie jeweils den anderen um etwas, was sie selbst
       nicht haben. In früheren Zeiten stand er Mitterrand nahe, hat Fidel Castro
       und Johannes Paul II. gekannt. Kürzlich traf ich selbst Emmanuel Macron –
       es ist schwer, sich der Faszination, die von mächtigen Personen ausgeht,
       gänzlich zu entziehen.
       
       Kann man mit Depardieu über das Thema Macht diskutieren? 
       
       Über Macht und seine Ambivalenz diskutiert er eigentlich nicht. Aber er mag
       es auch nicht, wenn die Leute nur Ja sagen. Tatsächlich sind die meisten
       von ihm, dem Star, eingenommen und reden ihm nach dem Munde. Mir ist es
       öfter passiert, dass ich etwas Kritisches einwarf, und ihm gerade das
       gefiel. Vermutlich hat er mir deshalb auch sein Vertrauen geschenkt, weil
       ich manchmal Widerstand zeigte. Er ist sehr ehrlich und möchte von dir
       wissen: „Was denkst du wirklich darüber?“Aber man muss auf der Hut sein: Er
       ist ein sehr eruptiver Charakter, mit dem man nicht einfach Konversation
       machen kann. Er ist jemand, der sich bei jedem Satz verpflichtet fühlt,
       nachzudenken. Banalitäten hasst er.
       
       Manchmal erscheint Depardieu im Comic sehr einsam. Über sein Familienleben
       erfahren wir wenig. 
       
       Ich wollte nicht allzu privat werden. Er hat das selbst nicht verlangt, ich
       habe seine Familie kennengelernt. Er ist immer von Menschen umgeben, also
       denke ich nicht, dass er einsam ist – allerdings spricht er von Trauer und
       Schmerz, was Personen betrifft, die nicht mehr da sind und die wichtig für
       ihn sind. Deren Verschwinden hat sicher eine Leerstelle in ihm geschaffen.
       Sein Sohn Guillaume, aber auch die Sängerin Barbara, der Schauspieler Jean
       Carmet, François Truffaut, Marguerite Duras … das sind alle Personen, zu
       denen es starke Bindungen gab.
       
       Depardieu wirkt durch seine Physiognomie wie eine perfekte Comicfigur … 
       
       Dabei interessieren Comics ihn überhaupt nicht. Aber das war für mich in
       Ordnung. Er ist wirklich eine gute Comicfigur, ein Charakter, der von
       Shakespeare sein könnte, hyperkomplex. Es ist unmöglich, eine fiktive Figur
       zu erfinden wie ihn: reich an Facetten, menschlich, widersprüchlich.
       
       1 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralph Trommer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gérard Depardieu
 (DIR) Graphic Novel
 (DIR) Französischer Comic
 (DIR) Comic
 (DIR) Joann Sfar
 (DIR) Französischer Comic
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Schwerpunkt #metoo
 (DIR) Comic
 (DIR) Paris
 (DIR) Kinder- und Jugendbücher
 (DIR) Graphic Novel
 (DIR) Black Panther
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Comic „Ralph Azham“ von Lewis Trondheim: Donald Ducks dunkler Bruder
       
       Ein Fantasycomic für Erwachsene, der mit Erwartungshaltungen spielt: Lewis
       Trondheim hat seine Reihe um „Ralph Azham“ abgeschlossen.
       
 (DIR) Ausstellung und neuer Comic von Sfar: Philosophische Katzen und Vampire
       
       Das Cartoonmuseum Basel zeigt Ausschnitte aus dem Werk des Comicautors
       Joann Sfar. Avant veröffentlicht den 3. Band „Die Katze des Rabbiners“.
       
 (DIR) Französische Avantgarde im Comic: Ästhetik der Pariser Bohème
       
       Das Untergrundleben einer anarchistischen KünstlerInnengruppe: Davon
       erzählt mit feiner, origineller Linie „Der Bücherdieb“.
       
 (DIR) Depardieu will türkischen Pass: Sein Panini-Album der Autokraten
       
       Der Schauspieler kann es nicht lassen: Er steht einfach auf
       Staatsbürgerschaften. Und auf despotische Herrscher. Jetzt hat es ihm die
       Türkei angetan.
       
 (DIR) Vergewaltigungsvorwurf in Frankreich: Vorermittlungen gegen Depardieu
       
       Der Schauspieler wurde von einer Kollegin angezeigt, weil er sie
       vergewaltigt haben soll. Über seinen Anwalt lässt er die Vorwürfe
       bestreiten.
       
 (DIR) Neuer Comic über Wohlstandsgesellschaft: Unaufrichtigkeit siegt
       
       In Anna Sommers Graphic Novel „Das Unbekannte“ wird ein Baby ausgesetzt,
       ein Hund angeschafft und nach dem Glück gesucht.
       
 (DIR) Filmstadt Paris: Großes Kino
       
       Außer den USA hat kein Land so viel zur Entwicklung des Films beigetragen.
       Und im Filmmuseum steht die größte Sammlung der Welt.
       
 (DIR) Aktuelle Ausgabe „Lustiges Taschenbuch“: Neuer „Tatort“-Ermittler ist eine Ente
       
       Donald Duck wird Kommissar. Der „Tatort“ aus Entenhausen erinnert an den
       echten aus Münster oder an den Pott –„Schimauski“ zum Beispiel.
       
 (DIR) Graphic Novel aus Frankreich: Eine nicht ganz konfliktfreie Beziehung
       
       Zwei Brüder, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sind die Hauptfiguren
       der berührenden Graphic Novel „Die zwei Leben von Balduin“ von Fabien
       Toulmé.
       
 (DIR) Afrofuturistischer Comic „Black Panther“: Unbehelligt von der Sklaverei
       
       Was es bedeutet, heute schwarz zu sein: Im Comic „Black Panther“, dem
       gleichnamigen Film und Soundtrack geht es um Aushandlungsprozesse.