# taz.de -- „MannSein“-Konferenz in Berlin: Im männlichen Schutzraum
       
       > Bei der Konferenz begegnen sich Männer angenehm uncool. Doch über
       > wirkliche Probleme wird auch dort lieber geschwiegen als gesprochen.
       
 (IMG) Bild: Der Saal ist voll
       
       BERLIN taz | Zwei Männer liegen einander mitten auf der Straße in den
       Armen, auf eine herzlich fühlende Art. Nicht dieses steife Verkanten, das
       man von Männern kennt: als würden sich zwei Spielzeugroboter in die Arme
       fallen. Die Schlange vor „MannSein“ ist von solchen Szenen der Zärtlichkeit
       geprägt.
       
       Die Konferenz zur Männlichkeit, die seit 2014 jährlich stattfindet, hat
       sich nach Alt-Tegel zurückgezogen. Vom Konferenzzentrum aus gleitet der
       Blick über den stillen See und dessen Promenade. Die Männer im Saal sind
       aber mehr damit beschäftigt, einander kennenzulernen oder sich über das
       Wiedersehen zu freuen. Viele gehören zum Stammpublikum.
       
       Zum vierten Mal wird MannSein von MalEvolution ausgerichtet, einem Verein,
       entstanden „aus dem Bewusstsein, was passiert wenn man sich als Mann unter
       Männer begibt und sich miteinander auseinandersetzt“, so Mitveranstalter
       John Aigner. Dieses Bewusstsein versuchen sie jetzt mit ihrer Konferenz
       nach außen zu tragen. Es geht um Wachstum und Weiterentwicklung als Mann,
       zeitgemäß, bewusst und selbstsicher. Dazu werden Männer eingeladen, die
       „ihre Männergeschichten“ erzählen. Kein Dogmatismus, kein Credo, eher ein
       Angebot zur Zusammenkunft. Von einer „Parallelbewegung zum Feminismus“
       spricht Aigner.
       
       Ein erster Gang durch den Saal zeigt die anwesenden Männer im emotionalen
       Gespräch, lächelnd, offen. Angenehm anders, auf eine Art, die den
       Männerrunden dieser Gesellschaft sonst abgeht. Und dabei scheint es
       zwischen dem mittelalten Mann in Cargo-Shorts und schüchternem Blick und
       dem stereotypen Surfertypen, barfuß und braun gebrannt, wenige Unterschiede
       zu geben. Aus jedem Winkel der Mitte der Gesellschaft sind die Männer
       gekommen.
       
       Eingangs verspricht uns Moderator Thomas Wasik „kleine Wunder, große
       Wunder“. Ein erstes solches Wunder will gleich der erste Speaker, Andreas
       Reimers, zeigen. Er erklärt uns, dass in uns der weiße mit dem schwarzen
       Wolf, die Lust mit dem Schmerz, ringen. Und wie wir Letzteren verjagen
       können. 400 Männer legen ihren Kopf in den Nacken und knurren. Ein
       Spektakel, das von innen weniger bedrohlich als tatsächlich ermutigend
       wirkt. Bis er erklärt, dass wir unsere Energie gerade wie einen Laser
       gebündelt haben. Das männliche Prinzip, dem er als weibliches eine
       Glühbirne gegenüberstellt.
       
       Er schneidet einige wichtige Leitthemen der Konferenz an: Authentizität und
       ein neuer Umgang mit anderen Männern, geprägt von Vertrauen und Offenheit.
       Dieser zentrale Gedanke der Philosophie von MalEvolution ist der rote
       Faden, der sich durch die sonst eher vage neue Männlichkeit zieht. Auch
       Fitnesscoach Felix Kade, der auf Reimers folgt, klärt darüber nicht auf.
       Zwar gibt er eine Definition dessen, was der Mann ist. Doch diese fällt
       reichlich dürftig aus: „Ein Mensch mit einem Schwanz. Und Testosteron.“ Zum
       Aufbau von Letzterem hat er dann auch Ernährungs- und Lifestylestrategien
       parat, der Frage, was der neue Mann ist, kommt er dabei nicht näher.
       
       Den Vormittagsblock schließt Richard Scheerbauer, Soziologie, Musiker und
       Autor. Er redet über den Verlust von männlichen Bezugspersonen unter
       Männern. Mit seiner Feststellung, dass erst intensive Männerfreundschaften
       den Zugang zur befreiten Liebe ermöglichen würden, halten das erste Mal
       Frauen nicht als das andere, sondern als Partnerin und Mitmenschen Einzug
       in die Vorträge. Auffällig ist auch, dass sein Vortrag weniger den
       Charakter seiner Vorgänger hat: kein Coaching, keine neoliberale Arbeit am
       Selbst.
       
       ## Wirklich anders männlich
       
       Grübelnd gehe ich in die Pause. Über das Geschlechterverhältnis habe ich
       heute wenig gelernt, auch die neue Männlichkeit erscheint mir fern. Wäre da
       nicht die Atmosphäre im Raum, dieses Miteinander von Männern, wie ich es
       aus dem Alltag nicht kenne. Eine Veränderung, die nicht von der Hand zu
       weisen ist. Reimers’ ausgiebige Übungen, unseren Nachbarn unsere Ängste
       mitzuteilen und ihnen Komplimente zu machen, fühlen sich ungewohnt an. Mit
       geschlossenen Augen genieße ich die Mittagssonne auf einer Bank am See und
       staune über die Innerlichkeit und inwendige Aufmerksamkeit, die sich
       anstelle distanzierter Beobachtung gesetzt haben.
       
       Eine Haltung, die Gerald Hüther schnell verpuffen lässt. Der Hirnforscher
       umreißt im Eiltempo eine Gesellschaftskritik, die in der Objektivierung die
       Quelle allen Übels erkannt hat. Es folgt einiges über Hierarchien,
       Autonomie und das völlige Versagen des Bildungssystem. Am Ende steht
       weiterhin, dass wir einfach wir selbst, aber eben unser Bestes sein
       sollten. Liebende nennt er das. Die Naturalisierung geschlechtlicher
       Verhältnisse, die die anderen Vorträge mit Anekdoten aus der Steinzeit
       erledigen, darf hier in der Sprache der Neurowissenschaften auftreten.
       Immerhin: Das Wort Patriarchat fällt zum ersten Mal – nur um von
       vereinzeltem Lachen aus dem Publikum quittiert zu werden.
       
       Mit Spannung wird danach der letzte Referent erwartet: Seit über 40 Jahren
       arbeitet Walter Hollstein in der Männerforschung. Doch die wiederholten
       Forderungen, die Probleme von Männern stärker in den Mittelpunkt der
       Gesellschaft zu rücken, haben ihm den Ruf eines Maskulinisten eingebracht.
       Mit einem ausgedehnten Schwenker durch die eigene Lebensgeschichte kommt er
       auch heute wieder bei seinem Kernthema an: der Krise der Männlichkeit.
       Diese bliebe von der Gesellschaft ignoriert, Männer seien allein damit,
       eine Lösung für ihre problematisch gewordene Identität zu finden. Hollstein
       ist einen Schritt weiter und empfiehlt einen Blick in den „Parzival“ oder
       die „Odyssee“. Hier sieht er männliche Qualitäten: „Mut, Pioniergeist,
       Grenzüberschreitung“. Ist der neue Mann dann nicht der alte? Eine Frage,
       deren Antwort ausbleibt, stattdessen folgen Tiraden auf „Softys“.
       
       Der Saal leert sich schon, als die letzte Veranstaltung auf der Bühne
       beginnt: „MeToo und wir Männer – Chancen und Erkenntnise“ ist die
       Podiumsdiskussion überschrieben. Aigner, Hollstein, Schriftsteller Ralf
       Bönt und Coach Cristián Gálvez nehmen Platz. Was folgt, sind teilweise
       ehrlich wirkende Anteilnahme und die Feststellung, die Bewegung habe
       Wichtiges in Bewegung gebracht. Dann aber auch die Aussage, der Hashtag sei
       wenig mehr als ein großer Lustrausch der Frauen. Dann wieder, dass die
       Frage „Was darf Mann noch?“ diesem eine große Chance bietet. Dem Aufruf,
       jeder Mann möge in sich die Momente suchen, in denen er ekelhaft gehandelt
       und Frauen nicht als Subjekte gesehen habe, folgt die Entgegnung, wer
       Frauen mehr als Subjekt sähe, wolle sie nun mal nicht mehr ficken. Alles
       findet seinen Raum, steht irgendwie nebeneinander und findet Applaus.
       
       Der nebulöse neue Mann ist das, was aus den Männern der Konferenz erst noch
       werden muss. Und der Versuch, dies auch mittels Bewusstwerdung, Anteilnahme
       und Empathie im Rahmen des männlichen Schutzraums zu suchen, ist sicherlich
       nicht verkehrt. Nur stößt ein solches Versuch auch an seine Grenzen, und
       zwischen Selbstfindung und Verständnis wird den harten, unbequemen
       Wahrheiten zeitgenössischer Männlichkeit kaum Raum gegeben. Die Frage der
       Gewalt taucht erst in der Diskussion auf, nur um sofort mit der Frage nach
       Täterinnen relativiert zu werden. Und ob der neue Mann der ist, der sich am
       Feminismus orientiert, bleibt am ersten Konferenztag völlig offen.
       
       „Wir bieten Rahmenbedingungen“, wie Aigner sagt. Und diese
       Rahmenbedingungen schaffen es, Männer zum Loslassen und Nachdenken zu
       bringen – ein großer Schritt! Aber die Antwort auf die Krise der
       Männlichkeit in Ursprünglichkeit, Authentizität und Schamanenkakao zu
       suchen, greift zu kurz. Männlichkeit wird so zur Frage individueller
       Identität, nicht gesellschaftlicher Verhältnisse. Um aus dem Anspruch nicht
       zu verschrecken wird ein Schweigen über die Probleme gelegt. Das bietet die
       Möglichkeit, echt umarmt und gestärkt, aber eben doch als der alte Mann aus
       der Konferenz zu gehen.
       
       3 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arved Clute-Simon
       
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