# taz.de -- Lebe wohl, Leipzig
       
       > Zur letzten Ausgabe der Leipzig-Seite schreiben drei tazler*innen Texte
       > zum Abschied. Unsere Autorin verlässt die Stadt Richtung Norden; sie ist
       > wehmütig, aber auch erleichtert
       
 (IMG) Bild: Unsere Autorin Nadja Mitzkat verlässt Leipzig nach 13 Jahren
       
       Von Nadja Mitzkat
       
       Als Familie gibt es eigentlich keinen Grund, Leipzig zu verlassen. In
       dieser Stadt können sich Eltern und Kinder gleichermaßen wohl fühlen. Sie
       ist groß genug, um jede Menge Kultur zu bieten: Wenn ich möchte, kann ich
       mir die Abende mit Ausstellungseröffnungen und Vorträgen vertreiben, mir
       die Nächte in den Off-Kinos, Bars und Clubs um die Ohren schlagen.
       
       Gleichzeitig ist Leipzig klein genug, um Kindern ein bisschen Bullerbü zu
       bieten. Die Wege sind kurz und lassen sich größtenteils mit dem Fahrrad
       zurücklegen. Nachmittags sind wir deshalb oft am See oder in einem der
       weitläufigen Parks. Anders als in den deutschen Millionenstädten mit ihren
       aus U- und S-Bahnen strömenden Menschenmassen bin ich in Leipzig nicht
       gestresst, wenn ich mich mit den Kindern durch die Stadt bewege.
       
       Für eine Großstadt lebt es sich erstaunlich entspannt hier. Als ich 2005
       aus Berlin zum Studium herkam, konnte ich dem zunächst nur wenig
       abgewinnen. Auf den menschenleeren Straßen fühlte ich mich einsam, und die
       Alternativszene mit Dreadlockträgern in Cordschlaghosen empfand ich als
       unfassbar unzeitgemäß. Ich ereiferte mich darüber, wie improvisiert alles
       aussah. Ganz so, als hätte jemand die in Hamburg, Berlin oder München
       entwickelten Ladenkonzepte geklaut und dann weniger gut umgesetzt.
       
       Mittlerweile weiß ich das Unfertige zu schätzen. Die Stadt hat eine
       Haltung, die über die bloße Verweigerung, den Modetrends zu folgen,
       hinausgeht. Sie widersetzt sich dem neoliberalen Imperativ aus Arbeit,
       Konsum, noch mehr Arbeit und noch mehr Konsum – und bietet all jenen einen
       Platz, die dieser Spirale entfliehen wollen.
       
       Nach über zehn Jahren in der Stadt habe ich mich an den im Rest der
       Republik belächelten Dialekt gewöhnt. Mittlerweile höre ich den weichen
       Singsang sogar ganz gern. Die sächsische Mentalität ist mir hingegen fremd
       geblieben. Zwar bin ich ebenfalls Ostdeutsche, aber als Berlinerin
       irritiert mich die weit verbreitete Mischung aus Regionalpatriotismus,
       geistiger Enge und dem Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, stets aufs Neue.
       
       In Leipzig konnte ich all das lange verdrängen. Die Stadt schien mir so
       viel bunter, offener und weltläufiger als der Rest Sachsens zu sein. Für
       mich stand fest: Leipzig ist die linke Enklave im konservativen bis
       reaktionären Sachsen. Während Pegida in Dresden zehntausendfachen Zulauf
       erhielt, haben wir hier schließlich Legida gleich zu Beginn in die
       Schranken verwiesen.
       
       Wie passend, dass dem Linken Sören Pellmann bei der Bundestagswahl im
       Herbst 2017 das Husarenstück gelang, sich im Leipziger Süden gegen seinen
       Konkurrenten von der CDU durchzusetzen und per Direktmandat ins Parlament
       einzuziehen.
       
       Doch die Freude währte nur kurz, denn ein genauerer Blick auf die
       Wahlergebnisse zeigte – fast jeder fünfte Leipziger hat sein Kreuzchen bei
       den Blauen von der AfD gesetzt. Seitdem hat sich mein Blick auf die Stadt
       gewandelt, ist misstrauischer geworden. Ich beobachte meine Mitmenschen
       genauer, frage mich, wer von ihnen wohl auch für die konsequente Abweisung
       aller Geflüchteten wäre.
       
       Müssten wir nicht gerade jetzt bleiben, um dem blau-braunen Sumpf etwas
       entgegenzusetzen? Nein, denn es würde nichts ändern. Jenseits von
       Demonstrationen gibt es kaum Kontakte zwischen den Linken-Wählern aus den
       zentrumsnahen Bezirken und den AfD-Befürwortern am Stadtrand. Man bleibt im
       Alltag unter sich. Dass wir gehen, macht de facto keinen Unterschied.
       
       Mich treiben nicht nur die Wahlergebnisse fort, sondern auch eine Sehnsucht
       nach Vielfalt, die Leipzig auch unter anderen politischen Vorzeichen kaum
       stillen könnte. Zwar gibt sich die Stadt gerne weltläufig. Dabei schreckt
       das Stadtmarketing auch nicht davor zurück, sich den von André Herrmann in
       ironischer Absicht gebrauchten Begriff „Hypezig“ anzueignen. Doch ist
       Leipzig in mancher Hinsicht provinziell. Das internationale Flair
       beschränkt sich zumeist auf vietnamesische Obststände und arabische
       Falafelverkäufer. Man schmort hier häufig im eigenen Saft. Gute Ideen von
       außen fehlen. Denn Kreative und Unternehmer aus aller Welt siedeln sich
       lieber in den Großstädten im Norden, Westen oder Süden Deutschlands an.
       
       Aber dafür kann man die Mieten noch bezahlen, mag jetzt manch einer denken.
       Doch wird die beständig wiederholte Erzählung, in Leipzig lasse es sich
       aufgrund der niedrigen Lebenshaltungskosten fantastisch leben, dadurch
       nicht wahrer. Sie gilt nur noch für bestimmte Gruppen. Studierende, die von
       ihren Eltern unterstützt werden oder Bafög beziehen, finden hier eher ein
       erschwingliches Zimmer als in Hamburg, Berlin oder München. Und auch
       Freiberufler mit Auftraggebern im Westen profitieren.
       
       Für alle anderen gilt: Nicht nur die Lebenshaltungskosten sind niedrig,
       sondern auch die Löhne. Denn in und um Leipzig gibt es kaum große
       Unternehmen. Insbesondere Geisteswissenschaftler, die in der Stadt bleiben
       wollen, müssen sich ihre Stelle häufig erst schaffen. Wer auf Nummer sicher
       gehen und beruflich vorankommen will, tut es den mehr als 20.000 Menschen
       gleich, die Jahr für Jahr die Stadt verlassen und geht, wie ein knappes
       Viertel von ihnen, in den Westen – zumindest temporär.
       
       Und so teilt sich unser Leipziger Freundeskreis in drei große Gruppen:
       diejenigen, die Glück hatten und eine Festanstellung ergattern konnten;
       diejenigen, die selbstständig als Lektoren, Websitedesigner und Fotografen
       arbeiten – häufig für weniger als die rund 1.300 Euro netto, die Leipziger
       durchschnittlich pro Monat verdienen; und diejenigen, die in Hamburg,
       München oder Köln ihr Glück suchen.
       
       Zu der letztgenannten Gruppe zählen ab Juli dann auch wir. Leipzig, wir
       werden deine entspannte Art vermissen!
       
       22 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadja Mitzkat
       
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