# taz.de -- Island überzeugt neben dem Platz: Das beste Land der Welt
       
       > Mehr Vulkane als Fußballer, Penis-Museum, besondere Datingapp.
       > Isländischer Fußball ist dann schön, wenn man das Drumherum mitdenkt.
       
 (IMG) Bild: Isländische Fans freuen sich über jeden Ballkontakt ihrer Mannschaft. Und immer wieder wird gehuht
       
       Vor einer Woche sah ich in Reykjavik das Spiel [1][Island gegen
       Argentinien]. Es war ein ganz normaler isländischer Sommertag, acht Grad,
       starker Regen. Im Stadtpark war eine große Leinwand aufgebaut, davor
       standen drei- bis viertausend Leute in Regenjacken, Mützen und Schals.
       
       Ich war wie die anderen etwa 20 Ausländer unter zwei Schirme geflüchtet und
       fror. Kinder sprangen barfuß auf einer Hüpfburg herum und rutschten durch
       Pfützen. Kein Kind weinte. Alle hatten so ein Glimmen in den Augen. Ich
       verstand nur die Namen der Spieler im Ballbesitz. Ich hörte oft: Messi.
       Aguero. Messi. Hannes. Hannes Halldórsson, den Torwart, nannte der
       Kommentator natürlich beim Vornamen.
       
       Und dann schoss Messi in der 61. Minute einen Elfmeter, und Hannes hielt
       ihn. Reykjavik flippte völlig aus. Eigentlich flippte Reykjavik bei jedem
       Ballkontakt aus. Bei jedem verzweifelten Abschlag. Das Unentschieden gegen
       Argentinien feierten alle wie einen Sieg. Ich dachte: Oh, ist isländischer
       Fußball toll. Zurück in Deutschland guckte ich [2][das Spiel gegen
       Nigeria]. Ich schaltete zur Halbzeit ein, der Moderator sagte: „Wir würden
       Ihnen gerne Highlights zeigen, aber es gibt keine.“ Sein Kollege sagte:
       „Island spielt wie eine Mannschaft, die den Ball eigentlich nicht haben
       will“.
       
       Ich versuchte dann, die zweite Halbzeit zu sehen, schaltete aber ziemlich
       schnell ab. Ich dachte: Isländischer Fußball ist gar nicht so toll. Dann
       merkte ich: Man darf isländischen Fußball nie einfach nur so gucken. Man
       sollte immer folgendes mitdenken: Wie machen die das? Das kleinste Team,
       das je bei einer WM war. Wie können die aus Zahnärzten, Filmemachern und
       Profis vom SV Sandhausen ein Team machen, das unentschieden gegen Lionel
       Messi spielt?
       
       ## Überall stehen Fahrräder ohne Schloss
       
       Wenn wir von isländischem Fußball reden, reden wir immer von anderen
       Dingen. Denn Island ist das beste Land der Welt. Es gibt dort mehr aktive
       Vulkane als aktive Fußballer. Auf dem wertvollsten und wichtigsten
       Geldschein, der 10.000-Kronen-Note (umgerechnet 80 Euro) ist ein Vogel. Der
       Goldregenpfeifer, ein sehr friedfertiger Vogel, der zur Balz ein trauriges
       „Trüüüt“ von sich gibt.
       
       Es gibt eine Dating-App, die einen warnt, wenn die Person, die man datet,
       zu nah mit einem verwandt ist. Niemand sperrt seine Haustür ab. Es gibt ein
       Penis-Museum in Island. Ein Seeungeheuer-Museum. Ein Nonsens-Museum.
       Überall stehen Fahrräder ohne Schloss.
       
       Isländische Polizisten tragen keine Waffen. Island hat keine Armee. Island
       ist das sicherste Land der Welt. Seit zehn Jahren in Folge liegt es im
       Ranking des „World Peace Index“ auf Platz 1. Island ist das
       geschlechtergerechteste Land der Welt. Seit neun Jahren liegt es im „Global
       Gender Gap Report“ des World Economic Forum auf Platz 1. Am 24. Oktober
       1975 weigerten sich 90 Prozent aller Isländerinnen, zu kochen, zu putzen,
       zur Arbeit zu gehen. An diesem Tag gingen den Geschäften in Island die
       Würste aus.
       
       Aron Gunnarsson, der Kapitän der Mannschaft, sprach neulich in einem
       Interview über den „Viking spirit“, der das Team trage. Er sagte, um
       ehrlich zu sein waren die Wikinger doch eher Gangster, auf die man nicht
       stolz sein könne. Aber, sagte er, er verstehe unter „Viking spirit“ etwas
       anderes: neue Länder entdecken, sich niederlassen, Kinder aufziehen und ein
       Leben aufbauen. Island hat es in einer beeindruckenden Assoziationsleistung
       geschafft, aus Fußball ein progressives, familienfreundliches
       Wohlfühlunterfangen zu machen.
       
       ## Woran man denken sollte, wenn Island spielt
       
       Dazu noch eine Anekdote: Emmsjé Gauti, der bekannteste isländische Rapper,
       tourte Anfang Juni auf der Insel. In 13 Tagen besuchte er 13 sehr kleine
       Orte. Ich sah ihn in Rif, Westisland, 135 Einwohner. Er trat in einem
       Jugendklub auf. Sehr viele kleine Kinder mit großen Basecaps saßen im
       Publikum. Normalerweise ist es so, dass Emmsjé auf der Bühne durchdreht und
       alle im Publikum auch.
       
       Jetzt waren da lauter Kinder und die Eltern seltsam gehemmt. Also machte
       Emmsjé einen Witz nach dem anderen, bat zwei zwölfjährige Rapper auf die
       Bühne, die den Refrain eines Liedes mitrappten, und eine Gruppe einer
       Behindertenwerkstatt schlug auf die Becken des Schlagzeugs. Eine der Frauen
       aus dieser Gruppe sagte: „Mein Herz folgt deinem, Emmsjé Gauti.“ Das also
       ist isländischer Rap, dachte ich.
       
       Wenn Sie also das nächste Mal isländischen Fußball schauen, denken Sie
       daran: Es ist einfach völlig verblüffend, dass ein Land, dessen Menschen
       bis ins 20. Jahrhundert in Torfhütten lebten, weil es über Jahrhunderte
       keinen einzigen, gar keinen, Baum gab, dass ein Land, dessen Nationalspeise
       vergorener Hai und Stockfisch war, dass ein Land, das seit Jahrhunderten
       auf den Sommer wartet, nun das freundlichste, sicherste, gerechteste,
       feministischste, verrückteste und damit schlicht beste Land der Welt ist.
       Und dass dieses Land eine Mannschaft hervorbrachte, dessen Torwart Hannes
       einen Elfmeter hielt, den der Steuerhinterzieher Lionel Messi (zugegeben
       schlecht) schoss. An all das denken Sie, wenn das nächste Mal ein
       isländischer Verteidiger über seine Füße stolpert.
       
       26 Jun 2018
       
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