# taz.de -- Räumungsklage in Berlin-Neukölln: Mein Bedarf, du bedürftig
       
       > Eine Klage auf Eigenbedarf hat in erster Instanz Erfolg – ein Beispiel,
       > wie niedrig die Hürden für Vermieter bisweilen sein können.
       
 (IMG) Bild: In solchen Sitzungssälen im Amtsgericht Neukölln wird über Schicksale entschieden
       
       BERLIN taz | „Haben Sie Sorgen?“ Ein Justizangestellter schaut zur Tür
       hinein in den kleinen Sitzungssaal des Amtsgerichts Neukölln. Die
       Vorsitzende Richterin verneint. Auf den Bänken vor ihr sitzt ein gutes
       Dutzend UnterstützerInnen der Mieterin Anna S., die meisten aus dem Umfeld
       der Initiative „Solidarische Aktion Neukölln“. Sie alle sind an diesem
       Dienstag zur Urteilsverkündung gekommen. Die Vermieterin von S. hatte
       Eigenbedarf für die kleine, unsanierte Wohnung mit Duschkabine in der Küche
       angemeldet, in der Anna S. seit acht Jahren lebt, und klagt nun auf
       Räumung.
       
       Vor drei Wochen dauerte die [1][Beweisaufnahme in dem Verfahren] noch
       mehrere Stunden. Seinen Abschluss findet es schnell. Die Richterin
       verkündet knapp, dass die Vermieterin und ihr Ehemann ihren Eigenbedarf
       glaubhaft gemacht hätten. Die Wohnung sei bis Ende November zu räumen. Anna
       S. zeigt sich nach der Verhandlung überrascht von dem Urteil: „Ich frage
       mich, an welcher Stelle die Erzählung der Eigentümerin glaubwürdig gewesen
       sein soll.“
       
       Die Eigentümerin mit Hauptwohnsitz im Berliner Umland macht geltend, dass
       sie zumindest im Winter ihren täglichen Arbeitsweg zu einer Anwaltskanzlei
       in Mitte verkürzen wolle. Die Wohnung nahe dem Tempelhofer Feld wolle sie
       deshalb mit ihrem Mann, einem Immobilienkaufmann, als Zweitwohnung
       beziehen.
       
       Während der Beweisaufnahme wurde deutlich, dass das Ehepaar die Wohnung nie
       gesehen hat. Sie ist Teil eines ehemaligen Mietshauses, das von der
       Vermieterin und einem weiteren Gesellschafter erst vor Kurzem in 26
       Eigentumswohnungen aufgeteilt wurde. Diese kleine Wohnung in schlechtem
       Zustand müsse es sein, da sie die billigste Wohneinheit sei und die
       Eigentümerin Angst vor Altersarmut habe. Der Eigenbedarf war angemeldet
       worden, nachdem die Mieterin mit Bezug auf die Mietpreisbremse einen
       niedrigeren Mietzins reklamiert hatte. „Ich liebe meine Bruchbude, und
       jetzt ist einfach mal entschieden worden, dass ich mein Zuhause verlieren
       soll“, sagt Anna S.
       
       Erkennbar wird hier zumindest auf einer Seite, was Carsten Brückner „das
       Aufeinanderprallen zweier Schicksale“ nennt, wenn er ganz allgemein über
       Eigenbedarfsklagen spricht. Brückner ist Rechtsanwalt und Vorsitzender des
       Eigentümerverbandes Haus und Grund. Er ist der Überzeugung, dass die
       Gerichte sich die Entscheidungen in diesen Fällen nicht leicht machen.
       Grundsätzlich sei das Mietrecht eher auf Seiten der MieterInnen. „Wird aber
       ein Eigenbedarf als berechtigtes Interesse nachvollziehbar begründet, ist
       die Erfahrung aus meiner Praxis, dass die Gerichte da kaum eine andere
       Möglichkeit haben, als diesen anzuerkennen“, so Brückner.
       
       Die Erfahrung von Mieterverbänden und -anwälten jedoch ist, dass genau
       diese nachvollziehbare Begründung recht weit gefasst sein kann. Sie
       schätzen Eigenbedarfsfeststellungen deshalb als besonders anfällig für
       Missbrauch ein. Der nachträgliche Beweis eines vorgetäuschten Eigenbedarfs
       ist dazu außerordentlich schwierig. Er führt selbst bei Erfolg vor Gericht
       in aller Regel lediglich zu finanziellen Entschädigungen. Der Wiedereinzug
       in eine geräumte Wohnung ist meistens nicht mehr möglich.
       
       ## Weiterer Rechtsweg wahrscheinlich
       
       Allein deshalb nutzen Mieter wie Vermieter bei Eigenbedarfsklagen nicht
       selten alle Rechtsmittel aus. „Da ist aller Erfahrung nach der Weg durch
       die Instanzen von beiden Seiten mit eingepreist“, bestätigt Carsten
       Brückner.
       
       Nachdem sich der erste Schock gelegt hat, ist sich auch Anna S. sicher: „Da
       ist der letzte Drops noch nicht gelutscht.“ Beistand wird sie auch künftig
       vom Unterstützerkreis bekommen. Die Solidarische Aktion sagte der taz, dass
       sie den Fall selbstverständlich weiter begleiten werde.
       
       26 Jun 2018
       
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