# taz.de -- Hommage an den Tormann: Die Lust beim Elfmeter
       
       > Die Keeper sind keine einsamen Helden mehr. Vielmehr sind sie ein Teil
       > der Verteidigungsstrategie und damit aktive Gestalter des Spiels.
       
 (IMG) Bild: Kroatiens Torhüter Danijel Subaric hält im Viertelfinale beim Elfmeterschießen einen Ball des russischen Stürmers Fjodor Smolow
       
       Es hätte die Szene des Spiels werden können, [1][Kolumbien gegen England],
       kurz vor Schluss. England führt mit einem Tor, als Mateus Uribe der Ball
       vor die Füße fällt. Der zieht einfach durch, aufs linke Eck, aber dann:
       Jordan Pickford, wie er einen Schritt nach links hinten macht, den Ball
       fest im Visier, sich dann mehr nach oben hangelt, als dass er springt, um
       mit den Fingerspitzen den Ball, fast zärtlich, aus seiner Bahn zu
       streicheln. Aber den folgenden Eckball versenkte dann Yerry Mina, und
       England gewann erst später, mit dem Elfmeterschießen.
       
       Über Oliver Kahn schrieb der Schriftsteller Albert Ostermaier einst, er
       spiele, als sei die Welt nur zwischen seinen zwei Handschuhen zu fassen.
       Der Torwart: das Ideal des geworfenen Menschen, ein Halbgott, der zwischen
       den Welten steht und ein großes Geheimnis hütet. Einsam ist er in seinen
       Entscheidungen, einsam in seinen Fehlern.
       
       Einsam war Kahn, als er am Pfosten saß nach seinem Fehler im WM-Finale 2002
       gegen Brasilien, er, der die deutsche Mannschaft durchs Turnier getragen
       hatte, und dem dann ein leichter Ball abhanden kam. Fletscht die Zähne,
       sich seinem Schicksal stellend. Aber am Ende weiß er doch, dass er sich
       nicht an all die vielen Bälle wird erinnern können, die er einst hielt,
       sondern nur an diesen einen, entscheidenden, den er passieren ließ.
       
       Und dieser Ball wird kommen, für jeden Tormann. All seine Erfolge sind nur
       vergebliche Aufschübe des unausweichlichen Untergangs, jede Parade wird die
       Tragödie, die am Ende folgt, nur größer machen.
       
       So hat man Torhüter lange gesehen, als Solitäre, die kämpfen und leiden, wo
       andere spielen dürfen. Diese Verbissenheit ist gewichen, ihnen ist eine
       neue Leichtigkeit eigen. Der Torwart ist nicht mehr allein, er herrscht
       nicht mehr stumpf, dafür ist er Teil eines Kollektivs, das gemeinsam
       verteidigt.
       
       ## Bienennest am Pfosten
       
       Es sind zwei deutsche Torhüter, die diesen Wechsel verkörpern: Jens Lehmann
       und Manuel Neuer. Jens Lehmanns Zettel, ikonisch geworden mit dem
       WM-Viertelfinalspiel 2006, auf dem die Vorlieben der argentinischen
       Schützen vermerkt waren, ist die Objekt gewordene Hilfe; der Torwart steht
       eben nicht allein.
       
       Manuel Neuer hat dann mit dem Mythos aufgeräumt, dass ein Torwart zu stehen
       hat; gegen Algerien 2014 etwa, als er durch die eigene Hälfte schoss, als
       hinge ein Bienennest an einem seiner Pfosten.
       
       Es waren verblüffend wenige Spiele, die – im Guten wie im Schlechten – bei
       dieser WM von Torhütern entschieden wurden. Tragisch war der Moment, als
       [2][Fernando Muslera der Ball durch die Finger rutschte] und dadurch
       Uruguay alle Zuversicht verlor.
       
       Der quirlige, nervöse Guillermo Ochoa bewahrte Mexiko häufiger vor
       Ungemach, auch Südkoreas Hyun-Woo Cho war, auf seine ungedehnte Art, eine
       große Hilfe. Igor Akinfeew natürlich, der Mann mit den Tränen im Blick: Als
       er gegen Kroatien den ersten Elfmeter hielt, schritt er umstandslos, ohne
       eine einzige Jubelgeste, zur Seite, die Melancholie immer mit im Gang.
       [3][Akinfeew hat eine Größe], die sich aus seinen früheren
       Versagensmomenten speist, und gerade das macht sein Spiel so schön.
       
       Sie sind alle raus. Noch dabei ist der dem unaufdringlichen Stil huldigende
       Hugo Lloris, der gegen Uruguay einen Ball aus der Ecke kratzte, dem andere
       nur hätten hinterherwinken können. Der massive, brockige Belgier Thibault
       Courtois, der immer so guckt, als hätte ihm der Nachbar die Einfahrt
       zugeparkt, und an dem Brasilien am Ende schier verzweifelte.
       
       ## Zwickender Schenkel
       
       Danijel Šubarić, dem Samstag gut eine Stunde vor Mitternacht, vor der
       Verlängerung, der Oberschenkel zwickte und der sich anschließend in einem
       Akt des Widerstands gegen seine eigene Kreatürlichkeit in die Schüsse der
       russischen Spieler warf. Und, natürlich, Jordan Pickford.
       
       Sie alle sind aber keine outstanding men, wie einst, sondern Teil einer
       Abwehr. Dass wir Torwächter dennoch für Solitäre halten, hat mit dem
       Widersinn des Elfmeterschießens zu tun. Der erst nährt den atavistischen
       Mythos des aufrechten Einsamen.
       
       Aber das Elfmeterschießen ist ein Irrtum. Es hat mit Fußball nichts zu tun,
       denn das Spiel ist vorbei. Es braucht nur eine Entscheidung, das ganze
       Spiel fällt zusammen und wird geronnene Spannung: Das Event kommt zu sich.
       Und es gibt nur einen, dem vor dieser Entscheidung nicht zu grausen
       braucht: dem Torwart. Von diesem Moment an kann er keine Fehler mehr
       machen. Die Rollen sind verkehrt: Jetzt ist es der Mann im Tor, der spielt
       und probiert.
       
       Das ist die Ungerechtigkeit des Torwartspiels und Teil des Mythos: Zum
       Helden wird er regelmäßig dann, wenn es für ihn nichts zu verlieren gibt.
       Jordan Pickford hielt gegen Kolumbien, gegen Bacca, und das Bild, wie er
       anschließend die Säge macht, zierte viele Sportseiten.
       
       Es hätte gar nicht so weit zu kommen brauchen: Jener Schuss kurz vor Ende,
       den Pickford so bravourös abfing, er wäre wohl nicht ins Tor gefallen.
       Pickford hatte einen Eckball verursacht, der den Ausgleich zur Folge hatte.
       Aber daran hätte sich das Publikum viel weniger gern erinnert.
       
       9 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Achtelfinale-Kolumbien--England/!5518896
 (DIR) [2] /Viertelfinale-Uruguay--Frankreich/!5519339
 (DIR) [3] /Achtelfinale-Spanien--Russland/!5517162
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frederic Valin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) WM-taz 2018: Auf dem Platz
 (DIR) Torwart
 (DIR) Kroatien
 (DIR) Fußball
 (DIR) Kolumne Kulturbeutel
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) Viertelfinale WM 2018
 (DIR) Viertelfinale WM 2018
 (DIR) Viertelfinale WM 2018
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Doku über verrückten Torwart: Der heilige Higuita
       
       Der Kolumbianer René Higuita wurde mit seinem Skorpion-Kick zur Legende.
       Eine Netflix-Doku gräbt natürlich nur die guten alten Geschichten aus.
       
 (DIR) „Foul Play“ statt „Fair Pay“: Drei Streifen Ausbeutung
       
       Adidas hat das Outsourcing-Prinzip perfektioniert. Von den Rekordgewinnen
       kommt in den Zulieferfabriken aber praktisch nichts an.
       
 (DIR) Russische Reaktionen auf WM-Aus: Zum Teufel oder gleich nach Tibet
       
       Russische Medien geben ihrer Nationalmannschaft gemischte Noten. In der
       Kritik: Stürmer Fjodor Smolow, der am Ende seinen Elfmeter vergab.
       
 (DIR) WM-Aus für Russland: Der beste aller Verlierer
       
       Russland ist bei der WM ausgeschieden. Doch die gute Stimmung bleibt. „Wir
       haben das Land auf den Kopf gestellt“, sagt Trainer Tschertschessow.
       
 (DIR) Kroatien trifft auf Russland: Diesmal also kleinkariert
       
       Bei der Mannschaft um die Stars Rakitić und Modrić ist einiges anders als
       in den Jahren zuvor. Aber manchmal tauchen alte Probleme wieder auf.
       
 (DIR) Russland vor dem Viertelfinalspiel: Mit Ammoniak ins Finale
       
       Das Viertelfinalspiel gegen Kroatien steht an und das russische Team fühlt
       sich gerüstet. Helfen soll insbesondere der „Duch“.