# taz.de -- Spardiktat für Griechenland: Frei – aber immer noch arm
       
       > Nun endet das dritte Hilfspaket für Griechenland. Doch goldene Zeiten
       > sind nicht in Sicht. Das Land muss weiter sparen.
       
 (IMG) Bild: Bester Laune: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras
       
       „Welche neue Zeit? Ich glaube kaum, dass sich in den nächsten Jahren hier
       viel ändern wird.“ Wie die meisten Griechen – in Umfragen sind es rund 80
       Prozent – ist auch die 33-jährige Maria Evangelos davon überzeugt, dass mit
       dem heutigen Auslaufen des dritten Hilfspaketes für Griechenland und der
       damit einhergehenden Rückgewinnung eigener Souveränität nicht viel gewonnen
       ist. „Die werden uns weiter unter Kuratel stellen, und an unseren
       Lebensbedingungen wird sich nicht viel ändern.“
       
       Tatsächlich sind die Auflagen, die die Regierung von Alexis Tsipras in
       Brüssel bei der abschließenden Sitzung der Euro-Finanzminister Ende Juni
       akzeptieren musste, weitgehend: Die griechische Regierung musste sich
       verpflichten, ein strenges Austeritätsprogramm aufrechtzuerhalten, also
       keine neuen „sozialen Wohltaten“ zu verteilen, sondern stattdessen die
       Renten weiter zu kürzen um bis 2022 einen jährlichen Haushaltsüberschuss
       von 3,5 Prozent zu erzielen. Viermal im Jahr werden Kontrolleure vom IWF,
       der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission vor Ort nachprüfen, ob
       Athen diese Bedingungen einhält.
       
       Trotzdem ist der Vorwurf, den der konservative Oppositionsführer Kyriakos
       Mitsotakis jetzt gegen Alexis Tsipras erhebt, er hätte quasi ein viertes
       Memorandum, wie die Griechen die sogenannten Hilfspakete nennen,
       unterschrieben, völlig überzogen. Tsipras hat keine neuen Auflagen
       unterschrieben, sondern lediglich die Umsetzung der bereits bestehenden
       garantiert. Und auch die ersten negativen Reaktionen auf den von Tsipras
       als „sauberen Ausstieg“ aus der Troika-Aufsicht beschriebenen Schritt in
       die neue Zeit sind von den meisten nicht so dramatisch gemeint, wie es sich
       anhört.
       
       Denn in Wahrheit haben sich die Griechen längst damit arrangiert, dass mit
       dem Ende des dritten Hilfspaketes nicht automatisch die goldenen Jahre von
       2002 bis 2009, als das Land erst Euromitglied wurde und in der Folge die
       Renten und Löhne stark erhöht wurden, wiederkommen werden. „Wir sind in der
       ökonomischen Realität der Eurozone angekommen“, meint Maria Evangelos
       schulterzuckend. Ihre Familie ist ein Beispiel dafür, dass die Krise auch
       Energien freisetzen kann, die sich nun auszahlen.
       
       ## Tourismus als Zugpferd
       
       Als die Arbeitslosigkeit Anfang des Jahrzehnts dramatisch zunahm und ihr
       Vater als Architekt keine Arbeit mehr bekam, besann sich die Familie zweier
       Ruinen, die der Großvater vor langer Zeit in der Altstadt von Rhodos
       gekauft hatte. In mühsamer Eigenarbeit sanierten sie die Häuschen und
       richteten sie nach und nach ein. „Das waren harte Jahre“, meint Evangelos
       im Rückblick, aber es habe sich gelohnt. Die Häuschen werden an Touristen
       vermietet, und seit die Besucherzahlen in den letzten Jahren immer weiter
       stiegen, kann die Familie fast komplett aus den Einnahmen der Ferienhäuser
       leben.
       
       Überhaupt ist der Tourismus das Zugpferd der griechischen Ökonomie, das das
       Land auch durch die kommenden Jahre bringen soll. Der Hauptgrund für den
       Rückgang der Arbeitslosigkeit von in der Spitze 27 Prozent auf jetzt 19,5
       Prozent, sind die Jobs, die im Tourismussektor neu geschaffen wurden. Dabei
       kommt den Griechen zugute, dass viele Hotels, Ferienwohnungen und
       Restaurants in Familienbesitz sind und nicht großen ausländischen Ketten
       gehören.
       
       Doch wer nicht wie die Familie von Maria Evangelos selbst Ferienwohnungen
       oder ein Restaurant besitzt, sondern als Angestellter arbeitet, muss mit
       kärglichen Bedingungen auskommen. Der Mindestlohn, der in der Hotelbranche
       oft gezahlt wird, liegt bei 3,40 Euro pro Stunde, und im Winter werden die
       Leute nach Hause geschickt.
       
       Dabei sind die Lebenshaltungskosten kaum niedriger als in Deutschland. Wer
       bei der griechischen Supermarktkette Spanos einkaufen geht, zahlt am Ende
       an der Kasse nicht viel weniger als bei Rewe in Deutschland. Da es kein
       Hartz IV vergleichbares Sozialsystem gibt, muss der Familienverband das
       fehlende staatliche soziale Netz ersetzen.
       
       ## Marodes Gesundheitssystem
       
       Das geht oft auch erstaunlich gut, nur wenn jemand aus der Familie
       ernsthaft erkrankt, wird es dramatisch. Das Gesundheitssystem ist so kaputt
       gespart, dass die staatlichen Krankenhäuser oft technisch nicht mehr auf
       der Höhe der Zeit sind, ärztliches Personal fehlt und die Patienten viele
       Medikamente selbst zahlen müssen. Selbst der Internationale Währungsfonds
       hat festgestellt, dass die ärmsten 20 Prozent der Familien mehr als 40
       Prozent ihresHaushaltsauskommens ausgeben müssen, wenn ein
       Familienmitglied krank wird. Gut ausgestattete Privatklinken können sich
       sowieso nur die Reichen leisten.
       
       Und obwohl die Regierung von Alexis Tsipras gerne etwas gegen diese
       Missstände im Gesundheitssystem unternehmen würde, sind ihr die Hände
       gebunden. Erst einmal muss das Land zeigen, dass es ihm gelingt, auf dem
       internationalen Kapitalmarkt wieder Kredite zu akzeptablen Konditionen
       aufzunehmen. Um die Investoren zu überzeugen, sollen die erwähnten
       Haushaltsüberschüsse von 3,5 Prozent erwirtschaftet werden.
       
       Zwar hat Griechenland zusammen mit einer letzten Ratenzahlung des
       Europäischen Stabilitätsfonds im Moment ein Polster von 24 Milliarden
       angespart und ist deshalb nicht sofort auf neue Kredite angewiesen – doch
       dieses Polster ist eben nur so lange eine vertrauensbildende Maßnahme für
       Investoren, wie es nicht gebraucht wird. „Griechenland hat bis zu seiner
       wirtschaftlichen Erholung noch einen langen Weg vor sich“, meint deshalb
       der Chef der Zentralbank, Giannis Stournaras.
       
       19 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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