# taz.de -- Lebensqualität in Stadt und Land: Heimat, oh Heimat
       
       > Die Heimatabteilung des Bundesinnenministeriums hat offiziell ihre Arbeit
       > aufgenommen. Was versteht Horst Seehofer (CSU) unter Heimat?
       
 (IMG) Bild: Volles Heimatklischee: die liebliche Landschaft
       
       BERLIN taz | Die neue Heimatabteilung im Bundesministerium des Innern, für
       Bau und Heimat hat offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Seit Horst Seehofer
       das Innenministerium führt, trägt es auch „Heimat“ im Namen. Am Mittwoch
       tagte erstmals die neue Kommission „gleichwertige Lebensverhältnisse“ unter
       Seehofers Vorsitz. Die Kommission stelle das Herzstück seiner „neuen
       Heimatpolitik“ dar, sagte Seehofer. „Die Kommission sorgt für mehr
       Zusammenhalt, mehr sozialen Frieden und die Überwindung von Spaltung in
       unserem Land“.
       
       In der Kommission ist das gesamte Bundeskabinett vertreten, sowie die
       Ministerpräsidenten aller Bundesländer. Bis Juli 2019 soll die Kommission
       konkrete Vorschläge entwickeln, um die Lebensqualität in den Städten weiter
       zu erhöhen und die ländlichen Regionen zu stärken. Menschen in Deutschland
       sollten „gut leben, und zwar dort, wo sie leben wollen“, betonte Seehofer
       am Abend in Berlin bei einer Podiumsdiskussion zum Heimatbegriff.
       
       Der Kommission geht es darum, die Unterschiede in den Lebensverhältnissen
       zwischen den Regionen zu verkleinern. Es geht um gleiche Chancen auf
       Wohlstand, gleichen Zugang zu Bildung, weniger regionale Unterschiede bei
       den Themen Wohnen, Arbeit und Infrastruktur. Während in Städten hohe
       Mieten, fehlende Kinderbetreuung und der starke Wettbewerb um Ausbildungs-
       und Arbeitsplätze dominieren, gibt es in kleineren Orten viele leerstehende
       Wohnungen, schlechte Busverbindungen und lange Wege zum nächsten Facharzt.
       
       Kanzlerin Merkel sagte zu den Zielen der Kommission: „Wir wissen, wir
       werden nicht von einem Tag auf den anderen Gleichwertigkeit der
       Lebensverhältnisse erreichen.“ Das Ziel müsse sein, die Zufriedenheit mit
       den Lebensbedingungen zu steigern.
       
       „Meine Heimatpolitik richtet sich auch an die Menschen in Deutschland aus
       anderen Herkunftskulturen und -regionen,“ betonte Seehofer. Man dürfe sich
       nicht gesellschaftlichen Veränderungen versperren. „Ich will keine
       Abschottung“, beteuert er, „wir sind ein weltoffenes Land.“ Doch Probleme
       müssten offen benannt werden. Deutschland stehe seit der sogenannten
       Flüchtlingskrise im Herbst 2015 vor neuen Herausforderungen.
       
       Auch hier setzt Seehofers Heimatpolitik an. Die Politik müsse tragfähige
       Antworten auf die Suche nach Identität und Zugehörigkeit geben und die
       Bürger auch emotional mitnehmen, betonte Seehofer. Ein Podiumsteilnehmer
       hielt Seehofer entgegen, wenn nun alles unter „Heimat“ verstanden werde,
       was bislang in anderen Ministerien verhandelt werde, führe das weder zu
       mehr Klarheit, noch brauche es dann die anderen Ministerien.
       
       Wer die Podiumsdiskussion verfolgte, musste zu dem Eindruck kommen, dass
       Seehofer alles zum Gegenstand seiner Heimatpolitik macht, was problemlos
       auch ohne diese semantische Aufladung auskommen würde. Wie die Kommunen
       Geflüchtete in Brot und Lohn bringen können, wie Unternehmen aus den
       Ballungsräumen raus in die Provinz gelockt werden können, welche
       Infrastrukturmaßnahmen in Sachen Breitband und Nahverkehr das bedeute: Laut
       Seehofer sind das Heimatfragen.
       
       ## Auch Söder war schon mal für Heimat zuständig
       
       In Bayern gibt es schon seit 2014 ein Heimatministerium. Es gehört zum
       Finanzministerium und wurde früher vom jetzigen bayrischen
       Ministerpräsidenten Markus Söder geführt. Das Landesministerium beschäftigt
       sich vorrangig mit der Erschließung des ländlichen Raums, also mit dem Bau
       von Straßen, dem Breitbandausbau, dem Schuldenerlass für Kommunen, dem
       Erhalt von Bildungseinrichtungen.
       
       Was heißt Heimat? Seehofer kann sicher nicht leisten, woran sich seit
       Jahrhunderten kluge Geister scheiden. Der Wunsch nach Heimat komme aus der
       Kindheit und sei deshalb nicht rückholbar, heißt es bei Ernst Bloch. Heimat
       gebe es nicht ohne Verlustgefühle, schreibt Bernhard Schlink. Martin
       Heidegger etwa verklärt die deutsche Provinz zur Heimat. Die Deutungen sind
       so alt wie vielfältig.
       
       Man dürfe, so Seehofer, gewisse Begriffe und Narrative nicht länger den
       „rechten Dumpfbacken“ überlassen. Als Horst Seehofer das Podium längst
       verlassen hatte, diskutierten ganz unterschiedliche Gäste weiter.
       Flüchtlingshelfer, Jobcenter-Mitarbeiter, aber auch Frauke Petry.
       Vielleicht ist das der Minimalkonsens: Dialog.
       
       27 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jonas Weyrosta
       
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       einfach: Wenn das Heimatministerium alle Menschen einbezieht.