# taz.de -- Fukuyama gegen Identitätspolitik: Das Fließende und das Stehende
       
       > Der US-amerikanische Ex-Neocon Francis Fukuyama sieht die liberalen
       > Demokratien in der Krise. Außerdem kritisiert er die Identitätspolitiken.
       
 (IMG) Bild: Francis Fukuyama, einst führender Neocon, muss feststellen, dass die Ungleichheit seit 30 Jahren immer größer wird
       
       Francis Fukuyama ist mit Samuel P. Huntington der meist zitierte
       Politikwissenschaftler der letzten 30 Jahre. Obwohl beide irrten.
       Huntington irrte mit einer fatalen Komplexitätsreduktion, als er den „Kampf
       der Kulturen“ phantasierte und Konflikte zum zivilisatorischen Unterschied
       zwischen Muslimen und Christen erklärte. Fukuyama irrte wegen eines
       verkappten Hegelianimus, als er 1992 glaubte, alle Geschichte laufe auf den
       Sieg der liberalen Demokratie hin und „Das Ende der Geschichte“ verkündete.
       
       Nun muss Fukuyama eingestehen: Es ist anders gekommen. Die Zahl der
       demokratischen Staaten ist zurückgegangen. Das habe „auf die eine oder
       andere Art“ mit Gobalisierung zu tun. Mehr beschäftigt ihn jedoch ein
       anderes Phänomen, mämlich der Aufstieg der Identitätspolitik.
       
       Im Journal Foreign Affairs hat er ein Plädoyer gegen Identitätspolitik
       veröffentlicht, der Spiegel hat einen Auszug gebracht, und in den USA ist
       soeben sein neues Buch „Identity“ (Profile Books) erschienen. Ende,
       Scheideweg – Fukuyama spricht gerne epochal. Bereits seine Abkehr vom
       Neokonservatismus, die er 2006 in der New York Times verlautbarte, sie
       rührte von George W. Bushs Irak-Politik her („Ich kann das nicht mehr
       unterstützen“), sorgte für Diskussionen.
       
       Nun also geht es um Identitätspolitik. Gemeinsam mit dem neuen Tribalismus
       führe sie in die Krise der Demokratie: „Demokratische Gesellschaften
       zersplittern in Segmente mit immer enger gefassten Identitäten, was die
       Möglichkeiten gesamtgesellschaftlicher Erwägungen und kollektiven Handelns
       bedroht.“
       
       ## That's why
       
       Heißt: Zu viel Metoo, zu viel Homoehe, zu viel Solidarität mit spezifisch
       Marginalisierten und zu wenig Solidarität „mit breiten
       Bevölkerungsschichten“. That's why die Wähler zu den Rechten laufen. Man
       kennt das Argument. Auch der konservative Ideengeschichtler Mark Lilla
       argumentierte nach dem Wahlsieg Donald Trumps ähnlich. Die Arbeiterklasse,
       wobei man nie so genau weiß, wer eigentlich gemeint ist, sei abgekoppelt
       worden und linke Identitätspolitik habe gar eine entsprechende Politik der
       Rechten ausgelöst, schreibt Francis Fukuyama.
       
       Aber bedeutete Fukuyamas „Ende der Geschichte“ denn etwas anderes als
       Margaret Thatchers „There is no alternative!“? War es nicht Fukuyamas
       akademischer Lehrer Samuel P. Huntington, der 1975 in seinem Bericht an die
       Trilaterale Kommission erklärte, „die Stärke des demokratischen Ideals“
       stelle ein „Problem für die Regierbarkeit einer Demokratie“ dar? Spricht
       nicht Fukuyama von „fiskalischen Zwängen“ wo Sozialabbau gemeint ist?
       
       Die Protagonisten des neokonservativen und neoliberalen Eliteprojekts
       kritisieren also linke Identitätspolitik als Eliteprojekt. Wer soll das
       noch verstehen?
       
       Es ist ein Taschenspielertrick [1][der Liberalen] und Neokonservativen, die
       soziale Frage gegen die Identitätspolitiken ins Feld zu führen. Als ließe
       sich das soziale Terrain fein säuberlich kartographieren. Man ist nie
       Nur-Arbeiter, Nur-Frau oder Nur-Lesbe, zwischen Identitätspolitik und der
       Politik für soziale Gleichheit gibt es Verbindungen. Die linken
       Identitätspolitiken unserer Zeit sind zwar oft grausam freakhaft und wann
       immer sie Politik durch Psychologie ersetzen, diskursives durch
       formalisiertes Sprechen, das Soziale durch Natur, kurzum: das Fließende
       durch das Stehende, muss man sie unbedingt kritisieren.
       
       Sie jedoch gegen die Kämpfe gegen soziale Ungleichheit auszuspielen führt
       bloß ins Abseits.
       
       21 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Liberalismus/!t5009609
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tania Martini
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Neoliberalismus
 (DIR) Globalisierung
 (DIR) Identitätspolitik
 (DIR) Diversität
 (DIR) Black Lives Matter
 (DIR) Identitätspolitik
 (DIR) Identitätspolitik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Demokratietheoretiker über Identität: Es gibt keinen Präzedenzfall
       
       Viele Formen der Identitätspolitik sind kontraproduktiv, sagt Yascha Mounk.
       Vielfältige Gesellschaften bräuchten ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl.
       
 (DIR) Identitätspolitik und Kritik: Propagandistische Totalverblödung
       
       Der Autor und Dramaturg Bernd Stegemann legt sich mit der Cancel Culture an
       und stolpert in seinem neuen Buch über die eigenen Thesen.
       
 (DIR) Denkmalstürze und Symbolik: Identitätspolitik als Rückschritt
       
       Allerorten fallen die Denkmäler vermeintlich großer Männer. Ist das
       Befreiung oder Totenbeschwörung? Und ist Identitätspolitik nicht schon
       over?
       
 (DIR) Neues Buch „Identitätspolitiken“: Solidarität ist niemals fertig
       
       Soziale Kämpfe sind Kämpfe um Anerkennung – und andersherum: Dieses Buch
       tritt der Frontenbildung in der Identitätspolitik differenziert entgegen.