# taz.de -- Berlin-Bootsfahrt mit Grünen-Politikern: Gespräche über Heimat
       
       > Die Grünen Katrin Göring-Eckart und Erhard Grundl laden zu einer
       > Bootsfahrt durch die Berliner Nacht. Dabei wollen sie über Heimat
       > sprechen.
       
 (IMG) Bild: Eine Bootsfahrt durch Berlin bei Nacht kann schon was Schönes sein
       
       Das Salonschiff „Philippa“ liegt gemütlich am Berliner Carl-Herz-Ufer in
       Kreuzberg. An diesem Abend hat es die Fahne der Grünen gehisst. Und wird
       bald ablegen. Bei einem Glas Wein und Matjeshäppchen geht es durch den
       Landwehrkanal und ab über die Spree durch einen um diese Jahreszeit bereits
       sehr früh sehr dunklen Berliner Abend.
       
       Die Bundestagsabgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von
       Bündnis 90/Die Grünen, und Erhard Grundl, Sprecher der Partei für
       Kulturpolitik, diskutieren hier an einem Mittwoch im November mit
       ausgewählten Gästen aus Kultur und Politik über den Begriff der Heimat. Die
       Grünen wollen diesen nicht einfach den Rechten überlassen. Weder der AfD
       noch Politikern wie Markus Söder oder Edmund Stoiber. Letzterer hatte nach
       der Bayernwahl die Stimmenverluste der CSU in Zusammenhang mit der
       (Binnen-)Zuwanderung nach Bayern gebracht.
       
       Was den Bayern Grundl an Bord der „Philippa“ zu Beginn der Veranstaltung zu
       einem spöttischen Seitenhieb animiert und das Publikum zu Gelächter. Denn
       so abgeschlossen, traditionell und folkloristisch wie Stoiber will bei den
       Grünen niemand dieses nicht ganz unproblematische Wörtchen Heimat
       verstehen. Etwa 50 Personen sind der Einladung in den Bootssalon gefolgt.
       Doch wer nach Grundls Einführung vielleicht auf noch mehr kleine und
       gewitzte Pointen in Richtung politischer Konkurrenz gehofft hatte, sah sich
       enttäuscht. Alles sehr staatstragend und wenig kontrovers.
       
       Eingefunden hatte sich als Publikum eine urbane Berliner Mischung. Jung und
       alt, mit oder ohne erkennbaren Migrationshintergrund. Berufstätige
       verschiedener Sparten mit deutlichem Bezug zu Kultur und „Kreativszene“.
       Der Schwerpunkt für diesen zweiten grünen „Heimatsalon“ (Göring-Eckart) lag
       auf der Verknüpfung mit dem ewigen Reizthema Migration. Dafür haben sich
       Grundl und Göring-Eckardt als Moderatoren ein entsprechendes Podium
       zusammengestellt, darunter die Schauspielerin und Schriftstellerin Adriana
       Altaras, Esra Kücük von der Allianz Kulturstiftung sowie den Autor Mark
       Terkessidis. Sie sollten für den entsprechenden Input sorgen, um darüber zu
       sprechen, „was ‚Heimat‘ in der Migrationsgesellschaft bedeutet“. So die
       Ankündigung.
       
       ## So weit, so harmlos
       
       Ein also zu diesem Thema relativ typisches Podium. Rhetorisch gewandte
       Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund schildern deutschen
       Politiker*innen ohne erkennbaren Migrationshintergrund ihre Erfahrungen und
       Ansichten.
       
       Gegen vieles, was an dem Abend gesagt wurde, kann der aufgeklärte Mensch
       kaum etwas einwenden. So, wenn Göring-Eckardt treffend zusammenfasst, dass
       alle Menschen schließlich von irgendwoher kommen und immer etwas Neues
       hinzukommt. Und somit das, was man unter Heimat versteht, ständig in
       Bewegung ist, nichts Festes ist und nichts Ganzes, eine oftmals vage
       Vielheit eben. So weit, so harmlos und unter Demokraten konsensual.
       
       Nur wie sieht eine „heimatliche Vielheit“ denn aus, wenn der oder die
       Einzelne sich weniger abstrahierend ausdrückt? Was verstehen die Einzelnen
       denn jeweils wirklich darunter und wie gestalten sie ihre soziale,
       territoriale, kulturelle Herkunft gedanklich tatsächlich aus? Und: warum
       gibt es darum gesellschaftlich gesehen häufig so viel Streit?
       
       Hierfür bot der Heimatabend auf dem Salonschiff „Philippa“ mit einer
       gewissen Schräglage auf der Spree ungewollt Anschauungsunterricht.
       
       Nicht nur, dass das Podium sich in allgefälligen Bauchspiegeleien gefiel,
       wie man sie aus dem Kulturbetrieb häufig kennt – von „Streitkultur“ keine
       Spur. Doch schwerer wiegt, was Göring-Eckardt und einige Grüne schon bald
       in sehr unruhiges Wasser bringen könnte.
       
       Göring-Eckardt dehnte den Migrationsbegriff mehrfach auf die Ostdeutschen
       aus. Sie sprach im Gefolge der Thesen Naika Foroutans von ähnlichen
       Erfahrungen und Gefühlen bei aus fernen Ländern zugewanderten Migranten wie
       bei denen der früheren BürgerInnen der DDR: Beide hätten doch ihre
       vertraute Umgebung und das soziale Bezugssystem verloren. So weit, so wenig
       harmlos.
       
       ## Verzwergung der Diskurse
       
       Umso merkwürdiger, dass sich gegen eine solche politische Verkehrung des
       Migrationsbegriffs kein Widerspruch auf dem Podium erhob.
       
       Was soll daraus werden, wenn diejenigen, die sich am heftigsten darüber
       beschweren, dass ihre angeblich völkisch reine Heimat durch Zuwanderung
       bedroht sei, sich nun auch noch den Migrationsbegriff aneignen, um sich
       dergestalt als die eigentliche Opfer des Vereinigungsprozesses von DDR und
       BRD zu stilisieren? Wohl eher eine sehr braune Heimat.
       
       Es scheint doch eine arge Verzwergung der Diskurse, so man den Verlust der
       DDR-Lebenswelt sozialpsychologisch auf eine Stufe mit den Erfahrungen von
       Migranten stellen möchte, die oftmals tatsächlich ganze Kontinente hinter
       sich lassen mussten. Die häufig aus dem faktischen Nichts als
       „Gastarbeiter“ oder Flüchtling in einer feindlich völkisch-deutschnational
       gesinnten Umgebung neu starteten. Hat man vergessen, wie die Bevölkerung
       mit einem erkennbar multinationalen Hintergrund in der Bundesrepublik bis
       zur Reform des Staatsbürgerrechts 1998 behandelt wurde?
       
       Vielen blieb bis dahin auch in zweiter und dritter Generation der Zugang zu
       den vollen Bürgerrechten im großen Maßstab verwehrt. Jahrzehntelang wurden
       sie diskriminiert, im Gegensatz zu den Ost-Volksdeutschen, die mit der
       Vereinigung sofort als gleichwertige Rechtssubjekte anerkannt wurden.
       
       ## Weiterer „Heimatsalon“ im Februar
       
       Ohne den jahrzehntelang in Ost- wie Westdeutschland ausgeübten und
       gesellschaftlich verinnerlichten institutionellen Rassismus gegen
       Nicht-Volksdeutsche hätte es kaum Phänomene wie den NSU-Terror nach dem
       Mauerfall gegeben.
       
       Dem grünen Heimatschiff fehlt es bei so manchen Debatten noch deutlich an
       einer soziologischen Orientierung, will es nicht beim ersten politischen
       Stürmchen untergehen.
       
       Gegen die Überdehnung gefühlter Behauptungen, den grassierenden Moralismus
       und das überbordende Sprechen in erster Person wäre ein häufigerer Blick in
       die Geschichtsbücher anzuregen. Den Menschen in Sachsen oder Sachsen-Anhalt
       ging es, nach Wohlstands- und Freiheitsparametern gemessen, noch nie so gut
       wie heute. Und: sie waren auch Handelnde in eigener Sache als sie die
       Auflösung der DDR betrieben.
       
       Es scheint eine ganz schlechte Idee, der völkischen Rechten in Deutschland
       nun den Zahn damit ziehen zu wollen, indem man ihnen sagt: Schaut her, ihr
       seid doch eigentlich auch Migranten. Den Teufel werden sie tun und dankend
       ablehnen, wenn ein grünes Boot bei ihnen auftaucht, um sie solchermaßen
       gleich zu machen. Für Februar haben Grundl und Göring-Eckardt einen
       weiteren „Heimat-Salon“ angekündigt. Ein wenig Zeit bliebe da, um die
       angedachten Strategien gegen rechts zu überdenken.
       
       10 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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