# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Elf Sänger sollt ihr sein
       
       > Länderspielwoche heißt Hymnenwoche. Und immer noch wird gefordert, dass
       > die DFB-Elf mitsingt wie ein Männergesangverein.
       
 (IMG) Bild: Großer Spieler, aber kein Sänger: Mesut Özil
       
       Diego Tardelli ist ein italienischer Profi, der in China kickt. Jüngst
       wurde er [1][für ein Spiel gesperrt], weil er sich mit der Hand über die
       Wange, dann über den Mund gewischt hat – während die Hymne vor einem
       Ligaspiel lief. Einen „schlechten sozialen Einfluss“ übe seine Hand aus,
       urteilte der chinesische Verband. Bei einer Hymne kann viel passieren!
       Erinnert sei an das „Brüh im Lichte dieses Glückes“ zur Einweihung der
       Münchner Allianz-Arena 2005, gesungen von Sarah Connor, die übrigens eine
       Beinah-Schwägerin von Mesut Özil ist.
       
       Das Hissen von Flaggen symbolisiert Herrschaft, haben Kulturwissenschaftler
       nachgewiesen: Nicht nur da, wo der Eroberer den Fahnenstiel reingerammt
       hat, sondern in jeder Richtung, in die das Textil flattert, soll das neue
       Regime seine Macht ausüben. Und die Hymne? Sie symbolisiert noch mehr: Sie
       macht musikalisch klar, wer das Sagen hat. Und sie stellt eine Einheit der
       Singenden her.
       
       Beides haben die [2][Apologeten der DFB-Hymnenpflicht] im Sinn, wenn sie
       von Profikickern das textsichere Mitträllern verlangen. Jüngst forderte
       Cacau diesen Unsinn. „Für mich persönlich gehört es dazu, dass man als
       Nationalspieler die Nationalhymne mitsingt“, sagt der frühere deutsche
       Nationalspieler, der derzeit als DFB-Integrationsbeauftragter glaubt, sich
       mit solchen integrationsfördernden Vorschlägen zu Wort melden zu müssen.
       
       Der Erste, der in jüngerer Zeit von den Auswahlspielern das Singen der
       Hymne abverlangte, war 1984 Franz Beckenbauer. Bereits nach dem ersten
       Spiel, eine 1:3-Niederlage gegen Argentinien, hatte Beckenbauer analysiert,
       woran der deutsche Fußball krankte. „Schon da waren die Argentinier
       besser“, musste der Kaiser beim Antreten vor dem Spiel registrieren. „Der
       eine bohrt in der Nase, der nächste kaut Kaugummi und ein anderer schaut in
       der Gegend herum.“
       
       Der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger, der NS-Größe und
       Neonazi-Ikone Hans-Ulrich Rudel 1978 als Motivationstrainer der Nationalelf
       einsetzen wollte, assistierte seinem Angestellten: „Wir müssen das Ansehen
       der Nationalelf in der Öffentlichkeit verbessern.“ Vor seinem zweiten Spiel
       als Teamchef verteilte Beckenbauer Zettel mit dem Text der dritten Strophe
       des Deutschlandliedes und baute Singen ins Training ein. Er hat halt
       Standards geübt.
       
       Warum wird die Hymne gesungen? Weil sie stark macht, sagen die Anhänger des
       nationalen Liedgutes. Die Nachfrage, warum sie dann das eher schwächere
       „Einigkeit und Recht und Freiheit“ trällern, statt kräftig „Über alles“ zu
       schmettern, müssen sich die Freunde der deutschen Nation und ihres Fußballs
       aber gefallen lassen. Immerhin ist der Männergesangverein ein echter Unique
       Selling Point hiesiger Kultur. Punkt für Deutschland.
       
       Vielleicht hilft es dem Fußball ja, mal den Blick auf andere Sportarten wie
       das Boxen zu richten. Gerade in dieser durchkapitalisierten Sportart wird
       bei Titelkämpfen nicht nur die Hymne für jeden Boxer gespielt, sondern auch
       für den Ringrichter. Das hieße beim DFB-Pokalfinale, dass das
       Deutschlandlied dreimal gespielt würde: Für Finalist A, für Finalist B und
       für den Schiedsrichter. Und wenn schon dreimal, dann können es ja auch
       gleich alle drei Strophen sein.
       
       15 Nov 2018
       
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