# taz.de -- Argentinische Journalistin zum G20-Gipfel: „Ich glaube nicht an Objektivität“
       
       > Vor dem G20-Gipfel geraten in Argentinien auch kritische Journalist*innen
       > unter Druck. Ein Gespräch über Angriffe und ideologisch begründete
       > Kündigungen.
       
 (IMG) Bild: Demonstration in Buenos Aires gegen den G20-Gipfel
       
       taz: Frau Balderrama, [1][am Wochenende findet der G20-Gipfel in Buenos
       Aires statt]. Sie arbeiten selbst dort als Journalistin. Was bedeutet das
       für argentinische Journalist*innen? 
       
       Carolina Balderrama: Der Gipfel findet zum ersten Mal in einem Land wie
       Argentinien statt, im globalen Süden und zudem in ständiger
       Wirtschaftskrise. Wir sehen die Auswirkungen neoliberaler Sparpolitik hier
       Tag für Tag: Die staatliche soziale Infrastruktur wird ausgehebelt,
       Spekulationen werden begünstigt. Die drei zentralen Themen am Wochenende
       sollen sein: die Zukunft der Arbeit, der Ausbau einer
       „Entwicklungsinfrastruktur“ und die garantierte Versorgung mit
       Grundnahrungsmitteln. Aber welche „Zukunft der Arbeit“ gibt es in einem
       Land, in dem Gewerkschafter*innen staatlichen Repressionen ausgesetzt sind
       und unzählige Menschen wegen neuer Sparauflagen des IWF ihre Jobs
       verlieren? Wie können wir über Ernährungssicherheit reden, wenn hier immer
       mehr Menschen nichts zu essen haben? Als Journalist*innen müssen wir genau
       diese Geschichten erzählen. [2][Der G20-Gipfel ist unsere Chance], das
       Märchen vom Wirtschaftswachstum zu enttarnen als das, was es ist, nämlich
       eine Farce.
       
       Ende Oktober ging ein Video durch die sozialen Netzwerke, das die brutale
       Festnahme des argentinischen Journalisten Nacho Levy nach einer
       Demonstration zeigte. Es war nicht der einzige derartige Angriff auf
       Journalist*innen. Wie gefährlich lebt es sich hier als kritische*r
       Journalist*in? 
       
       Prinzipiell ist nicht der Journalismus gefährlich, sondern es ist
       gefährlich, an Demonstrationen teilzunehmen. Die Festnahme von Levy fand
       etwa 20 Wohnblöcke vom eigentlichen Demogeschehen entfernt statt. Offiziell
       heißt es immer, dass wir unser Recht wahrnehmen können, auf die Straße zu
       gehen. Aber nach den Demonstrationen beginnt eine regelrechte Jagd auf die
       Teilnehmer*innen. Oft trifft es dabei Journalist*innen, weil wir in der
       ersten Reihe stehen und fotografieren oder filmen.
       
       Sie haben für die staatliche Nachrichtenagentur Télam gearbeitet und wurden
       gefeuert. Warum? 
       
       Nicht nur ich wurde gefeuert. Insgesamt gab es 357 Entlassungen bei Télam,
       das sind 40 Prozent der Beschäftigten. Die Begründung: Wir seien zu
       ideologisch und daher nicht geeignet, in einer staatlichen
       Nachrichtenagentur zu arbeiten. Der Staatssekretär für den öffentlichen
       Rundfunk, Hernán Lombardi, kündigte am 26. Juni im Radio die
       Entlassungswelle an. Noch am gleichen Morgen bekamen wir die
       Kündigungsschreiben. Darin stand aber, dass es sich um
       „Umstrukturierungsmaßnahmen“ handle.
       
       Wie ist diese Kündigungswelle einzuordnen? 
       
       Wir waren die Ersten, die wegen der Sparprogramme ihre Jobs verloren. Es
       mussten diejenigen gehen, die die Politik von Präsident Macri am
       kritischsten kommentierten. Das bedeutet, dass das System öffentlicher
       Medien untergraben wird und kritische Stimmen gezielt mundtot gemacht
       werden.
       
       Wie haben Sie darauf reagiert? 
       
       Noch an dem Tag, an dem uns die Kündigungen erreichten, haben wir eine
       Versammlung organisiert und Teile der beiden Agenturgebäude in Buenos Aires
       besetzt. Über Monate gab es Demonstrationen, Streiks und eine Kampagne in
       den sozialen Netzwerken. Wir wollten erzählen, welche individuellen
       Geschichten hinter der Nachrichtenagentur und nun hinter diesen Kündigungen
       standen. Die Kampagne hieß [3][#SomosTélam]. Gleichzeitig sind wir auch den
       juristischen Weg gegangen und haben uns auf unsere Rechte berufen, die im
       Journalistengesetz verankert sind, das Ergebnis eines jahrelangen
       Arbeitskampfes. Im Oktober urteilte das Arbeitsgericht in Buenos Aires,
       dass 138 Entlassungen unmittelbar rückgängig gemacht werden müssten. Aber
       noch sind nicht alle Fälle endgültig geklärt.
       
       Wie ist Ihre persönliche Situation? 
       
       Ich wurde noch nicht wieder eingestellt und arbeite als Dozentin an einer
       staatlichen Universität. Einen Job als Journalistin zu finden ist in
       Argentinien gerade quasi unmöglich.
       
       Sie sind Teil des feministischen Forums gegen G20. Gehören für Sie
       Journalismus und Aktivismus zusammen? 
       
       Wenn ich sage, ich bin feministische Journalistin und Dozentin, dann meine
       ich damit eine gesellschaftliche Position und daran anknüpfend meine
       politische Perspektive auf die Welt. Journalismus bedeutet für mich
       notwendigerweise, eine Haltung anzunehmen. Ich glaube nicht an die
       sogenannte Objektivität.
       
       29 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /G20-Treffen-in-Buenos-Aires/!5550745
 (DIR) [2] /Vor-dem-G20-Gipfel-in-Argentinien/!5548894
 (DIR) [3] https://twitter.com/hashtag/SomosTelam?src=hash
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Wasenmüller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) G20
 (DIR) Argentinien
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Journalismus
 (DIR) Buenos Aires
 (DIR) Argentinien
 (DIR) G20
 (DIR) G20
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Saudi-Arabien
 (DIR) G20
 (DIR) Argentinien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) G20-Gipfel in Buenos Aires: Friedlicher Protest
       
       Buenos Aires ist während des G20-Gipfels zur Festung ausgebaut. Tausende
       DemonstrantInnen sind trotzdem durchs Zentrum der Stadt gezogen.
       
 (DIR) Aktivistin gegen G20 in Argentinien: Von Gipfel zu Gipfel
       
       Die 24-jährige Marta Music ist überall, wo sich der globale Protest gegen
       G20 trifft. 2017 war sie in Hamburg dabei, jetzt demonstriert sie in Buenos
       Aires.
       
 (DIR) Angela Merkel verpasst G20-Auftakt: Regierungsmaschine muss umkehren
       
       Bundeskanzlerin Merkel verpasst den Auftakt des G20-Gipfels. Ihr Flugzeug
       musste wegen eines technischen Defekts umkehren.
       
 (DIR) G20-Gipfel in Buenos Aires: Viele Premieren, große Unsicherheit
       
       Die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder kommen in Argentinien
       zusammen. An Konflikten mangelt es den teilnehmenden Staaten nicht.
       
 (DIR) Experte zu Anzeige gegen bin Salman: „Immunität ist die größte Hürde“
       
       Trotz einer Strafanzeige ist Saudi-Arabiens Kronprinz ungehindert zu G20
       nach Argentinien gereist. Was jetzt passieren könnte, erklärt Strafrechtler
       Kai Ambos.
       
 (DIR) G20-Treffen in Buenos Aires: Das ist der Gipfel
       
       Argentiniens Hauptstadt ist im Ausnahmezustand. Nach den
       Fußball-Ausschreitungen wird beim G20-Gipfel Härte der Polizei gegen
       Proteste erwartet.
       
 (DIR) Vor dem G20-Gipfel in Argentinien: Río de la Plata wird zur Festung
       
       Argentiniens Hauptstadt bereitet sich auf den G20-Gipfel Ende November vor.
       Die Bedürfnisse der Anwohner werden dabei kaum einbezogen.