# taz.de -- 1918 und heute: Salz in die Wunden gestreut
       
       > Das Märkische Museum thematisiert in einer sehenswerten Ausstellung das
       > „lange Leben der Novemberrevolution“.
       
 (IMG) Bild: Revolution als Gebrauchsgegenstand: Karl und Rosa
       
       Es ist nur eines von vielen Plakaten, die beim SED-Gedenkmarsch für Rosa
       Luxemburg und Karl Liebknecht hochgehalten werden: „In unserem
       sozialistischen Berlin wird das Vermächtnis von Karl und Rosa erfüllt“,
       steht darauf. Im Januar 1988 jährte sich zum 69. Mal der Tag der Ermordung
       der beiden Arbeiterführer, und das Volk marschierte auf der Karl-Marx-Allee
       an seinen Führern vorbei. Die Fernsehausschnitte im Märkischen Museum
       zeigen einen sichtlich gerührten Erich Honecker. Ob er sich in dem Moment
       als Vollender des Werks gefühlt hat, das mit der Ermordung Rosa Luxemburgs
       und Karl Liebknechts am 15. Januar 1919 so jäh unterbrochen wurde?
       
       „Projektionsfläche“ heißt das letzte und spannendste Kapitel der
       Ausstellung „Berlin 18/19 – das lange Leben der Novemberrevolution“, die
       noch bis Mai im Märkischen Museum zu sehen ist. Obwohl im Alter von 47
       Jahren ermordet, hat Rosa Luxemburg von allen Protagonisten der Revolution
       wohl das längste Nachleben.
       
       Und ein äußerst facettenreiches obendrein. 1979 hatte der Ostberliner
       Magistrat den Bildhauer René Graetz beauftragt, eine Skulptur Rosa
       Luxemburgs zu entwerfen – sie sollte zugleich Modell für ein späteres
       Denkmal sein. „Da die Persönlichkeit Luxemburgs sich nicht für ein
       heroisches Denkmal eignete, verzichtete der Bildhauer auf eine kämpferische
       Pose“, heißt es auf der Erklärtafel zur Skulptur.
       
       Die SED wiederum wollte auf eben jene Pose nicht verzichten und
       veranstaltete seit 1946 Januar für Januar „Kampfdemonstrationen der
       Berliner Werktätigen“. Als sich im Januar 1988 auch Oppositionelle mit
       selbstgemachten Transparenten unter die Demonstrierenden reihen wollten,
       schlug die Staatsmacht zu. Transparente mit dem Luxemburg-Zitat „Freiheit
       ist immer Freiheit der Andersdenkenden“, gehörten nicht ins Nachleben der
       Novemberrevolution, wie es die DDR-Führung zelebrierte.
       
       Eine Leihgabe des FHXB-Museums schließlich zeigt ein Foto einer
       Demonstration gegen den Vietnamkrieg im Februar 1968 in West-Berlin. Auf
       Plakaten werden die Idole der Protestgeneration hochgehalten: Ho Chi Minh,
       Che Guevara, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – auch das ein Moment der
       Vereinnahmung.
       
       Gleichzeitig änderte sich die Haltung zur Novemberrevolution im Westen.
       Verkörperte sie während des Kalten Krieges noch den „Versuch, einen
       deutschen Bolschewismus zu etablieren“, wie die Kuratoren Martin Düspohl,
       Gernot Schaulinski und Andreas Ludwig schreiben, „wurde die Revolution in
       den folgenden Jahren durch den Bundespräsidenten Gustav Heinemann als Teil
       der deutschen Freiheitsbewegung betrachtet.“ Beispiel dafür ist der
       „Wettbewerb für die Schuljugend“ von 1975 unter dem Motto: „Vom Kaiserreich
       zur Republik 1918/19“. Im Zentrum stand freilich nicht Liebknechts
       Ausrufung der „freien, sozialistischen Republik“ am Schloss, sondern
       Philipp Scheidemanns Ausrufung der deutschen Republik am selben Tag, dem 9.
       November 1918, im Reichstag.
       
       Dass die Novemberrevolution derart zur Projektionsfläche werden konnte, hat
       mit ihrer Geschichte von Versprechen und Verrat zu tun, mit revolutionären
       Matrosen und rechtsextremen Freikorps – und mit den Heldinnen und Helden,
       die sie hervorgebracht hat. Zu ihnen gehören die Toten des 9. November
       1918. Sie wurden teilweise auf dem Friedhof der Märzgefallenen, aber auch
       in Friedrichsfelde beerdigt. Dort schuf Mies van der Rohe 1926 im Auftrag
       der KPD ein monumentales Revolutionsdenkmal, das am Grab von Karl
       Liebknecht und Rosa Luxemburg errichtet wurde. Nach 1933 ließen es die
       Nazis abreißen. Anlässlich der ersten Gedenkveranstaltung nach dem Krieg am
       13. Januar 1946 wurde das Denkmal zeitweilig nachgebaut. Bis heute findet
       am Sozialistenfriedhof in Friedrichsfelde im Januar ein Gedenkmarsch statt,
       parallel zur Liebknecht-Luxemburg-Demo der linken Szene. Auch das ein
       Beispiel für das lange Leben von 1918/19.
       
       Sag mir wo du stehst? Lange Zeit bot die Novemberrevolution verlässliche
       Antworten auf die politische Gretchenfrage, ihr Nachleben war vor allem die
       fortgesetzte Spaltung der Linken. „Erst 100 Jahre später sehen wir, dass
       sich Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung
       an einen Tisch setzen und nach gemeinsamen Antworten suchen“, sagt Kurator
       Düspohl in Anspielung auf ein Gespräch beider Stiftungen in der taz.
       
       Gut möglich, dass das Zusammenrücken auch mit der Furcht vor einem weiteren
       Erstarken der Rechten zu tun hat. „Achtung! Rote Gefahr!“ titelte bereits
       1920 ein Plakat der Deutschen Volkspartei. Es zeigt den Turm des Roten
       Rathauses unter einer Arbeitermütze. Unter den Nazis schließlich wurden die
       „Novemberverbrecher“ verfolgt.
       
       Während die AfD bisher zur Revolution von 1918 schweigt (und stattdessen
       versucht, den Revolutionsbegriff von rechts zu kapern), wird auf der Ebene
       von Kunst und Kultur hart um ihr Erbe gerungen. Denn die Revolution hat
       auch eine neue Ästhetik hervorgebracht, wie die Ausstellung zeigt. Vom
       Bühnenbild von Erwin Piscators Inszenierung von Ernst Tollers Hoppla, wie
       leben! bis zum modernen Großstadtroman von Alfred Döblin wurden Theater und
       Literatur entstaubt und revolutioniert. Vielleicht ist der rechte
       Kulturkampf gegen den „linken Mainstream“ nicht nur auf '68, sondern auch
       1918 zurückzuführen.
       
       Inzwischen sind Rosa und Karl in der Popkultur angekommen – ihr Konterfei
       formt sogar Salz- und Pfefferstreuer eines Leipziger Herstellers. Das
       freilich gefällt nicht jedem. Als ein Besucher die Streuer im Museumsshop
       nichtsahnend erstand, wurde er von einem aufgebrachten Museumsmitarbeiter
       zurechtgewiesen. „Alles wird heutzutage kommerzialisiert“, echauffierte
       sich der. Eine herrliche Szene. Gäbe es eine Tonaufnahme, müsste sie
       unbedingt ausgestellt werden.
       
       20 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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