# taz.de -- Organisierte Kriminalität: „Diese Leute bellen nicht“
       
       > Die Politik geht das Problem der „kriminellen Clans“ nicht an – sie
       > huldigt der Ideologie des Multikulturalismus, sagt Migrationsforscher
       > Ralph Gadbhan.
       
 (IMG) Bild: Handwerker übermalen das Wandbild von Nidal R. am Tempelhofer Feld, der im September 2018 erschossen wurde
       
       taz: Herr Ghadban, am Dienstag wurde der Clanchef Arafat Abou-Chaker
       verhaftet wegen der geplanten Entführung von Bushidos Kindern. Ist das ein
       Erfolg im Kampf gegen Clans? 
       
       Ralph Ghadban: Endlich hat der Staat gehandelt. Wegen der Laxheit der
       Justiz und der Untätigkeit der Politik konnte diese winzige Familie die
       Stadt jahrelang terrorisieren. Die Abou-Chaker sind kein Clan, möchten aber
       einer werden. Man hätte sie von Anfang an stoppen können, aber es ist immer
       noch möglich. Anders sieht es mit den anderen großen Clans aus.
       
       Das Thema „Clankriminalität“ ist nach dem Mord an Nidal R. im vorigen Jahr
       sowie den Beschlagnahmungen beim Remmo-Clan sehr präsent. Manchmal klingt
       es so, als hätten die Clans ganz Berlin im Griff. Ist das übertrieben? 
       
       Ralph Gadban: Nein. In meiner Wohnumgebung haben in den letzten Jahren vier
       Shisha-Bars geöffnet, mit einer Klientel, die wir vorher nie gesehen haben.
       Sie versuchen jetzt, in den besseren Bezirken Fuß zu fassen.
       
       Für Sie ist Shisha-Bar gleich Clankriminalität? 
       
       Ja! Diese Bars dienen hauptsächlich der Geldwäsche. Viele Clans hatten ihr
       erbeutetes Geld im Libanon investiert, aber da herrscht seit Jahren eine
       wirtschaftliche Krise. Deshalb suchen sie hier nach
       Investitionsmöglichkeiten – in Restaurants, Bäckereien, Immobilien und
       Shisha-Bars.
       
       In Ihrem neuen Buch zeichnen Sie ein düsteres Bild jener Gruppe, die oft
       als „libanesische Kurden“ bezeichnet wird. 
       
       Die Abstammung der M’hallami ist unbekannt. Deshalb werden sie nach ihrem
       arabischen Dialekt genannt, der in etwa 40 Dörfern in der Gegend zwischen
       Mardin und Medyat in der Südosttürkei gesprochen wird. Sie sind sich über
       ihre eigene Bezeichnung nicht einig. In Deutschland scheinen sie eine
       Mischlösung gefunden zu haben, sie nennen sich libanesische Kurden. Das ist
       absurd, weil sie weder Kurden noch Libanesen sind. Eine der Geschichten
       über ihre Herkunft scheint mir plausibel zu sein, weil sie von neutralen,
       alten Quellen dokumentiert ist. Sie besagt, dass sie vor ihrer Konversion
       zum Islam im 17. Jahrhundert christliche Aramäer waren.
       
       Aber wieso „Kurden“? 
       
       Die kurdische Nationalbewegung im Libanon wollte diese Einwanderergruppe
       für sich gewinnen, sozusagen kurdifizieren, um der damaligen Mandatsmacht
       Frankreich zu zeigen, dass sie eine große Gruppe vertreten. Gelungen ist
       ihnen das nicht, aber der Name ist geblieben. Als ich 1972 aus dem Libanon
       nach Berlin kam, wusste ich praktisch nichts über die M’hallami. Im Libanon
       lebten sie in Ghettos, es gab kaum Kontakte mit der übrigen Gesellschaft.
       
       „Arabische Clans“ ist Ihr Buch überschrieben. Erklären Sie uns bitte, was
       ein Clan ist.
       
       Das ist eine in sich geschlossene Form der Großfamilie, die historische
       Wurzeln im arabischen Siedlungsgebiet hat. Das ganze Gebiet von Marokko bis
       Zentralasien ist nur zu einem kleinen Teil landwirtschaftlich nutzbar.
       Deshalb gab und gibt es dort bis heute nomadische oder seminomadische
       Gruppen. Nomaden sind total aufeinander angewiesen, deshalb ist die
       Familiensolidarität bei ihnen viel stärker ausgeprägt als bei sesshaften
       Bauern. Im Gegensatz zu allen anderen Familiensystemen weltweit ist die
       „arabische Familie“ nach Meinung von Anthropologen endogam, basiert also
       auf der Inzucht: Cousins und Cousinen heiraten untereinander.
       
       Die Cousinen-Ehe ist auch bei uns nicht verboten. Und dann: Was hat der
       Islam damit zu tun? 
       
       Bei allen Muslimen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika ist die
       Großfamilie die Grundlage der sozialen Organisation. Die Scharia, das
       islamische Recht, verfestigt und reproduziert diese Grundlage mit ihrem
       Familien- und Erbrecht. Nur in Südsahara-Afrika und Südostasien hat der
       Islam die endogame Familienstruktur nicht durchsetzen können. Die
       M’hallamis in Berlin folgen seit Jahrzehnten dem religiösen Verein für
       „Wohltätige Zwecke“, genannt al-Maschari, der am Görlitzer Bahnhof die
       Omar-Moschee errichtet hat. Wegen seiner Sufi-Ausprägung wird er vom
       traditionellen Islam als Sekte betrachtet.
       
       Uns ist bei der Lektüre nicht ganz klar geworden, was genau Ihr
       Untersuchungsobjekt ist – die M’hallami-Clans oder allgemein arabische
       Clans? Das sind ja keine Synonyme. 
       
       Am Beispiel der M’hallami behandle ich das Problem der Integration von
       Migranten, die sich nicht als Individuen, sondern als Teil einer
       Gemeinschaft, sei es sie die Großfamilie oder die Konfession, betrachten,
       in einer modernen individualisierten Gesellschaft. Die M’hallami sind mein
       Schwerpunkt, weil die Kriminalität bei ihnen besonders ausgeprägt ist.
       
       Warum ist das so? 
       
       Unser ethisches Verständnis ist den Clans fremd. Ihr Wertesystem ist
       einfach: Alles außerhalb des Clans ist Feindesland, das es zu erbeuten und
       zu kontrollieren gilt. Interessant ist, dass der Clan in den modernen
       islamischen Ländern eine Art Schutz vor dem Staat bietet, er will sich in
       erster Linie etwas von ihnen holen, staatliche Wohlfahrt gibt es nicht.
       Hier sind diese Familien in eine Gesellschaft gekommen, wo der Staat sich
       eigentlich um die Bürger kümmert – aber sie grenzt er aus und nutzt die
       Gelegenheit nicht, sie zu integrieren: Schon 1978 gab es in Deutschland die
       ersten Arbeitsverbote für die Menschen, die vor dem Bürgerkrieg im Libanon
       geflohen waren.
       
       War das mit ursächlich für die Entwicklung krimineller Strukturen? 
       
       Man hat sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt, und dort konnten sie
       ihre Clanverhältnisse ungestört reproduzieren.
       
       Hätte die Clanstruktur sonst aufgebrochen werden können? 
       
       Ich denke, da hätte es eine Hoffnung gegeben.
       
       Wie viele Clans gibt es mittlerweile in Berlin? 
       
       Ich schätze, ein paar Dutzend. Das LKA Berlin hat die Clans bis heute nicht
       systematisch erfasst, weil die Politik das verhindert hat. Sie wollte keine
       Minderheiten stigmatisieren. Die Polizei redet im Rahmen der organisierten
       Kriminalität von arabischstämmigen Kriminellen.
       
       Gut, die Berliner Polizei spricht nicht von Clans, aber sieht sie das
       Phänomen tatsächlich gar nicht? 
       
       Nach über 40 Jahren schwanken deren interne Einschätzungen zwischen 6 und
       über 20 Gruppen. Das ist einfach alles nicht dokumentiert, und das ist ein
       ideologisches Problem. Rot-Rot-Grün wetteifert darum, wer der beste
       Gutmensch ist, aber wir brauchen …
       
       … harte Männer?
       
       Nein, auch Frauen …
       
       … nur hart müssen sie sein?
       
       Nicht hart, sie müssen die Realität sehen.
       
       Einer, der weiter öffentlich von Clanstrukturen redet, ist der Neuköllner
       Bürgermeister Martin Hikel. 
       
       Herr Hikel ist relativ neu im Amt, er hat schnell das Problem gesehen und
       vertritt grundsätzlich eine Position wie Heinz Buschkowsky.
       
       Den finden Sie vermutlich auch gut. 
       
       Er war der Beste, den wir da gehabt haben.
       
       Stört es Sie eigentlich, wenn man Sie im rechten Lager verortet? 
       
       Das hat mir noch keiner gesagt. Ich gehöre keiner Partei an, ich bin
       Wissenschaftler und engagiere mich für meine Gesellschaft. Im Libanon war
       ich ein 68er, in Berlin stand ich in den 80ern der Alternativen Liste nah.
       Als sich Multikulti in den 90ern durchgesetzt hat, habe ich am Anfang
       mitgemacht. Aber mittlerweile ist mir klar geworden, dass nicht jede
       Religion unbedingt zum friedlichen Zusammenleben aller führt – seither
       kämpfe ich gegen den Multikulturalismus.
       
       Wollen Sie damit sagen, mit Muslimen kann man nicht friedlich
       zusammenleben? 
       
       Mit den meisten ist es schon möglich. Allerdings ist das Zusammenleben mit
       Islamisten und Salafisten eher schwierig.
       
       Was müsste passieren, um die Ausbreitung der Clankriminalität einzudämmen? 
       
       Man muss die Geldquellen austrocknen. Dazu muss die gesetzliche Grundlage
       für die Vermögensabschöpfung verbessert werden. Das ist eine EU-Richtlinie,
       die vom deutschen Gesetzgeber im Namen der „Unschuldsvermutung“ verwässert
       wurde. Deshalb fehlt die Beweislastumkehr. In erster Linie ist
       Clankriminalität aber ein Integrationsproblem, das man nicht nur mit
       Polizei lösen kann.
       
       Sondern? 
       
       Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, alle staatlichen
       Institutionen von der Schule über Sozialdienste, Polizei bis zur Justiz
       müssen ihre Arbeit koordinieren. Die verstorbene Jugendrichterin Kirsten
       Heisig hat mit ihrem „Neuköllner Modell“ den Grundstein gelegt…
       
       … bei dem alle Behörden zusammenarbeiten, sodass jugendliche Straftäter
       schnell vor Gericht gebracht werden können …
       
       Dies wurde von Frau Giffey und jetzt Herrn Hikel mit den Sozialdiensten
       weiter ausgebaut, und man überlegt, dieses Konzept auf ganz Berlin
       auszudehnen. Für die Erhaltung der Clanstruktur spielt zum Beispiel die
       Unterdrückung der Frauen eine entscheidende Rolle. Deshalb brauchen wir
       endlich ein Aussteigerprogramm. Wenn die Frauen raus wollen, zerfällt
       alles.
       
       Wieso? Die Clans können doch einfach neue Frauen aus dem Libanon nachholen. 
       
       Wenn einmal die Clansolidarität durchbrochen ist und Alternativen vorhanden
       sind, hilft der Brautimport für die Erhaltung der Geschlossenheit der
       Gruppe langfristig nicht mehr.
       
       Zum Schluss noch eine andere Frage: Verfolgen Sie diese neuen medialen
       Bilder von Clankriminalität? Populäre Serien wie „4 Blocks“… 
       
       Ich war einer der Berater.
       
       Dann ist das halbwegs authentisch? 
       
       Die gehen von der Realität aus, aber sie müssen eine erfolgreiche Serie
       machen, sie müssen sich verkaufen. Deshalb haben sie Sachen erfunden, die
       unmöglich sind. Einiges habe ich korrigieren können.
       
       Was denn? 
       
       Als ehemaliger Anstaltsbeirat in der JVA-Tegel weiß ich, wie es in den
       Gefängnissen läuft. Für die Serie haben sie eine Verschwörung in Moabit
       erfunden – zwischen einem Anwalt, einem Insassen und seinem Cousin. Das ist
       unvorstellbar! Nur ein näherer Verwandter kann einen Insassen besuchen und
       nur in Anwesenheit eines Beamten und nur auf Deutsch oder über einen
       vereidigten Dolmetscher mit ihm reden. Naja, die erste Version war noch
       schlimmer. Aber richtig unglaubwürdig ist der Chef des Clans, Tony Hamadi.
       
       Warum? 
       
       Er hat nur eine Tochter und denkt ständig über seine Zukunft nach. Um ein
       echter Clanchef zu werden, muss man aber jede Menge Kinder haben, vor allem
       Söhne. Sie haben da so ein Hollywood-Mafia-Ding draus gemacht, damit die
       Sache interessant wird. Aber insgesamt ist die Serie schon sehr gut gemacht
       muss ich sagen.
       
       Aber spricht aus solchen Serien nicht eine Faszination für die Clan-Welt? 
       
       Ja, und die wollten das noch mehr idealisieren. Aber ich habe gesagt, da
       mache ich nicht mit – das sind kaltblütige Kriminelle. Man sagt ja, dass
       der Hund, der bellt, nicht beißt. Diese Leute bellen nicht.
       
       17 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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       R.