# taz.de -- Gendergerechtigkeit auf der Berlinale: Strukturen, Strategien, Signale
       
       > Verbände und Filmschaffende tauschen sich über Gendergerechtigkeit aus.
       > Sie suchen Lösungen für den Sexismus in der Branche.
       
 (IMG) Bild: Gale Anne Hurd (hier mit Ang Lee am Set von The Hulk) plädierte für „mehr Frauen auf allen Ebenen“
       
       BERLIN taz | Anfangs saßen sie in einem Plastik-Iglu im Windschatten der
       Glasbauten am Potsdamer Platz. Fünf Jahre ist es her, dass Pro Quote
       während der Berlinale [1][als neuer Verband von Regisseurinnen sichtbar
       wurde] und sich mit der Forderung nach gendergerechten Arbeitsbedingungen
       in den laufenden Festivalbetrieb einmischte. Die kuschelige Blase im
       Verkehrsgewühl haben sie hinter sich, das Image einer
       Filmemacherinnen-Initiative auch. Der Verband heißt jetzt Pro Quote Film,
       er hat sich für Frauen aus allen filmischen Bereichen geöffnet und seine
       Ziele und Angebote entsprechend aufgefächert.
       
       Nach der Präsentation zahlreicher Studien, die den Mangel an Genderparität
       bei Regieaufträgen, die Dominanz von Männern und die leidige
       Stereotypisierung von Frauen vor allem im Fernsehen nachgewiesen haben, hat
       Pro Quote die politische Kaste aufgeschreckt. Mehr Diversität vor der
       Kamera und 50 Prozent der Arbeitsplätze dahinter ist die Forderung, kurz:
       eine grundsätzliche Reform der Film- und Fernsehindustrie ist angestrebt.
       Gemeint ist mit dem Wort „Industrie“ allerdings der gesamte Apparat mit
       öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichem Fernsehen, neuen Playern
       wie Netflix und verwirrend vielen Filmfördergremien.
       
       Strukturen, Strategien, Signale – ziemlich viel Lobby- und Kampagnensprech
       war bei den gut besuchten Veranstaltungen auf der Berlinale zu hören, die
       Pro Quote Film – zum Teil mit anderen Organisationen und der finanziellen
       Unterstützung des Frauen- und Außenministeriums – auf die Beine stellte.
       
       Nicht zu vergessen: Es gab vor den Pro-Quote-Veranstaltungen bereits
       ähnliche, wenn auch nicht so zahlreiche Berlinale-Events zum Thema, die das
       Frauenfilmfestival Dortmund/Köln mit Partner*innen organisierte, in diesem
       Jahr wieder mit WIFT, einem schon lange existierenden Netzwerk
       internationaler Branchenfrauen.
       
       ## „Finde Freunde und Förderer, die dir etwas zutrauen“
       
       Dieter Kosslick ließ dabei auf sich warten, es gab Zeit für professionellen
       Austausch bei Kaffee und Gebäck, dann unterzeichnete der scheidende
       Berlinale-Chef eine Erklärung, der sich inzwischen auch andere A-Festivals
       angeschlossen haben: „5050x2020“ steht für die Selbstverpflichtung, bis
       2020 innerhalb der Festivalorganisationen für (annähernde) Genderparität
       zu sorgen und auch in der Filmauswahl – hier hat die Berlinale in diesem
       Jahr vorgelegt – mehr Diversität herzustellen.
       
       Das Thema des Tages war „Gender, Genre and Big Budgets“. Gale Anne Hurd,
       die amerikanische Produzentin von Blockbustern wie „Terminator“, „Hulk“,
       „The Abyss“ und Serien wie „Walking Dead“ gab im Gespräch mit Anna Serner,
       CEO des staatlichen Schwedischen Filminstituts, eine unterhaltsame Lektion
       in Sachen Selfempowerment. Sie startete ihre Karriere 1978 in der
       Marketingabteilung der Produktions- und Verleihfirma von Roger Corman,
       einem Meister des Exploitation-Genres.
       
       Nach und nach eignete sie sich das Handwerk einer Produzentin selbst an.
       „Finde Freunde und Förderer, die dir etwas zutrauen“, lautete eine ihrer
       souveränen Empfehlungen – und eine andere: „Sorge für mehr Frauen auf allen
       Ebenen und für eine respektvolle Atmosphäre am Set“.
       
       ## Auswege aus dem hartnäckigen Sexismus in den Medien
       
       Sie sagt, sie liebe, was sie produziere, all die Horror- und
       Science-Fiction-Stoffe, die mit ihr persönlich nichts zu tun hätten, aber
       im Kino neue Maßstäbe setzten. Nicht ohne Genugtuung kommt sie darauf zu
       sprechen, dass „Terminator“ inzwischen auch den Kulturgut-Status im Archiv
       der National Library of Congress zugesprochen bekam. Anfangs habe ihr
       niemand den Erfolg zugetraut.
       
       Zum Teil die gleichen Gesichter waren einen Tag zuvor bei einem
       Roundtable-Gespräch im Außenministerium zu sehen, bei dem Pro Quote Film
       mit 25 internationalen Repräsentantinnen – viele davon in Gremien,
       Kommissionen und Instituten unterwegs – die weltweite Schieflage in Sachen
       Gendergerechtigkeit erörterten.
       
       Sie suchten nach Auswegen aus dem hartnäckigen Sexismus in den Medien.
       Bildbotschaften triggern den Diskurs, also sandte die Versammlung ein
       Selfie mit der Erklärung „Calltoaction“ in die Welt, mit dem sie die
       Mächtigen in Politik und Industrie zu Abbau von Stereotypen, mehr Frauen in
       Führungspositionen und Aufbau von antisexistischen Strukturen aufforderten.
       
       ## Positive Handlungsmodelle und klare Spielregeln
       
       Sinnvoll erscheint, dass Pro Quote Film, WIFT und das Frauenfilmfestival
       ihre Expertise künftig bündeln, auch als wirksames Zeichen gegen den
       Zerstreuungseffekt, der sich bei überfüllten Terminkalendern während des
       Festivals einstellt.
       
       Pro Quote Film annoncierte bei der Berlinale auch seine neu gegründete
       Akademie für angewandte Genderforschung. In Zusammenarbeit mit dem Verband
       der Schauspieler*innen (BVS) demonstrierte Pro Quote mit einem Workshop,
       [2][wie anderthalb Jahre nach #metoo ein Neubeginn aussehen könnte], welche
       praktischen Konsequenzen inzwischen aus den aufgedeckten Missbrauchsfällen
       gezogen werden.
       
       Der Workshop stellte positive Handlungsmodelle und konsensfähige klare
       Spielregeln vor, eine Coaching-Technik, die gegenseitigen Respekt in
       Probesituationen und am Set ermöglicht. Wie inszeniere ich Intimität? Wie
       ist es möglich, körperliche Nähe in heiklen dramatischen Szenen zu zeigen,
       ohne Schauspieler*innen zu nötigen?
       
       Barbara Rohm, Vorstandsvorsitzende von Pro Quote Film, und die
       Schauspielerin Leslie Malton stellten die im vergangenen Jahr gegründete
       [3][Clearingstelle Themis] vor, eine mithilfe der Kulturstaatsministerin
       Grütters vorläufig finanzierte Einrichtung, bei der betroffene
       Schauspieler*innen Beratung und weitere Hilfen finden können.
       
       ## England geht mit gutem Beispiel voran
       
       Um strukturelle Gewalt und Missbrauch zu verhindern, wurde nach den
       #metoo-Skandalen in England ein spezielles Coaching für beide Seiten, Regie
       und Schauspiel, entwickelt, das während der Veranstaltung im Haus der
       Kulturen der Welt vor 150 Interessierten vorgestellt wurde. Der Coach David
       Thackery entwickelte im Vorfeld zusammen mit Hans-Werner Meyer und Nina
       Kronjäger eine Probensituation, in der ein Mann und eine Frau einander
       begegnen.
       
       Es geht um ein Training der Abläufe, um die Bewusstmachung der einzelnen
       Probenschritte, einen offenen Prozess, der beiden hilft, ihre Filmfigur von
       der eigenen Person zu trennen. In jeder Phase der Annäherung wird offen
       über die Intentionen der Regie und die szenische Umsetzung gesprochen.
       
       Selbst die düstersten Szenarien wären dann, so die Zielvorstellung, für die
       Beteiligten transparent und als Rollenspiel vertretbar. Eine Beschränkung
       der künstlerischen Freiheit sah Hans-Werner Meyer in dieser Technik, die
       das Ende des Kults um das Method Acting bedeutet, nicht – sondern im
       Gegenteil eine Bereicherung. Zeit dafür wäre nötig, darin waren sich alle
       Praxiserfahrenen einig.
       
       Die aber fehlt oft in den zunehmend beschleunigten Arbeitsabläufen der
       Filmproduktion in Deutschland. Neben der Genderfrage und dem Problem, den
       Sexismus in der Branche zu bekämpfen, stellt sich mehr und mehr auch die
       soziale Frage. Der Abbau von Machtmissbrauch am Set ist ohne eine Strategie
       gegen prekäre Arbeitsverhältnisse sicher nicht zu haben.
       
       15 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Aufruf-Frauenquote-Kultur/!5031998
 (DIR) [2] /Geschlechtergerechtigkeit-und-Diversitaet/!5568469
 (DIR) [3] /Hilfe-bei-Missbrauch-in-Film-und-TV/!5508867
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Lenssen
       
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