# taz.de -- Essay Ostermärsche 2019: Die Friedensbewegung hat sich verirrt
       
       > Das Netzwerk Friedenskooperative läuft mit seinen Forderungen am Ziel
       > vorbei. Konkrete Kampagnen könnten mehr bewirken.
       
 (IMG) Bild: Es lohnt sich, Druck zu machen
       
       Um Ostern werden sie wieder marschieren, die Friedensbewegten der Republik.
       Das Netzwerk Friedenskooperative nennt bislang 86 geplante Demonstrationen
       und andere Veranstaltungen. Die Bandbreite der Forderungen ist, wie immer,
       groß: Die einen mobilisieren mit der Forderung eines Atomwaffenverbots
       (Wilhelmshaven) oder dem Ende der Auslandseinsätze der Bundeswehr
       (Sachsen-Anhalt), die anderen wollen gleich „eine Welt ohne Militär,
       Rüstungsindustrie und Abschiebungen“ (Stuttgart).
       
       Im letzten Jahr waren nach Angaben der Veranstalter mehrere Zehntausend
       Menschen dabei. Doch was bewegt diese Bewegung eigentlich? Neben dem
       INF-Vertrag und einer „kooperativen Russlandpolitik“ werden in den
       Onlineaufrufen immer wieder Jemen, Syrien, Libyen, die Ostukraine und
       Afghanistan genannt. Doch was haben die Menschen, die unter den Kriegen
       dort leiden oder vor ihnen geflohen sind, von den Ostermärschen und Demos?
       
       Die öffentliche Meinung ist nämlich längst friedensbewegt. Nach einer neuen
       Umfrage halten 82 Prozent der Menschen in Deutschland Friedensförderung für
       „lebensnotwendig“, 70 Prozent fordern höhere Investitionen zu diesem Zweck.
       Auch die differenzierte Meinung der Bevölkerung zu militärischen Mitteln
       widerspricht dem nicht. Nicht näher begründete „Kampfeinsätze“ der
       Bundeswehr lehnen mehr als 70 Prozent zu Recht ab.
       
       Doch noch vor wenigen Jahren fragte die Körber-Stiftung auch mal genauer
       nach, und siehe da, die Deutschen scheren gar nicht alle Auslandseinsätze
       über einen Kamm: 82 Prozent der Befragten fanden den Einsatz der Bundeswehr
       im Fall, dass ein Völkermord droht, gerechtfertigt, 85 Prozent für
       humanitäre Zwecke und 74 Prozent, „um sich an international beschlossenen
       friedenserhaltenden Maßnahmen zu beteiligen“. Im Prinzip muss kaum mehr
       jemand in Deutschland überzeugt werden, dass unsere Regierung mehr für
       Frieden und gegen Krieg tun sollte, und die Leute schauen sehr genau hin,
       welche Mittel dafür eingesetzt werden.
       
       ## Keine Beeinflussung der Friedenspolitik
       
       Auch die Politik ist im Prinzip an Bord. „Früher, entschiedener und
       substanzieller“ soll sich Deutschland einbringen und vor allem bei der
       Prävention von Krisen und Konflikten besser werden, forderte schon
       Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor
       fünf Jahren. Und Frank-Walter Steinmeier baute das Auswärtige Amt um und
       schuf eine neue Abteilung für „Krisenprävention, Stabilisierung,
       Konfliktnachsorge und humanitäre Hilfe“, die Budgets dafür sind erheblich
       angestiegen.
       
       Und doch klafft eine riesige Lücke zwischen Anspruch und dem tatsächlichen
       Handeln Deutschlands. Dank gewachsener Budgets kann Berlin finanziell
       überall mitspielen. Doch politisch pfeift das System schon auf dem letzten
       Loch, wenn auch nur eine Handvoll wichtige diplomatische Kampagnen
       gleichzeitig stattfinden müssen. Spitzendiplomaten arbeiten Tag und Nacht
       an der Rettung des Irandeals und des INF-Vertrages sowie der Umsetzung und
       Weiterentwicklung des Waffenstillstands im Jemen. Für Irak oder Mali,
       Syrien oder Afghanistan bleibt nur der bürokratische Autopilot, gar nicht
       zu reden von präventivem Engagement dort, wo die Gewalt noch nicht
       eskaliert ist.
       
       Das ist die Lücke, wo gesellschaftliches Friedensengagement etwas bewegen
       könnte – für den Frieden derjenigen, die sonst im Krieg sterben, verwundet
       werden oder fliehen müssen. Doch hier ist weit und breit nichts von einer
       Friedensbewegung zu sehen. Sie konzentriert sich auf theoretische
       Schlagworte („Frieden statt Aufrüstung“) und absolute Forderungen:
       Rüstungsexporte und militärische Auslandseinsätze stoppen,
       Nato-Einrichtungen schließen.
       
       Sie versucht gar nicht erst, praktische Friedenspolitik für die Menschen im
       Irak und in Syrien, in Mali und im Südsudan, in Afghanistan oder im Jemen
       zu beeinflussen. Doch sie trägt zu einem gesellschaftlichen Diskurs bei,
       der fast nur über „gute“ und „böse“ Mittel streitet, und nie bei der Frage
       ankommt, was wir eigentlich wollen und wie wir dahin kommen.
       
       ## Eine Zivilklausel hilft den Opfern nicht
       
       Mit dieser Mobilisierungsstrategie lässt die Friedensbewegung mögliche
       „kleine Erfolge“, die etwa in den letzten Jahren im Südsudan oder in
       Myanmar Abertausende Leben hätten retten können, außen vor und hat
       keinerlei Anteil daran, dass UN-Vermittler und EU-finanzierte afrikanische
       Stabilisierungseinsätze in den letzten Jahren in Westafrika viele Leben
       gerettet haben.
       
       Das alles wird auf dem Altar der „großen Themen“ geopfert: der Abschaffung
       der Atomwaffen oder der Hoffnung auf eine kooperative
       Sicherheitsarchitektur mit Russland. Das sind natürlich wichtige Ziele.
       Doch einerseits geht da praktisch nichts voran – weder zeigen die
       Atomwaffenstaaten irgendeine Bereitschaft, ihre Waffen aufzugeben, noch
       verhält sich Putin besonders kooperativ.
       
       Und andererseits sind es gerade die scheinbar einfachen Parolen („Wenn wir
       nur die Nato schwächen, wird Putin auch nett zu uns sein“), mit denen die
       Aktivisten den Großteil der Menschen in Deutschland verlieren: Trotz
       gleichbleibend starker Sympathien für „Frieden“ an sich sind die meisten
       Menschen doch misstrauisch gegen die Scheinlösungen, die da verkauft
       werden.
       
       Wer lautstark für eine Zivilklausel an Universitäten mobilisiert und damit
       der Bundeswehr jede legitime Rolle bei der Eindämmung von Gewalt, Krieg und
       Völkermord abspricht, tut nichts für die Opfer von Krieg und Gewalt – im
       Gegenteil. Rüstungskontrolle und Abrüstung sind wichtig, doch beides beruht
       auf der freiwilligen Bereitschaft der Hochgerüsteten, Waffensysteme
       offenzulegen, zu begrenzen und letztendlich abzubauen.
       
       Mehr erreichen durch fassbare Ziele 
       
       Dafür zu werben ist seit Jahrzehnten deutsche Staatsräson. Wer die in den
       nächsten Jahren entscheidenden politischen Kalküle verändern möchte, müsste
       nach Russland, China, Saudi-Arabien oder in die USA gehen und dort die
       Zivilgesellschaft gegen Aufrüstung mobilisieren, persönlich ungefährlich
       ist das allerdings nur in den USA.
       
       Natürlich gibt es große gesellschaftliche Streitfragen, die wir lösen
       müssen, um langfristig Frieden zu schaffen: Sollten wir der
       subventionierten Überproduktion der europäischen Landwirtschaft den Hahn
       abdrehen, um afrikanischen Ländern faire wirtschaftliche
       Entwicklungschancen zu bieten? Zu welchen Einschnitten in unserem
       alltäglichen Leben sind wir bereit, um gegen den Klimawandel zu kämpfen und
       damit die absehbaren Folgen der Erderwärmung für Krisen und Konflikte in
       der Welt zu reduzieren? Wie wägen wir ab zwischen den negativen Folgen von
       Rüstungsexporten und den Tausenden Arbeitsplätzen, die in Deutschland von
       der Waffenindustrie abhängen – oder der Abhängigkeit, in die wir uns
       bringen würden, wenn wir Rüstungsgüter vor allem von anderen kaufen
       müssten?
       
       Diese Fragen sind auch entscheidend dafür, wie Deutschland und Europa in
       Zukunft zur Eindämmung von Krisen und Konflikten beitragen können. Aber sie
       sind in der deutschen Gesellschaft noch nicht ausdiskutiert. Sie werden
       noch jahre-, wenn nicht jahrzehntelang nicht ausdiskutiert sein. Sich nur
       auf diese langfristigen Diskussionen zu konzentrieren reicht nicht.
       
       Viele Menschen in Deutschland machen sich Sorgen über die zunehmende
       Gewalt, all die Kriege vor der Haustür Europas. Viele wollen im Rahmen der
       eigenen Möglichkeiten mithelfen, etwas zu bewegen. Diese Menschen sind
       keine kleine Minderheit, viele sind keine radikalen Pazifisten. Sie könnten
       mehr erreichen, wenn sie für konkrete, praktische Ziele mobilisieren würden
       – wie es den Gewerkschaften beim Thema Handel gelungen ist. „Wenn ein
       Freihandelsabkommen mit den USA Hunderttausende Menschen auf die Straße
       bringt, aber die so grausamen Bombardierungen auf Aleppo so gut wie keine
       Proteste auslösen, dann stimmt irgendwas nicht“, stellte Bundeskanzlerin
       Merkel im Dezember 2016 fest. Sie hat recht.
       
       ## Der Weg zu einer wirksamen Friedensbewegung
       
       Eine neue Friedensbewegung würde dort ansetzen, wo es bereits breite
       gesellschaftliche Mehrheiten gibt. Nachweislich wirksam sind strategisch
       konzipierte Kampagnen, die versuchen, Aufmerksamkeit auf einzelne Länder
       und Konflikte zu richten und Einfluss auf konkrete politische
       Entscheidungen zu nehmen. Wie Merkels Beispiel der Handelsabkommen: Im
       Kampf um den TTIP-Vertrag mit den USA und Ceta mit Kanada haben
       Hunderttausende demonstriert und teils mit arg einfachen Parolen gepöbelt.
       
       Gleichzeitig haben Expertinnen und Experten detailliert und kenntnisreich
       über politische Knackpunkte gestritten, und das mit enormem Erfolg für die
       kritische Seite: TTIP ist auf absehbare Zeit tot, und Ceta kam erst mit
       weitreichenden Änderungen, die wesentliche Kritikpunkte ausgeräumt haben.
       
       Aus diesen Erfahrungen könnte auch eine Friedensbewegung lernen, die etwas
       für den Frieden bewegen will. Sie könnte ihren Mitbürgerinnen und
       Mitbürgern mit weniger Zeigefinger und weniger Selbstgewissheit begegnen
       und sich stärker als die entscheidende gesellschaftliche Kraft verstehen,
       die die Politik dazu zwingt, den gesellschaftlichen Großkonsens für
       Friedensförderung und Krisenprävention in praktisches staatliches Handeln
       umzusetzen. Dafür lohnt es sich, Druck zu machen. Denn Politik reagiert auf
       Öffentlichkeit, und wer bei Abgeordneten anruft, Mails schreibt oder
       demonstriert, nimmt Einfluss.
       
       Das funktioniert nicht nur bei Handelsabkommen oder Atomausstieg, sondern
       auch in der Außenpolitik; sowohl bei einigen der großen Fragen, wo zum
       Beispiel die internationale Kampagne gegen Atomwaffen in den letzten Jahren
       wichtige Fortschritte gemacht hat, als auch ganz konkret dort, wo heute
       oder morgen Krieg ist. Es gilt für wirksamen Druck auf die Kriegsparteien
       im Jemen oder im Südsudan, ihre Waffenstillstände und Friedensverträge
       endlich einzuhalten.
       
       ## Durch Engagement einen Unterschied machen
       
       Für mehr deutsches und europäisches Engagement für die Menschen in der
       Zentralafrikanischen Republik und in Kamerun, deren Schicksal hier kaum
       wahrgenommen wird. Und für eine kluge und menschliche Syrienpolitik, die
       sich nicht in wohlfeilen Parolen über einen „inklusiven politischen
       Prozess“ erschöpft, sondern ihren beschränkten Einfluss strategisch
       einsetzt, um menschliches Leid zu minimieren: nicht um Geflüchtete, die das
       Assad-Regime mehrheitlich als Oppositionelle fürchtet, um jeden Preis zur
       Rückkehr zu bewegen, sondern um zumindest extreme Repressalien zu
       verhindern.
       
       Jedes Massaker, jede Hinrichtung, jede Folterung ist eine zu viel. Das ist
       die Gelegenheit, wo Aktivismus, Mobilisierungsfähigkeit und die vielen Tage
       und Nächte ehrenamtlicher Arbeit den entscheidenden Unterschied für
       Tausende Menschenleben machen können.
       
       25 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sarah Brockmeier
 (DIR) Philipp Rotmann
       
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