# taz.de -- Kolumne Helden der Bewegung: Bella Genitalia
       
       > Cristiano Ronaldo zeigt auf seine Genitalien und die Kurve feiert mit.
       > Das ist die schaurige Metapher für eine Kultur des Wegsehens im Fußball.
       
 (IMG) Bild: Ein ganzes Stadion feiert die Eier eines Typen, der der Vergewaltigung bezichtigt wird
       
       Einen Fußball-Blockbuster müsste man aufziehen wie einen Mafiafilm, bloß
       ohne Schießereien; andersherum gesagt, ein guter Film müsste aussehen wie
       ein Original, auf das Mafia-Filme die Parodie sind. Alle ikonografischen
       Momente könnte man da reinschreiben, das traute Zusammensitzen unter
       Männern in Umkleiden, die ja im Grunde nichts anderes sind als
       Hinterzimmer.
       
       Der ganze Dirty Talk, der die Dialoge unter Kontrahenten auszeichnet. Die
       absurde Bling-Bling-Ausstattung der Helden, der Höhenrausch des Erfolgs,
       die Zuneigung des ganzen Viertels, die der Gang dadurch gewiss ist; die
       Zelebration von Männlichkeit, die einhergeht mit der Abwertung von allem,
       was als irgendwie uneindeutig empfunden wird.
       
       Nur: Mafiafilme lügen meistens moralisch, wenn sie ihre Protagonisten am
       Ende fallen lassen. So moralisch ist der Fußball nicht. Er ist
       sublimierter, würde der Philosoph Klaus Theweleit sagen, aber das ist nur
       die halbe Wahrheit.
       
       Klassische Mafia-Szene: In einen edlen Mantel gekleidet steht, einen
       Freistoß der eigenen Mannschaft erwartend, der Trainer Diego Simeone am
       Spielfeldrand. Der Ball fällt Diego Godin vor die Füße, der den Befehlen
       seines Paten folgt und den Gegner abschießt; Simeone springt auf, das
       Gesicht zum Jubelschrei verrenkt, der Mantel öffnet sich und er zeigt dem
       Publikum mit beiden Händen an, dass er riesige Klöten hätte, jede einzelne
       so groß wie ein Chihuahua. 28.000 Euro hat ihn das gekostet, und zu seiner
       Verteidigung sagte er: „Mir war einfach danach.“ Ach so.
       
       ## #MeToo im Fußball?
       
       Diese Hybris rächte sich, natürlich, im Rückspiel gewann Juventus Turin 3:0
       und eliminierte Atlético, um im Mafia-Sprech zu bleiben. Alle drei Tore
       schoss Cristiano Ronaldo. Bei Sky bezeichnete man ihn anschließend, ganz
       unironisch, als „König der Champions League“, um dann direkt auf seinen
       Jubel nach dem Schlusspfiff rüberzuschneiden: Cristiano Ronaldo, wie er in
       der Kurve steht, seine Hände barschbreit auseinander, mit der Hüfte nach
       vorne wippend, die Arme immer wieder in seine Körpermitte bewegend. Kuckt
       her, wir haben noch größere Eier. Das Publikum hat gleich verstanden und
       macht mit.
       
       Was bei Sky und auch bei sonstigen Kommentaren keine Erwähnung findet:
       Cristiano Ronaldo soll 2009 in Las Vegas Kathryn Mayorga [1][vergewaltigt
       haben]. Eine Zivilklage ist anhängig. Juventus Turin solidarisierte sich
       mit Ronaldo und lobte seine Professionalität und Hingabe. Der Spiegel,
       [2][der den Fall ausführlich dokumentierte], berichtete von Drohungen und
       Einschüchterungen durch die Anwälte, sollte die Berichterstattung
       fortgesetzt werden.
       
       Mitspieler äußerten sich zu der Sache nicht, und zwar ganz grundsätzlich
       nicht: [3][#MeToo] ist am Profifußball bisher komplett vorbeigegangen. Nur
       in Frankreich gab es ein anonymes Interview einer Spieler-Ex-Frau, die von
       der Gewalt in ihrer Ehe berichtete, das war’s. Stattdessen feiert ein
       ganzes Stadion die Eier eines Typen, der der Vergewaltigung bezichtigt
       wird.
       
       ## „Marsmensch mit drei Eiern“
       
       Dass dieser Fall überhaupt aufkam, ist einerseits dem Mut Kathryn Mayorgas
       geschuldet, die es auf sich genommen hat, den Hass vieler Fans eines der
       beliebtesten Sportlers der Welt auf sich zu ziehen. Andererseits Rui Pinto,
       der [4][die Plattform Football Leaks] betrieb, bis er Mitte Januar in
       Budapest verhaftet wurde. Er hatte den Fall publik gemacht. Inzwischen ist
       er nach Portugal ausgeliefert worden, wo ihn ein Prozess wegen Erpressung
       und Cyberkriminalität erwartet.
       
       Ob es zum Prozess gegen Cristiano Ronaldo kommt, ist hingegen unklar; die
       Polizei in Las Vegas sammelt noch Beweise zusammen; auch das eine Szene,
       die Martin Scorcese gut in Szene setzen könnte. Parallel ermittelt die Uefa
       wegen des Jubels, es droht eine Geldstrafe. Derweil bejubelt ihn Corriere
       dello Sport als „Marsmensch mit drei Eiern“, und der Trainer der Juve,
       Massimo Allegri, meinte, er habe nichts Seltsames gesehen, nur Jubel.
       
       Cristiano Ronaldo zeigt auf seine Genitalien und kaum einer interessiert
       sich dafür, was er damit gemacht hat, aber die ganze Kurve feiert mit. Das
       ist die schaurig-perfekte Metapher für eine Kultur des Wegsehens, die den
       Fußball nach wie vor beherrscht.
       
       23 Mar 2019
       
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 (DIR) Frederic Valin
       
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