# taz.de -- Sexismus in der Esoterik: Der kollektive Schmerzkörper
       
       > In der Esoterik finden Frauen Rat zu schöpferischer Kraft,
       > Menstruationspartys und anderen Traumvorstellungen. Sexismus ist dabei
       > stark verbreitet.
       
 (IMG) Bild: Wenn frau will, ist die Periode eine Party, ein mehrtägiger Orgasmus! Achja?
       
       „Sie [die Frau] sammelt und vermehrt ihre weibliche Energie am besten in
       ihrem Zuhause. Hier sollte das Verhältnis 80 Prozent Familie und Zuhause
       und 20 Prozent im Außen, zum Beispiel Arbeit, sein.“ Als ich das zum ersten
       Mal las, dachte ich mir: Die Autorin hat wohl ein bisschen zu viel
       Lichtnahrung genascht. „Lebe deine weibliche Kraft“ heißt ihr Ratgeber, dem
       dieses Zitat entstammt. Ein Titel, der wohl empowernd wirken soll. Doch
       schon der Untertitel lässt vermuten, dass hier nach Empowerment im
       feministischen Sinne lange gesucht werden kann: „Das große Praxisbuch für
       Schönheit, Heilung und Sinnlichkeit“.
       
       Die Autorin Ludmilla Weidner (Seelenname: Lumira) bezeichnet sich selbst
       als Schamanin und hellsichtig. Vor Kurzem las ich einige ihrer Texte und
       habe es bis heute nicht verkraftet. Geschockt von so viel mehr schlecht als
       recht getarntem Sexismus machte ich mich auf die masochistische Suche nach
       mehr und wurde im alles verschlingenden Paralleluniversum der Esoterik
       fündig. Mal mehr und mal weniger subtil wird dort immer wieder das Bild der
       Frau als Heilerin gezeigt, als diejenige, die durch ihre viel gelobte
       weibliche Intuition Probleme sieht, bevor sie entstehen, und so harmonisch
       handelt, dass das Fass gar nicht erst überläuft.
       
       Auf der einen Seite sind wir also konfrontiert mit milden Frauengemütern,
       die ihre „schöpferische Kraft“ (davon haben sie neunmal mehr als Männer,
       sagt Lumira) nutzen, um sich um ihre Familie und ihre sonstige Umgebung zu
       kümmern. Das können sie nämlich besonders gut und daher sollen sie auch bei
       diesem Job bleiben.
       
       ## Aura und Chakra messen
       
       Viele Männer andererseits, die in der esoterischen Szene aktiv sind,
       bemühen sich tunlichst, ihren Therapiemethoden einen wissenschaftlichen
       Anstrich zu geben: Sie kleiden sich in weiße Kittel, beharren auf ihrem
       Doktortitel und erfinden seltsame Geräte, die Aura und Chakra messen. Einem
       rückschrittlichen Frauenbild steht also ein ebenso traditionelles Bild von
       Männern gegenüber, die sich um die Zahlen und Fakten bemühen. Auf ein
       „Empowerment“, das auf einer solchen Rollenverteilung basiert und von mir
       verlangt, auch noch im übertragenden Sinn alles glattzubügeln, darauf kann
       ich pfeifen.
       
       Wer ein bisschen in die Szene hineintaucht, wird schnell feststellen: Für
       Esoterikerinnen scheint die Menstruation ein besonderes Highlight zu sein.
       Lumira empfiehlt, sich während der Periode einen langen Rock und keine
       Unterhose anzuziehen, rauszugehen und der Erde das ungeborene Kind (alias
       Menstruationsblut) zurückzugeben. Zudem rät sie davon ab, während der
       Menstruation mit dem Partner in einem Zimmer zu schlafen (von einer
       etwaigen Partnerin ist gar nicht erst die Rede), Sport zu treiben oder
       allzu ausgiebig sozialen Aktivitäten zu frönen.
       
       Ihre Kollegin und „spiritueller Erfolgscoach“ Bahar Yilmaz erklärt, dass
       wir Frauen mit dem kollektiven Schmerzkörper aller Frauen verbunden seien.
       Der sei ziemlich aufgeladen mit Leid und Schmerz, deswegen sollen wir die
       negativen Kanäle zu diesem Schmerzkörper kappen. Auch sie rät, während der
       Periode eine Ruhephase einzulegen. Wenigstens stellt sie fest, dass die
       Periode in einer männerdominierten Welt keinen Platz hat; Chapeau für diese
       kritische Reflexion.
       
       ## Ein mehrtägiger Orgasmus
       
       Ins nächste Fettnäpfchen tritt sie dann allerdings, wenn sie Frauen
       zuschreibt, selbst darüber entscheiden zu können, während ihrer Periode zu
       leiden oder nicht. Denn: wenn frau will, ist die Periode eine Party, ein
       mehrtägiger Orgasmus! Ich würde an dieser Stelle gern schreiben: Wenn das
       für Bahar so ist, freue ich mich für sie. Aber ich freue mich nicht, wenn
       mir jemand sagt, ich sei verantwortlich für meine Menstruationsbeschwerden.
       
       Jede menstruierende Person sollte während ihrer Periode das machen können,
       was ihr am besten hilft, und das, ohne sich den Vorwurf anhören zu müssen,
       sie hätte selbst Schuld an ihren Schmerzen. So oder so, ich bevorzuge
       Buscopan gegen Schmerzen und Sex für den Orgasmus.
       
       18 Apr 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Aylin Braunewell
       
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