# taz.de -- Die Wahrheit: Angst essen Guru auf
       
       > Der große Wahrheit-Praxisbesuch beim Spezialisten für Flugangst und
       > Flugscham: Patienten suchen jetzt das, was sie früher ablegen wollten.
       
 (IMG) Bild: Ausgeixt: Chemtrails machen Flugscham
       
       Kein Wort dürfte so frisch auf dem Begriffsmarkt sein wie das von der
       „Flugscham“. Seit bekannt wurde, dass Greta Thunberg mit dem Zug von
       Stockholm nach Berlin gefahren ist, statt zu fliegen, möchten viele
       Menschen ihre persönlichen Mobilitätsweichen in nachhaltige Bahnen leiten.
       Unterstützung dafür bekommen sie ausgerechnet von einem Mann, der in der
       Vergangenheit als der „Harte Flughund des internationalen Luftraums“
       bekannt war.
       
       Die Rede ist vom Angstforscher Dr. Erwin Paulus, der in seiner Praxis seine
       Patienten bislang erfolgreich von ihrer Flugangst heilte: Menschen, die
       plötzlich in international agierenden Unternehmen tätig werden mussten;
       Sportler, die auch auf anderen Kontinenten an Wettbewerben teilnehmen
       wollten; oder Politiker, die plötzlich in den diplomatischen Dienst
       gerieten – sie alle zählten zur Klientel von Dr. Paulus. Patienten, die
       vorher nur mit schlotternden Knien eine Ryanair-Maschine bestiegen, waren
       nach seiner Behandlung kaum noch aus einem Airbus herauszukriegen, „die
       Lufthansa wurde für sie zur Lusthansa“, wie der humorvolle Psychologe
       bemerkt.
       
       Aber seit einigen Wochen ist Dr. Erwin Paulus ein anderer geworden, hat
       sich vom Flugpaulus zum Flugsaulus gewandelt. Die Debatten um die
       Klimakatastrophe und die „Fridays for Future“-Bewegung haben ihm wohl
       klargemacht, dass er sich auf der falschen Seite des Rollfelds befand.
       Nicht länger Flugangst heilen will der hagere Guru der Psycho-Aeronautik,
       sondern Flugscham befördern. Eine leichte Kohlenmonoxid-Vergiftung durch
       einen Kachelofen in einem seiner Warteräume tat wohl ein Übriges, um ihn in
       den Kampf gegen den Kohlendioxidausstoß eintreten zu lassen. „Wenn
       Kohlenmonoxid schon so gefährlich ist, was droht uns dann erst vom
       Dioxid?!“, ist eine der Fragen, die den gertenschlanken Weißkittel mit den
       spitzen Gesichtszügen antreiben.
       
       Und so hat er denn seine Praxis komplett umgestaltet. Neuerdings sind die
       Räumlichkeiten mit großen Wandbildern der schönsten Flugzeugabstürze aus
       den vergangenen Jahrzehnten geschmückt: der Lockerbie-Absturz von 1988 oder
       das Trümmerfeld der in der Ostukraine abgeschossenen malaysischen
       MH17-Maschine.
       
       ## Zehnmal zum Mond und zurück
       
       Der erste Hilfesuchende, der sich heute von seiner Vielfliegerei heilen und
       Flugangst erfahren möchte, ist Eberhard Frings, ein langgedienter
       Flugkapitän der skandinavischen SAS, der nach eigenen Worten schon
       „mindestens zehnmal die Strecke von hier bis zum Mond auf dem Buckel hat“.
       Aber seit er nach einer Landung in Stockholm bei einem anschließenden
       Kurzspaziergang durch die Stadt plötzlich Greta Thunbergs strengen Blicken
       ausgesetzt war, hat sich sein Weltbild auf den Kopf gestellt. Schon die
       Rückreise nach Frankfurt legte Frings mit einem Bus zurück. Die
       anschließende Abmahnung durch seine Fluglinie ließ ihn dann Dr. Paulus
       aufsuchen, um mit psychologischem Rückhalt seine unselige CO2-orientierte
       Lebensführung hinter sich zu lassen.
       
       „Herr Doktor, bitte lassen Sie mich Flugangst spüren!“, ist inzwischen der
       häufigste Satz, den Erwin Paulus bei seiner täglichen Pionierarbeit zu
       hören bekommt. Aber er wiegelt in aller Bescheidenheit ab: „Flugangst war
       mir ja schon immer sehr vertraut! Ich musste jetzt nur die
       Argumentationsrichtung um 180 Grad drehen. Schon stürzt der Patient
       gedanklich ins Bodenlose. Da stellt sich dann die Flugangst wie von selbst
       ein. Solche Menschen sind durch und gerettet. Da ist nichts mehr mit
       CO2-Ausstoß!“
       
       Zum Abschluss unserer Praxisvisite dürfen wir mit Einverständnis der
       Patientin an einem Beratungsgespräch teilnehmen. Irmgard Holtze ist seit
       drei Jahrzehnten Stewardess und hat sich nach eigenen Worten bisher auf
       jeden Arbeitstag gefreut. Aber da sie die Welt mittlerweile bis in den
       letzten Winkel kenne, müsse sie doch nirgends mehr hin, sagt sie. Sie
       wünsche sich von Paulus Hilfe beim Absprung von ihrem Lebensweg.
       
       Den verschafft ihr der gewiefte Psychologe gern. Er setzt sie in das
       nachgebaute Cockpit einer Boeing 737 Max. Kürzlich waren zwei Maschinen des
       Typs abgestürzt. Nun verschließt Dr. Paulus die Luken luftdicht, pumpt
       ordentlich Kohlendioxid hinein. Nach den ersten Klopfgeräuschen von innen
       öffnet der Therapeut wieder die Tür. Irmgard Holtze fällt heraus, und der
       Arzt fügt seiner Liste mit erfolgreichen Phobie-Neulingen noch einen Namen
       hinzu. Mit grünlich angelaufenem Gesicht dankt die ehemalige Stewardess dem
       glücklich strahlenden Spezialisten und sprintet dann zum nächsten
       Kotzkübelchen. Und auch wir suchen schleunigst das Weite.
       
       27 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Umbach
       
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