# taz.de -- Die Wahrheit: Scooterman jagt Fantastereien hinterher > Von Zeit zu Zeit überschätzt der Kolumnist sich gehörig. Er versucht > dann, sich selbst einzureden, dass seine Krankheit gar nicht so schlimm > ist. Liebe Wahrheit-Leser, geht es Ihnen gut? Dann verrennen Sie sich auf gar keinen Fall in eine Fehleinschätzung, die für mich gestern in die lausigste Nacht des Jahres führte. Sie erinnern sich vielleicht? Ihr Scooterman ist 53 Jahre alt. Im Jahr 2002 wurde ihm eine Multiple Sklerose diagnostiziert, die seitdem unverzagt und unbesiegbar in seinem Körper vor sich hin wächst. Seit sechs Jahren wohnt Scooterman in einer barrierefreien Wohnung in Berlin-Charlottenburg, nur wenige Meter von der Spree entfernt. Wenn er die Wohnung verlassen will, vertraut er dabei seinem Elektroscooter, der mittlerweile im vierten Jahr im Rollstuhlwechselraum auf ihn wartet. „Nun gut“, murmelt es in der geneigten Leserschaft. „Das ist uns schon mehrfach mitgeteilt worden. Kommt da noch irgendwas Spannendes, oder kann ich irgendwas anderes machen? Den Abwasch zum Beispiel? Der beginnt mir sonst noch zu müffeln.“ Nun gut, schon seit vielen Wochen sucht Ihr Scooterman nach einem Moment, um ein Geständnis abzulegen. Jetzt scheint der Moment gekommen. Von Zeit zu Zeit überschätzt sich Ihr Scooterman nämlich gehörig. Dann versucht er sich selbst einzureden, dass seine Krankheit gar nicht so schlimm ist. Dass sie sich schon vom Acker machen würde, wenn er ihr nur mutig genug entgegenträte. Würde man ja sehen, ob sie nicht in den nächsten Furchen verschwände, sobald er sie nur mutig ignorieren würde. Tja, diese Fantastereien überfallen Ihren Scooterman immer, wenn er sich zu wenig um seine Medikamente gekümmert hat. Eigentlich nimmt er täglich drei bis fünf Tabletten. Wegen der ständigen Krämpfe, die gern mal bei der Multiplen Sklerose auftreten. Aber höchstens achtundzwanzig Mal am Tag. Und drei Mal pro Woche spritzt Ihr Scooterman sich Betaferon subkutan. Ist eine kleine Schwester von Interferon. Wenn Scooterman das Internet richtig verstanden hat. Zumeist in den Bauch. Im Anwendungsplan, der den Spritzen ab Werk beigefügt ist, werden auch die Bizeps als Zielobjekte angegeben. Das hat Ihr Scooterman auch pflichtschuldig versucht. Jedenfalls einmal. Die Spitze der Spritze ist übrigens zwölf Millimeter lang. Und verursacht beim Einstich genau soviel Schmerzen, wie Sie sich gerade vorstellen. Vor einigen Tagen kam Ihr Scooterman zu dem Entschluss, mal wieder weniger Tabletten zu nehmen. Natürlich ohne Absprache mit seinen beiden Neurologen. Was wissen die denn schon? Am besten wäre es natürlich, abends ohne Medikamente schlafen zu gehen. Barfuß ins Bett, wie die Großmutter des Scooterman immer so listig gesagt hatte. Aber so eine Multiple Sklerose lässt sich nicht austricksen. Denkt sie überhaupt nicht dran. Gegen Mitternacht begannen die Schmerzen. Nicht wirklich schlimm. Aber als kleines Extra brauchte es ungefähr eine halbe Stunde, um sich umzudrehen. Mehr ist nicht passiert. Aber mir reicht das schon. 5 Jun 2019 ## AUTOREN (DIR) Knud Kohr ## TAGS (DIR) Schlafentzug (DIR) Multiple Sklerose (DIR) Scooter (DIR) Scooterman (DIR) Behinderte (DIR) Multiple Sklerose (DIR) Hunde (DIR) Scooterman ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Die Wahrheit: Scooterman und seine Oma Unser Held im Rollstuhl fährt um einen See herum und tief in seine Vergangenheit hinein, als Großmutter einmal gar nichts verstand. (DIR) Die Wahrheit: Scooterman erlebt ein Abenteuer Die Geschichte eines Tages im Rollstuhl kann man auch als Abfolge sich ständig steigernder Heldentaten erzählen. Oder etwa nicht? (DIR) Die Wahrheit: Scooterman spielt den Artisten Alptraum im Rollstuhlwechselraum: eine weitere Geschichte, die zeigt, wie beschwerlich so ein Leben mit MS ist. (DIR) Die Wahrheit: Scooterman spricht mit Hunden In der Schweiz geht die Legende, dass Tiere in den berühmten Tagen zwischen den Jahren sprechen können. Scooterman will es deshalb wissen … (DIR) Die Wahrheit: Scooterman gurkt durch die Stadt Ein Blick zurück nach vorn: Um weitere Abenteuer zu überleben, muss man raus aus der gewohnten Umgebung – und mindestens über ein Gewässer.