# taz.de -- Grüne und Bundeswehr: „Herr Oberleutnant? Özdemir reicht“
       
       > Ex-Parteichef Cem Özdemir hat ein Praktikum bei der Bundeswehr
       > absolviert. Ein Gespräch über Bürger in Uniform und Krieg als Mittel der
       > Politik.
       
 (IMG) Bild: Sitzen die Baretts gut? Oder doch eher wie Badekappen? Man weiß es nicht
       
       taz: Herr Özdemir, haben Sie eigentlich gedient? 
       
       Cem Özdemir: Nein. Meine Eltern sind türkische Gastarbeiter, ich habe erst
       mit 18 den deutschen Pass bekommen. Einen Einzugsbescheid hatte ich dann
       aber nie im Briefkasten.
       
       Glück gehabt. 
       
       Wie man’s nimmt. Dass ich den deutschen Pass haben wollte, hatte zwei
       Gründe. Ich war damals schon bei den Grünen aktiv und wollte in dem Land
       wählen, in dem ich mich politisch engagiere. Und das wehrpflichtige Alter
       in der Türkei rückte näher. Dort zur Armee zu gehen war für mich angesichts
       der Menschenrechtsverletzungen und politischen Unruhen unvorstellbar.
       
       Sie haben fünf Tage ein Praktikum am Bundeswehrstandort Munster absolviert.
       Ernennung zum Oberleutnant, Gelöbnis und Strammstehen inklusive. Warum? 
       
       Als Parlamentarier entscheide ich über Mandate für Bundeswehreinsätze. Es
       geht um Existenzielles, um Leben und Tod. Das ist eine enorme
       Verantwortung. Da fand ich es gut, mir selbst einen tieferen Einblick in
       die Arbeit der Truppe zu verschaffen.
       
       Müssen wir Sie jetzt mit „Herr Oberleutnant“ ansprechen? 
       
       Keine Sorge, der Dienstgrad wurde mir am Ende der Wehrwoche wieder
       entzogen. Özdemir reicht.
       
       Was haben Sie bei der Bundeswehr gelernt? 
       
       Wir haben viel diskutiert, es gab Seminare und Vorträge. Alles sehr
       diszipliniert mit penibel festgelegten Redezeiten. Ein Thema war zum
       Beispiel das Spannungsverhältnis zwischen Befehl und Gehorsam, das für
       Soldatinnen und Soldaten existiert. Sie sind Bürger in Uniform und dienen
       in der Parlamentsarmee eines demokratischen Rechtsstaats. Wir haben im
       Zweiten Weltkrieg bitter erleben müssen, welche furchtbaren Folgen blinder
       Gehorsam haben kann. Es ist daher fundamental wichtig, dass Soldatinnen und
       Soldaten Befehle nicht befolgen müssen, wenn sie zum Beispiel dem Artikel 1
       des Grundgesetzes widersprechen.
       
       Mussten Sie auch mal durch Schlamm robben? 
       
       Da muss ich Sie enttäuschen, es blieb trocken. Aber es gab einen
       praktischen Teil. Orientierungslauf mit Marschgepäck, über mehrere
       Kilometer. Wir haben Panzer von innen gesehen, einen Marder, einen Puma und
       einen Leopard II. Und auch Waffen wie das Sturmgewehr G36 oder ein
       Maschinengewehr in den Händen gehalten.
       
       Aber selbst abdrücken durften Sie nicht? 
       
       Doch. Aber deshalb bin ich sicher nicht hin, ich wollte nur keine
       Sonderbehandlung. Davor musste ich erst mal viel lernen. Das Anleitungsbuch
       mit den Vorschriften zum Waffengebrauch ist dicker als mancher
       Literaturklassiker. Viel Theorie also – aus guten Gründen.
       
       Ein Foto zeigt Sie und Ihren Bundestagskollegen Tobias Lindner in
       Tarnuniform. Ein FDPler hat gelästert, Herr Lindner hätte sich das Barett
       „übergezogen wie ’ne Bademütze“. Mussten Sie noch üben?
       
       Ein Barett ist kein Zylinder. Erst wenn es einmal nass war und getrocknet
       ist, hat es eine gute Passform. Aber im Ernst: Tobias und ich wollten ja
       keinen Schönheitspreis gewinnen, sondern möglichst viel lernen und ins
       Gespräch mit den Bundeswehrangehörigen kommen.
       
       Was haben die SoldatInnen Ihnen mit auf den Weg gegeben? 
       
       Manche wunderten sich, dass da ein Grüner kommt. Sie haben aber schnell
       gemerkt, dass ich mich nicht an Panzer ketten, sondern einfach etwas lernen
       möchte. Interessant fand ich, wie viele Soldatinnen und Soldaten sich als
       Sympathisanten von uns Grünen geoutet haben. Die sagten: Danke, dass Sie
       da sind. Dass Sie uns nicht alleine lassen. Sie wollen Wertschätzung für
       den Dienst, den sie für unser Land und die Gesellschaft leisten.
       
       Was haben Sie den Soldatinnen und Soldaten gesagt? 
       
       Ich habe von meinem Selbstverständnis als Parlamentarier erzählt. Dass ich
       es als meine Aufgabe sehe, unsere liberale Demokratie mit dem Wort zu
       verteidigen. Dass wir Einsätze sehr ernsthaft diskutieren, dass uns die
       Entscheidungen irre schwerfallen. Außerdem habe ich mehrmals angesprochen,
       dass Rechtsextreme versuchen, die Bundeswehr zu infiltrieren. Wir stehen ja
       vor der gewaltigen Herausforderung, dass Rechtsextreme die Nähe zur Armee
       suchen. Gegen diese Tendenz muss der Rechtsstaat hart vorgehen. Er darf
       nicht seine Feinde lehren, wie sie Waffen benutzen.
       
       Gab es da nur Applaus? Oder sahen das manche anders? 
       
       Ich habe keine Gesinnungsprüfung gemacht. Eins ist mir wichtig: Die
       Bundeswehr ist als Armee gegründet worden, die mitten in der Gesellschaft
       steht und sich der Demokratie verpflichtet fühlt. Niemand, der in ihr
       dient, darf an die unselige Tradition der Wehrmacht anknüpfen, die in die
       Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt war. Das geht uns alle an.
       Daher muss sich auch der zivile Teil der Gesellschaft für die Bundeswehr
       interessieren. Die Bundeswehr wiederum muss Abbild dieser Gesellschaft
       sein. Sie sollte diverser sein, mit einem höheren Frauenanteil und LSBTI.
       
       Die Bundeswehr schreibt in einem Bericht über den Lehrgang, dass sie die
       Teilnehmer als „Multiplikatoren“ gewinnen will. Sind Sie ein Multiplikator
       geworden? 
       
       Na ja, wir führen ja gerade ein Interview über die Bundeswehr. Insofern
       kann man sagen: Mission erfüllt. Aber das heißt ja nicht, dass ich jetzt
       unkritische Jubelbotschaften verbreite. Ich halte es da wie Goethe: Man
       sieht nur, was man weiß.
       
       Ein Multiplikator der Bundeswehr ist jemand, der Werbung macht. Ist das für
       einen Grünen-Politiker angemessen? 
       
       Ich werbe nicht für die Interessen der Organisation. Ich werbe dafür, dass
       wir Soldatinnen und Soldaten, die wir in Einsätze schicken, angemessen
       ausstatten und uns gewissenhaft mit den Einsätzen auseinandersetzen.
       
       Ist Krieg für Sie ein legitimes Mittel der Politik? 
       
       Es gibt Situationen, in denen man Gewalt als Ultima Ratio anwenden muss, um
       schlimmere Gewalt zu verhindern. Davon bin ich überzeugt.
       
       Ein Einschnitt in der Geschichte der Grünen war die deutsche Beteiligung am
       Kosovokrieg vor genau zwanzig Jahren. Viele Völkerrechtler bezeichneten ihn
       als völkerrechtswidrig. Joschka Fischer hat ihn auf einem Parteitag mit
       seinem berühmten Auschwitz-Vergleich gerechtfertigt. Eine ungeheuerliche
       Anmaßung – oder richtig? 
       
       Ich gehöre nicht zu denen, die den Vergleich mit dem Nationalsozialismus
       bei jeder Gelegenheit bemühen. Das nutzt sich ab. Aber ich war schon vor
       Fischers Parteitagsrede der Meinung, dass es diese Ultima Ratio geben muss.
       Es gab Bilder vom Völkermord in Bosnien, wo eine entfesselte Soldateska
       schreckliche Kriegsverbrechen begangen hat. Wir haben jahrelang zugeschaut
       und uns dadurch mitschuldig gemacht.
       
       In den zwanzig Jahren seit Kosovo sind aber auch viele Interventionen
       gescheitert. Was sind für Sie Kriterien, die einen Einsatz rechtfertigen? 
       
       Es gibt Einsätze, da muss man bilanzieren, dass die Ziele nicht erreicht
       wurden. Trotzdem waren sie richtig. Das wäre für mich Afghanistan. Dann
       gibt es andere Fälle wie den Irakkrieg. Saddam Hussein war ein schlimmer
       Verbrecher, trotzdem waren die Gründe für den Krieg erlogen. Es war
       richtig, dass Fischer und Rot-Grün Nein gesagt haben. Aber es gab andere
       Fälle, wo man im Nachhinein sagen muss, dass man falsch lag.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Syrien. Wir Grüne diskutieren zu Recht über die Frage, welchen Preis es hat
       einzugreifen. Im Fall von Syrien sieht man aber, dass auch das
       Nichteingreifen einen Preis hat. Ganz am Anfang, als es Baschar al-Assad
       mit Protestierenden zu tun hatte, die nur wollten, dass sich das Regime
       öffnet – vielleicht hätte damals eine ernst gemeinte Drohung an ihn
       bewirkt, dass die Geschichte anders verlaufen wäre. Vielleicht hätten nicht
       Millionen Menschen sterben oder flüchten müssen.
       
       Wer bellt, muss im Zweifel aber auch beißen. 
       
       Klar. Aber wir führen die Debatte nicht ehrlich miteinander. Die Welt
       verändert sich: Selbst wenn Trump die nächste Wahl verliert und eine
       Demokratin oder ein Demokrat gewinnt, werden wir in einer Welt leben, in
       der sich die Amerikaner nicht mehr für alles Mögliche verantwortlich
       fühlen. Schon die Frage, was in Nordafrika passiert, ob sich dort Länder
       destabilisieren, ob sich Islamisten einnisten oder Autokraten regieren,
       wird in den USA nur wenige interessieren. Aber uns muss es interessieren.
       
       Die Bundesregierung hat den Nato-Staaten versprochen, in Zukunft zwei
       Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ins Militär zu stecken. Sie sind
       dagegen? 
       
       Das Zwei-Prozent-Ziel finden sogar viele Soldatinnen und Soldaten falsch.
       Die sagen: Löst doch erst mal die naheliegenden Probleme. Guckt doch, dass
       die Ausrüstung repariert wird, dass wir die Ersatzteile bekommen. Schaut,
       dass die Dinge fortlaufend gepflegt werden. Das Problem der Bundeswehr ist
       nicht primär Geld, sondern dass das Verteidigungsministerium überfordert
       damit ist, mit dem Geld vernünftig umzugehen. Effektiver als dieses
       abstrakte Ziel wäre es, wenn nicht jede Armee bei der Ausrüstung ihr
       eigenes Süppchen kochen würde. Verteidigungspolitik sollte keine
       Industriepolitik sein. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem europaweit
       einheitlichen Panzer?
       
       CDU und CSU wollen vom Zwei-Prozent-Ziel aber nicht abrücken. Falls Sie
       demnächst in Koalitionsverhandlungen mit der Union sitzen … 
       
       Abwarten. So weit sind wir noch nicht.
       
       … wäre das Nato-Ziel dann für Sie eine rote Linie? 
       
       In den Jamaika-Verhandlungen habe ich das mit einer harten roten Linie
       markiert, und meine Position hat sich seitdem nicht geändert. Ich halte
       nichts von einem abstrakten Ausgabenziel. Es widerspricht jeder modernen
       Definition von Verteidigung, diese Frage ausschließlich am
       Verteidigungsressort festzumachen. Auch Entwicklungszusammenarbeit und
       auswärtige Kulturpolitik gehören dazu. Ein Goethe-Institut errichten,
       Menschen nicht jeden Tag zwölf Stunden auf Wasser warten lassen, Frauen den
       Zugang zu Verhütung, Bildung, Geld und Macht zu ermöglichen – das ist
       Präventionspolitik.
       
       Sie können noch so viele Goethe-Institute eröffnen – wenn die Bundeswehr
       weiterhin so viele Aufträge stemmen soll wie bisher, braucht sie irgendwann
       neue Geräte. Und die kosten eben Geld. 
       
       Wenn Sie mir vorrechnen, dass Sie für eine bestimmte Aktivität eine
       bestimmte Summe Geld effektiv einsetzen können, dann werde ich das nicht
       blockieren.
       
       Aber? 
       
       Aber wenn Sie mir das nicht sagen können, macht es keinen Sinn, Geld mit
       der Gießkanne zu verteilen. Da bin ich ganz Schwabe. Frau von der Leyen hat
       bewiesen, dass sie nicht mal mit dem vorhandenen Geld umgehen kann. Deshalb
       müssen da andere Leute hin. Spannend wäre auch die Frage, ob es eigentlich
       ein Naturgesetz ist, dass an der Spitze des Verteidigungsministeriums immer
       Schwarze landen.
       
       Könnte da auch mal ein Grüner landen? 
       
       Klar, warum nicht? Wir Grünen haben inzwischen die Scheu verloren vor
       Ressorts, die sich um Fragen der Sicherheit kümmern. Nehmen sie zum
       Beispiel Irene Mihalic als ehemalige Polizistin oder Katharina Schulze in
       Bayern, sie leisten ganze Arbeit auf diesem Gebiet. Es gibt also nichts,
       was gegen eine grüne Verteidigungsministerin spräche.
       
       Würden Sie nochmal gerne Minister werden? 
       
       Ich werde mein Gewicht gerne für die Partei in die Waagschale werfen, wenn
       uns das als Grünen nützt. Das letzte Mal hat es einer verlindnert, das ist
       ja bekanntlich nicht an mir gescheitert.
       
       20 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
 (DIR) Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Cem Özdemir
 (DIR) Bundeswehr
 (DIR) Bündnis 90/Die Grünen
 (DIR) Verteidigung
 (DIR) Bundeswehr
 (DIR) Autoverkehr
 (DIR) Bundeswehr
 (DIR) Bundestagswahlkampf
 (DIR) Verteidigungsministerium
 (DIR) Bundeswehr
 (DIR) Opposition in der Türkei
 (DIR) Gorch Fock
 (DIR) Grüne
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Annäherung von Öko-Partei und Militär: Grüne Soldaten organisieren sich
       
       Bundeswehrangehörige aus dem Grünen-Umfeld gründen einen eigenen Verein.
       „BundeswehrGrün“ will den Austausch von Partei und Armee fördern.
       
 (DIR) Brexit, Pandababys und Merkel in China: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
       
       Die kommende Woche wird besser, denn wir haben Pandababys und Cem Özdemir.
       Und zur Not bleibt uns ja immer noch das lebenswerte Wien.
       
 (DIR) Absturz von Eurofightern der Luftwaffe: Knapp vorbei an Kita
       
       Nachdem zwei Kampfjets abgestürzt sind gibt es Forderungen, solche Übungen
       über bewohntem Gebiet zu verbieten. Geht nicht, sagt die Luftwaffe.
       
 (DIR) Kommentar Grüne im Höhenflug: Das Konzept „Merkel“
       
       Radikale Klarheit? Von wegen. Diffuse Indifferenz ist ein Wesensmerkmal der
       Grünen geworden. Jeder soll sich bei ihnen wohlfühlen.
       
 (DIR) Kommentar BeraterInnenaffäre: Von der Leyen hat zu viel Geld
       
       Statt über eine Ausweitung sollte über eine Einschränkung der Bundeswehr
       diskutiert werden. Deutschland braucht keine Aufrüstung.
       
 (DIR) Zustand der Bundeswehr-Waffen: Berichte bleiben ab jetzt geheim
       
       Ein neuer Bericht zum Zustand der Bundeswehr-Waffen ist als „geheim“
       eingestuft. Die Opposition kritisiert, so werde die Kontrolle durch die
       Abgeordneten behindert.
       
 (DIR) Wirtschaft in der Türkei: Ende des Booms
       
       Erstmals seit 2009 steckt die Türkei in einer Rezession. Cem Özdemir
       fordert, für Geschäfte mit dem Land keine Hermesbürgschaften mehr zu
       erteilen.
       
 (DIR) Kommentar Insolvenz bei der Gorch Fock: System der Verantwortungslosigkeit
       
       Von der Leyen war angetreten, die Beschaffungsprobleme bei der Bundeswehr
       zu lösen. Die Pleite bei Gorch Fock entblößt jetzt ein versagendes System.
       
 (DIR) Ein Jahr Grünenchefs Habeck/Baerbock: Das unterschiedliche Traumpaar
       
       Seit einem Jahr sind die beiden Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena
       Baerbock im Amt. Eine Analyse in fünf Punkten.