# taz.de -- Arzt über Masern-Pflichtimpfung: „Die Befürworter sind hysterisch“
       
       > Der Bremer Hausarzt Günther Egidi hält es für richtig, gegen Masern zu
       > immunisieren. Die jetzt beschlossene Einführung einer Impfpflicht lehnt
       > er ab.
       
 (IMG) Bild: Kein Impfgegner, sondern Gegner der Pflicht: Der Bremer Hausarzt Günther Egidi
       
       taz: Herr Egidi, was halten Sie von der Masernimpfpflicht? 
       
       Günther Egidi: Dass Eltern 2.500 Euro Strafe zahlen müssen, wenn sie ihre
       Kinder nicht impfen lassen, ist ein starker Eingriff in die
       Persönlichkeitsrechte. Außerdem kann eine Zwangsimpfung das
       Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstören. Man braucht sehr
       gute Argumente, um eine solche Pflicht durchzusetzen – und die sind bei den
       Masern einfach nicht gegeben.
       
       Warum nicht? 
       
       2018 hatten wir 500 Masernfälle und pro Jahr ein bis zwei Todesfälle. Von
       einer epidemischen Situation kann man da nicht reden. Die Masern sind
       weltweit ein großes Problem, aber nicht in Deutschland. Bei uns sind viele
       geimpft: 97 Prozent aller Kinder sind einmalig geimpft, 93 Prozent haben
       auch die für den Impfschutz notwendige zweite Impfung bekommen. Außerdem
       sind die meisten Ungeimpften junge Erwachsene, die nach 1970 geboren worden
       sind. Eine Impfpflicht für Kinder würde diese Gruppe überhaupt nicht
       betreffen.
       
       Empfehlen Sie Ihren Patient*innen eine Impfung? 
       
       Obwohl ich strikter Gegner einer Impfpflicht gegen Masern bin, bin ich hoch
       engagiert beim Impfen! Meinen Patient*innen empfehle ich Impfungen, wenn
       ich der Meinung bin, dass die Nutzen-Risiko-Relation ausreicht, also wenn
       der Nutzen mehr wiegt als ein möglicher Schaden. Wir stützen uns dabei auf
       zwei kritische Quellen: das „[1][arznei-telegramm]“ und die internationale
       Forschergruppe [2][„Cochrane Collaboration.“]
       
       Was wäre Ihrer Meinung nach besser als eine Impfpflicht? 
       
       Besser als eine Pflicht wären finanzielle Belohnungen für Ärzte, die
       besonders gut geimpft haben. Damit würde ein Wettbewerb entstehen und die
       Praxen hätten einen Anreiz, gut zu informieren. Wenn wir hingegen Zwang und
       Strafen einführen, werden die Leute dem Impfen gegenüber immer skeptischer.
       
       Fragen Sie den Impfstatus Ihrer Patient*innen systematisch ab? 
       
       Ja, das machen wir seit 2006. Generell empfehle ich jedem, sich gegen
       Tetanus, Diphtherie, Polio und Keuchhusten impfen zu lassen. Bei Kindern
       kommen noch die Impfungen gegen HIB und Hepatitis B hinzu. Andere Impfungen
       empfehle ich nach je Risiko: Alte und sehr kranke Menschen sollten sich
       beispielsweise gegen Grippe impfen lassen. Nach den von uns selbst
       erstellten Kriterien sind viele vollständig durchgeimpft.
       
       Treffen Sie in Ihrer Praxis überhaupt auf Impfgegner*innen? 
       
       Natürlich. Ich notiere, dass sie [3][Impfgegner] sind und akzeptiere es.
       Die Zahl liegt aber, wenn es hoch kommt, bei gerade mal zwei Prozent. Das
       ist so eine geringe Zahl, dass sie seuchenhygienisch unproblematisch ist.
       Solche Menschen haben eben Angst vor Impfschäden.
       
       Können Sie die Ängste, die die Menschen äußern, nachvollziehen? 
       
       Die Ängste vor einer Masernimpfung kann ich nicht nachvollziehen, denn die
       hilft definitiv mehr als sie schadet. Aber ich kann verstehen, dass
       Patient*innen misstrauisch werden, wenn sie merken, dass es ein großes
       Interesse von den Konzernen gibt. Es gab die sehr ungute Situation, dass
       die [4][ständige Impfkommission der Ärzteschaft] stark verseucht war mit
       Mitgliedern von Pharmafirmen. Der vorletzte Vorsitzende der Impfkommission
       ist [5][direkt zu Novartis gegangen], einem Impfstoffhersteller. Das hat
       sich zwar inzwischen erheblich verbessert, führt aber zur Skepsis. Die
       Leute sehen auch, wie viele weitere Impfungen in Deutschland hinzugekommen
       sind, während sich andere europäische Länder wie die Schweiz oder England
       deutlich zurückhalten. Bei denen brechen auch keine Epidemien aus.
       
       Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist das häufigste
       Hindernis für eine Masernimpfung fehlende Aufklärung: Haben Sie genügend
       Zeit, die Menschen aufzuklären? 
       
       Die Kapazitäten für Gespräche sind schon da. Hilfreich sind auch Broschüren
       und einen Teil der Arbeit delegieren wir an unsere nicht-ärztlichen
       Mitarbeiter*innen. In meiner Praxis in Huchting reicht erstaunlich oft
       schon mein Ratschlag als Arzt. Das mag in einer Praxis im Viertel oder
       Oberneuland nicht so sein. Da gibt es mehr Anthroposophen, und man muss
       mehr diskutieren.
       
       Was sagen Ihre Kollegen zur Impfpflicht? 
       
       Ich glaube, ich bewege mich in einer Filterblase von eher kritisch
       denkenden Ärzt*innen. Manche [6][Kinderärzte sind vielleicht etwas
       paternalistisch], das liegt möglicherweise in der Natur der Sache: Wenn es
       um Kinder geht, schalten wir gerne mal das rationale Denken aus. Aber ich
       glaube, dass auch viele Hausärzt*innen sich nicht so systematisch mit dem
       Thema auseinandersetzen. Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat ja
       auch auf dem deutschen Ärztetag Beifallsstürme geerntet. Eine sachliche
       Diskussion war da gar nicht mehr möglich.
       
       Impfgegner werden in der aktuellen Debatte häufig als laut und hysterisch
       beschrieben, wie sehen Sie das? 
       
       Wenn einer laut ist zurzeit, dann sind das Spahn und Konsorten, also die
       Impfapologeten. Die deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und
       Familienmedizin, in deren Präsidium ich sitze, hat ein sehr
       [7][differenziertes Positionspapier] erstellt. Ich habe das Gefühl, wir
       dringen nicht damit durch. Schon gar nicht zum Minister. Die Befürworter
       sind auf jeden Fall hysterisch geworden. Alle Kriterien für eine Hysterie
       sind gegeben: Man spricht davon, dass sich die Zahl der Fälle verdoppelt
       hat, ohne zu erwähnen, das die Masernfälle in der langfristigen Betrachtung
       seit 2006 sogar zurückgegangen sind. Eine epidemische Situation wird herbei
       fantasiert, obwohl wir nur wenige Erkrankungen haben und die wenigsten
       Infektionen zum Tod führen.
       
       20 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.arznei-telegramm.de/01index.php3
 (DIR) [2] https://www.cochrane.org/
 (DIR) [3] https://www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/impfen-und-hygiene/infektionsschutz-einstellungen-wissen-und-verhalten-von-erwachsenen-und-eltern-gegenueber-impfunge/
 (DIR) [4] https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/stiko_node.html
 (DIR) [5] https://www.sueddeutsche.de/wissen/staendige-impfkommission-experten-mit-den-falschen-freunden-1.271784
 (DIR) [6] https://www.bvkj.de/presse/pressemitteilungen/ansicht/article/impfpflicht-kinder-und-jugendaerzte-zur-ethikratempfehlung-ethikrat-verkennt-die-realitaet-mas/
 (DIR) [7] https://www.degam.de/files/Inhalte/Degam-Inhalte/Ueber_uns/Positionspapiere/DEGAM_Positionspapier_Impfpflicht_final.pdf
       
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 (DIR) Lukas Scharfenberger
       
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