# taz.de -- Innovationen beim Essen: Mit Essen die Welt verändern
       
       > Die Start-up-Kultur hat die Küchen erreicht, zusammen mit der
       > Digitalisierung stellt sie die Essensbranche auf den Kopf.
       
 (IMG) Bild: Bei Square Roots wird Basilikum im Container auf Parkplätzen gezüchtet
       
       NEW YORK/BERLIN taz | Denkt man an einen Coworking Space, hat man meist
       einen Saal voller Schreibtische vor Augen, dazu den obligatorischen
       Tischkicker und junge Menschen, die mit ihren Ohrstöpseln verwachsen zu
       sein scheinen. Aber was, wenn sich in so einem Raum Gemüsekisten stapeln,
       Fritteusen fauchen und Messer klappern? Dann hat die Start-up-Kultur die
       Küchen erreicht. Und könnte sie so verändern wie andere Branchen.
       
       Die Telekommunikation, der Handel und die Medien stecken alle mitten in der
       digitalen Revolution. Wird sie auch die Produktion von Lebensmitteln und
       die Art, wie wir essen, auf den Kopf stellen?
       
       Ein guter Ort, um dieser Frage nachzugehen, ist das Haus Nummer 630 an der
       Flushing Avenue in Brooklyn, New York. Es ist ein etwas in die Jahre
       gekommenes Fabrikgebäude. Unter dem Kalk sieht man noch die alten
       Backsteinziegel, breite Fenster sind von vielen Sprossen durchzogen. Seit
       1946 wurden hier Pillen gedreht und Pülverchen abgefüllt, deshalb heißt das
       Gebäude noch immer Pfizer Building, obwohl der Pharmariese es schon vor
       Jahren verkauft hat.
       
       Er hinterließ zimmergroße Kühlschränke, Rührgeräte, groß wie Betonmixer,
       und weiß geflieste Böden und Wände. Genau die richtige Umgebung, um Essen
       zu produzieren. 2012 wurde das Pfizer Building wiedereröffnet, als
       Inkubator für Food-Start-ups, als Experimentierort für junge Menschen, die
       irgendwas mit Essen machen wollen.
       
       ## Food-Start-ups boomen gerade
       
       Läuft man durch die weiten Gänge, heißt es immer wieder: ausweichen. Zwei
       Bäcker mit Schläfenlocken und Kippa schieben einen Konvoi aus Regalwagen
       vor sich her. Auf den Backblechen dampfen Bagels. Um die Ecke steht ein
       Koch vor offenen Styroporkisten und begutachtet Fische, die darin auf
       zerstoßenem Eis liegen. Immer wenn sich irgendwo eine Flügeltür öffnet,
       weht ein anderer Geruch in den Gang.
       
       Das Start-up Plantable bietet hier an, den kompletten Speiseplan seiner
       Kunden zu übernehmen, mit persönlicher Ernährungsberatung, ganz
       vegetarisch. Bei CookUnity dagegen kann man seinen persönlichen Koch
       buchen. Bestellt wird er natürlich per App.
       
       Im Erdgeschoss ist alles da, damit Imbissbetreiber für einen Tag die Ecke
       einer Vorbereitungsküche mieten können, um zum Beispiel Pulled Pork für
       mehrere Tage vorzubereiten. Und Catering-Unternehmen buchen riesige
       Flächen, wenn sie abends in einem nahegelegenen Park Tausende Menschen
       bewirten. Zwischen den vielen Start-ups haben aber auch klassische Firmen
       wie eine jüdische Bäckerei oder eine Eiscreme-Manufaktur ihre
       Produktionsstätten.
       
       Das Projekt Inkubator ist in Brooklyn aufgegangen. Food-Start-ups boomen.
       Weltweit wurden 2018 6 Milliarden Dollar in diesen Bereich investiert. In
       den vergangenen Monaten hat dabei vor allem ein Name die Aufmerksamkeit auf
       sich gezogen und die Fantasie der Investoren beflügelt: Beyond Meat.
       
       ## „Beyond Meat“ als Vorbild
       
       Das Unternehmen aus Kalifornien ist Anfang Mai an die Börse gegangen und
       wurde zu einem Liebling der Wall Street. Der Aktienwert verneunfachte sich
       zwischenzeitlich, es ist der erfolgreichste Börsengang der vergangenen 19
       Jahre. Beyond Meat macht vegane Burger-Pattys. Der Firmengründer wird
       schon als der Mann gefeiert, der das Fleisch neu erfunden hat.
       
       Ethan Brown, heute 48, ist an der US-Westküste und teils auf einem
       Bauernhof aufgewachsen. Sein Vater ist Professor für Philosophie mit
       Schwerpunkt Umweltschutz und Klimawandel, Mitglied im Club of Rome und
       zudem ambitionierter Hobbyfarmer. An den Wochenenden ging es deswegen aufs
       Land. Später studierte Brown Politik, war kurze Zeit für die OSZE in
       Bosnien und wechselte dann in den Bereich erneuerbare Energien, bis er
       realisierte, dass „Viehhaltung größere Auswirkungen auf das Klima hat als
       viele Dinge, an denen ich arbeitete“.
       
       Er glaubt nicht, dass der Kampf gegen den Klimawandel mit Gesetzen zu
       gewinnen sei, vor allem nicht beim Fleisch, das in der Esskultur der USA
       sehr tief verwurzelt ist. 2009 machte er sich deshalb daran, Fleisch neu zu
       erfinden – mit Beyond Meat.
       
       Brown ist inzwischen das Role Model einer ganzen Gründergeneration, die
       beim Essen auf all die Innovationen zurückgreift, die die Digitalisierung
       und der Techbereich hervorgebracht haben: Blockchain, Big Data, Robotic und
       künstliche Intelligenz. Das beginnt mit Drohnen, die Äcker überwachen und
       Roboter steuern, die Unkraut jäten. Das geht weiter mit Feldern, die nicht
       mehr auf dem Land liegen, sondern auf Fabrikdächern bestellt werden, weil
       das Gemüse so frischer beim Kunden ist und es auch noch das Stadtklima
       verbessert.
       
       Mit der Blockchain-Technologie bekommt jedes Produkt einen individuellen
       Code verpasst. Damit ist es möglich, die Zutat von Anfang bis Ende zu
       begleiten, sodass der Kunde am Ende weiß, auf welchem Fleckchen Erde sein
       Salat gewachsen ist. Oder wie das Rind hieß und wie es gehalten wurde, aus
       dessen Fleisch sein Schnitzel stammt.
       
       ## Ein neues „Ökosystem“?
       
       Die meisten in der Gründerszene sind überzeugt, dass das nicht nur zu einer
       neuen Nahrungsmittelwirtschaft führen wird. Sie sprechen von einem neuen
       „Ökosystem“. Auch weil sie sich kein Essen mehr vorstellen wollen, das
       nicht gut und sauber ist. Und nicht fair, nachhaltig und klimafreundlich
       hergestellt wurde.
       
       Wie aber sieht diese Zukunft genau aus?
       
       Das ist momentan die Viele-Millionen-Dollar-Frage. Sicher gibt es noch
       Haushalte, in denen eine Mutter sechs Tage der Woche in der Küche steht,
       die Familie am Freitagabend essen geht und der Samstagvormittag für den
       Großeinkauf im Supermarkt reserviert ist. Das ist das Bild, das über
       Jahrzehnte die Routine westlicher Kleinfamilien beherrschte. Aber es ist in
       Auflösung. Und damit alles, was daran hängt – bis zum letzten Ackerwinkel.
       
       Wird irgendwann eine künstliche Intelligenz uns den Geschmack entreißen?
       Weil das Programm anhand von Alter, Geschlecht und bisheriger Vorlieben
       schneller weiß als wir selbst, was wir abends am liebsten essen würden, und
       diese Information an andere Programme weitergibt – und die anhand von
       Prognosen fahrerlosen Saatmaschinen schon ein Jahr vorher vorgeben, was auf
       den Feldern wachsen soll? Sieht man sich die Monopolisierung der digitalen
       Welt durch Google, Facebook und Amazon an, fürchten das einige.
       
       ## Aldi schwächelt
       
       Im Lebensmittelbereich sieht es aber gerade nicht danach aus, dass die
       Großen noch mehr Macht anhäufen. Im Gegenteil. Man muss sich dafür nur die
       Supermärkte ansehen, zum Beispiel Aldi, der Discounter, der über Jahrzehnte
       billigst aus Paletten verkauft hat und dessen Sortiment nie größer als 500
       Produkte war. Das passt nicht mehr zu einer Welt, in der sich
       Ernährungsstile diversifizieren und jährlich 10.000 Produkte neu auf den
       Markt kommen.
       
       Der Discounter versucht sich gerade neu zu erfinden, Milliarden werden
       investiert. Die Geschäfte werden aufgehübscht, es gibt eine Bio-Offensive,
       sogar ein veganer Burger ist ab dieser Woche im Sortiment. Aber bisher
       bringt das kaum mehr Umsatz. Nur außerhalb Deutschlands läuft das Geschäft
       noch besser, etwa in den USA.
       
       Doch auch dort ist die Zukunft ungewiss, der Einzelhandel steckt in den USA
       noch stärker in der Klemme. Er wird von zwei Seiten angegriffen, den
       Discountern aus Europa und den Lieferdiensten, allen voran Amazon mit
       seinem Angebot Amazon Fresh. Angefangen hat diese Entwicklung mit dem
       Verfall der großen alten Lebensmittelmarken. Jahrzehntelang waren Campbell,
       Hershey oder Pepsi aus den Supermarktregalen nicht wegzudenken. Zwischen
       2011 und 2016 gingen ihre Marktanteile aber spürbar zurück, das erste Mal
       seit über 50 Jahren. Es ist ein Hinweis darauf: Das gute alte Markenprodukt
       ist auch ein Relikt aus alten Ernährungstagen.
       
       ## Die „Generation Yum“
       
       Jemand, der gut erklären kann, was sich beim Essen zurzeit grundlegend
       verschiebt, ist Eve Turow-Paul. Sie sitzt in einem kleinen
       Nachbarschaftscafé in Brooklyn, im Hinterzimmer rührt die Trommel einer
       Kaffeeröstmaschine. Die 32-Jährige ist die Erfinderin der „Generation Yum“.
       So heißt das Buch, das sie 2015 herausbrachte: „A Taste of the Generation
       Yum.“ Neugierig, warum um sie herum alle mit dem Smartphone Essen
       fotografierten, führte sie Interviews und sammelte Studien zu dem Thema.
       
       Sie beschrieb für die USA erstmals, welch hohen Stellenwert Essen für die
       Millennials hat, die zwischen 1982 und 2002 Geborenen. 80 Millionen gibt es
       davon in den USA, ungefähr die Hälfte davon bezeichnet sich als „Foodies“.
       
       Nicht nur sie, auch die andere Hälfte, sagt Turow-Paul, interessiert sich
       mehr fürs Kochen, für Zutaten und Essengehen als alle Generationen vor
       ihnen. Und das gilt nicht nur für die USA, auch Zahlen aus Westeuropa legen
       das nahe.
       
       Ernährung sei in der Generation Y ein fester Teil der Identität geworden,
       mehr als Musik oder Autos, schrieb Turow-Paul. Das seien Statussymbole der
       Vergangenheit. Und mit dem Fokus auf den Teller steigt das politische
       Bewusstsein für das, was darauf liegt. „Die Klimakrise hat das noch einmal
       entscheidend verstärkt“, sagt sie. Seit ihr Buch herausgekommen ist, wird
       Turow-Paul ständig gebucht. Sie spricht auf Trendkonferenzen, wird in
       Vorstandsetagen eingeladen, berät Start-ups und ist Dozentin für Food
       Business.
       
       ## Keine Marken mehr
       
       In der Ernährungsbranche sei nicht nur einiges in Auflösung, sagt sie,
       sondern immer mehr teilten dort auch die Werte, für die Supermärkte stehen,
       die in den USA gerade sehr im Kommen sind: Wenn man Trader Joe’s oder Whole
       Foods besucht, riesige Hallen auf zwei Etagen, dann spielen Marken hier gar
       keine Rolle mehr. „Antibiotica-free“ steht stattdessen groß über den
       Kühlregalen mit dem abgepackten Fleisch, oder „Non-GMO“, also
       gentechnikfrei, in der Gemüseabteilung. Auch noch beim letzten Bund
       Grünkohl kann man nachlesen, woher er stammt. Wenn er von einem regionalen
       Erzeuger kommt, ist das dick unterstrichen.
       
       Bei dem Gemüse findet man auch Kräuterpackungen mit einem QR-Code auf der
       Rückseite, der einen, hält man sein Smartphone dagegen, wieder zum Pfizer
       Building zurückführt. Denn der Code öffnet eine Website, die detailliert
       die Geschichte der Minze erzählt, die man in der Hand hält. Dass Jaque sie
       in die Erde gesetzt hat, Elias sie pikiert und wiederum Jaque sie
       abgeschnitten hat. Sogar wie die Minze in den Supermarkt kam, nämlich mit
       dem Lastenfahrrad, kann man nachlesen. Ziemlich viel Information für so
       wenig Gemüse.
       
       Und doch stecken noch viel mehr Geschichten in den zehn Stängeln Minze.
       Diese erzählt Christa Montano, während wir im strömenden Regen auf dem
       Parkplatz vor dem Pfizer Building zwischen Foodtrucks und Lastenfahrrädern
       herumlaufen. Hier stehen drei weiße Schiffscontainer. Und die sind eine
       Farm des Start-ups Square Roots. Durch die Fenster winken die GärtnerInnen.
       
       Das Konzept des Unternehmens ist hyperlokales Gemüse. Vor allem die Wege
       zum Verbraucher sollen kurz gehalten werden, um die Ressourcen zu schonen.
       Deshalb hat die Firma die Pflanzen in die Container gepackt, sie können
       überall aufgestellt werden: auf Hausdächern, Brachflächen, notfalls sogar
       in Tiefgaragen. „Wir haben die idealen Bedingungen für das Wachstum der
       Pflanzen recherchiert, vom Anteil des CO2 in der Luft, den
       Feuchtigkeitsgrad und den Lichteinfall. Diese Bedingungen stellen wir im
       Inneren her“, sagt Montana. Außerdem benutzt Square Roots die Technik des
       Vertical Farming, die Minze wächst in Beeten, die vom Boden zur Decke
       führen, so dringt das Wasser effektiver durch die Erde und kann leichter
       aufgefangen werden, wenn es ungenutzt bleibt.
       
       ## „Jungen Leuten neue Wege aufzeigen“
       
       Der Gründer von Square Roots ist Kimbal Musk, der jüngere Bruder von
       Tesla-Chef Elon Musk. Der 46-Jährige hat schon einiges im Ernährungsbereich
       aufgezogen. „The Kitchen“ etwa, eine Gruppe von Nachbarschaftsrestaurants,
       die Zutaten nur von Kleinbauern bezieht. Mit BigGreen baut er Schulgärten
       für Ernährungsbildung auf. Auch Square Roots ist eigentlich ein edukatives
       Projekt. Das Unternehmen will urbane Bauern ausbilden.
       
       „Der US-Farmer ist im Schnitt 58 Jahre alt“, schreibt Square Roots auf
       seiner Website. „Wenn wir die Ernährung verändern wollen, müssen wir jungen
       Leute neue Wege aufzeigen, erfolgreich in der Landwirtschaft Karriere zu
       machen.“ Die Idee dabei: Prinzipiell kann jeder Städter mit einem
       Square-Roots-Container zum Nebenerwerbsbauern werden. Bisher stehen die
       Container nur auf dem Parkplatz des Pfizer Building, aber Square Roots hat
       im Frühjahr eine Partnerschaft mit einer Einzelhandelskette geschlossen.
       
       Auch wenn in den Containern nur Minze und Basilikum wächst, verfolgt Square
       Roots einen Ansatz, der typisch ist für viele Gründer im Foodbereich. Big
       Food wird kleiner, Small Food wird größer – das ist die Perspektive, aus
       der viele in der Szene ihren Zukunftsoptimismus beziehen.
       
       Es gibt kaum einen, der die Zahlen nicht kennt: Bis 2050 wächst die
       Menschheit voraussichtlich auf fast 10 Milliarden. Um alle satt zu machen,
       sagen die Vereinten Nationen, muss sich die Lebensmittelproduktion bis
       dahin verdoppeln und die Ernährungsweise ändern, wenn das Klima nicht
       kollabieren soll. Noch weitere Industrialisierung, noch größere Äcker, noch
       mehr Tiere in Massenställen? Ein Horrorszenario.
       
       ## „Essen kann die Welt retten“
       
       „Essen kann die Welt retten“, fasst Eve Turow-Paul zusammen, was viele in
       der Food-Start-up-Szene antreibt. Sie setzen auf die Disruptivität der
       neuen Techniken, der neuen Arbeitszusammenhänge und der neuen
       Konsumgewohnheiten.
       
       1,45 Milliarden Dollar an Risikokapital flossen 2018 laut der
       Marktbeobachtungsplattform foodtechconnect in den USA in diese
       Gründerszene. Der größte Batzen, 114 Millionen, ging dabei an Impossible
       Foods, einen Konkurrenten von Beyond Meat, der in den USA ebenfalls vegane
       Burger-Pattys verkauft. Danielle Gould, die Gründerin der Plattform, sagt,
       es gebe einen klaren Trend, Projekte zu finanzieren, die Einfluss auf den
       Klimawandel haben.
       
       Das Haus 148 Lafayette Street liegt mitten in SoHo. Auf drei Etagen gibt es
       hier Coworking-Räume. Tritt man aus dem Lift, erwartet man, auf einen
       Empfang zu treffen, auf arbeitsame Stille, aber nicht auf Cocktails,
       Schnittchen, Chili sin carne und lautes Stimmengewirr. Es ist eine interne
       Feier, der Anlass: die Gründung des WeWork Food Labs – ein Labor für
       Food-Start-ups. Eines von ihnen ist SillyChilly Hotsauce. Am Buffet steht
       Sufia Hossain mit drei Flaschen ihrer Pfeffersauce. Rundlich, die Haare
       platinblond gefärbt, ein strahlendes Lächeln.
       
       Sie hat erst vor Kurzem ihren Schreibtisch bezogen und freut sich, dass es
       eine Gelegenheit gibt, andere Menschen kennenzulernen, die hier arbeiten.
       Sie stammt aus Bangladesch, hat lange in der Modebranche gearbeitet und nie
       daran gedacht, selbst eine Firma zu gründen. „Mit der Zeit hat es mich aber
       dann gestört, dass das, was ich mache, so wenig Wirkung hat.“
       
       ## Experimente mit Pfeffersaucen
       
       Gekocht hat sie schon immer gern, und Pfeffersaucen sind ihr Ding. „Ich
       habe mich auf den Bauernmärkten hier in der Umgebung so in die Paprikas und
       Chilis verliebt. Irgendwann hatte ich zu viele in der Küche und musste
       damit was machen.“ Die erste Hotsauce war ein Experiment.
       
       Hussain erzählt so euphorisch von ihrem Unternehmen, dass man ihr zutraut,
       dass sie die Saucen noch immer in ihrer Küche abfüllt. Bis sie erzählt,
       dass sie 40.000 Flaschen gelagert hat, inzwischen in 50 Läden in New York
       verkauft und gerade dabei ist, eine vierte Sauce zu kreieren. Den Großteil
       ihrer Zutaten bezieht sie von der Studentenfarm einer Universität südlich
       von New York.
       
       Menachem Katz beobachtet all die Leute, die auf der Feier das erste Mal
       zusammenkommen, mit einem kleinen Lächeln. Der Mann mit rasiertem Kopf hat
       etwas Gandhihaftes, sogar die Stimme erinnert an Ben Kingsley. Er ist der
       Chef des New Yorker Food Lab und erzählt, wie es zu der Idee kam.
       
       WeWork, inzwischen größter Mieter von Büroflächen in New York, bietet
       nämlich nicht einfach nur Schreibtische und Büros an. Es geht um weit mehr
       Infrastruktur: Beratung, Trainings, Vernetzung, Know-how – vor allem für
       Menschen, deren Geschäftsidee noch nicht ganz ausgereift ist. Man ist hier
       nicht einfach Mieter, sondern Mitglied eines großen Netzwerkes, mit Zugang
       zu Krankenversicherung, Fitnessstudio, es gibt sogar eine Vorschule für die
       Kinder.
       
       ## 15 Millionen Tiere retten
       
       2018 überprüfte sich das Unternehmen auf Nachhaltigkeit. „Seitdem gibt es
       in unseren Räumen kein Fleisch mehr“, sagt Katz. „Wir zahlen es unseren
       Mitarbeitern nicht mehr, und bieten es auch im Catering für die Mieter
       nicht mehr an.“
       
       Das Vegetarismus-Gebot, habe die Chefetage ausgerechnet, würde bis 2023
       etwa 15 Millionen Tieren das Leben retten. Die Firma organisiere über 1.000
       Caterings pro Woche in ihren Räumen. Über die Beschäftigung mit dem Thema,
       sagt er, sei auch die Idee entstanden, ein spezielles Angebot für Start-ups
       im Ernährungsbereich zu entwickeln. Das Food Lab sei das erste
       branchenspezifische Angebot von WeWork.
       
       Katz, 39 Jahre alt, ist selbst Koch. Er stammt aus Tel Aviv, in Israel hat
       er noch im Restaurant gearbeitet. In New York baute er einen Lieferdienst
       auf und verkaufte ihn, bevor er zu WeWork wechselte. „Die neuen Gründer“,
       sagt er, „wollen andere Werte in die Ernährungswelt bringen.“
       
       Für das Food Lab, ein fünfmonatiges Programm, mussten sich Bewerber mit
       ihren Ideen vorstellen. 500 kamen zusammen, der Großteil mit Projekten zur
       Müllreduzierung, für umweltfreundliche Verpackungen und Proteinen auf
       Pflanzenbasis. Neue innovative Technologien in die Branche zu bringen sei
       das eine Ziel, sagt Katz. Ihn als Koch begeistere aber noch etwas anderes:
       „Nahrung wird Teil der Kreativindustrie.“
       
       WeWork plant, auch in Europa und in Berlin ein Food Lab zu eröffnen. Die
       Firma wäre nicht die erste in ihrem Bereich, die in die deutsche Hauptstadt
       expandiert. Es gibt hier bereits den Food Tech Campus. Im Herbst will
       Kitchen Town, ein Inkubator aus dem Silicon Valley, hier eine Filiale
       eröffnen.
       
       ## Und in Deutschland?
       
       Berlin, Torstraße, dort, wo sich in der deutschen Hauptstadt die
       Kreativwirtschaft tummelt. Im Café Hermanns sitzen etwa 50 Leute um ein
       kleines Podium. „Hands up, please“, sagt Fabio Ziemßen. „Wer ist Gründer,
       wer Geldgeber?“ Es gibt hier nicht nur welche, die eine Geschäftsidee
       haben, sondern auch welche, die nach solchen Ideen Ausschau halten. In der
       nächsten Stunde werden sich drei Projekte vorstellen, danach können sich
       alle persönlich kennenlernen.
       
       Schon seit etwa zwei Jahren lädt Fabio Ziemßen zu solchen Treffen, erzählt
       er nach der Veranstaltung. Der 34-Jährige ist Director Food Innovation beim
       Metro-Konzern und damit so etwas wie der Zukunftsbeauftragte des
       Einzelhändlers. Dazu gehört auch, einen Überblick über die Szene zu
       bekommen, gerade in Europa.
       
       Hier sieht die Lage noch etwas anderes aus als in den USA. Laut einem
       großen Risikokapitalgeber wurde im vergangenen Jahr zwar schon 1 Milliarde
       Euro in Food-Start-ups investiert, aber relativ einseitig. Am leichtesten
       schafften es Lieferdienste, Geldgeber anzuwerben. Seit 2013 floss annähernd
       die Hälfte aller Investitionen in Lieferdienste wie Deliveroo, Hello Fresh
       oder Takeaway.com.
       
       Die Start-up-Kultur sei in den USA einfach noch eine andere, sagt Ziemßen.
       Dort regiere stärker das Wizard-of-Oz-Prinzip. Eine Vision wird
       vorangestellt, dann gehandelt, Probleme möglichst selbst gelöst – es
       entstehe weniger Frust, wenn Politik, Wirtschaft oder Banken nicht die
       Risikobereitschaft zeigten, die man sich als Gründer wünsche.
       
       Und was sind das für Menschen, die in Deutschland Food-Start-ups gründen?
       „Die meisten sind Millennials“, sagt Ziemßen. „Dabei gleichen sie in einem
       wesentlichen Punkt den restlichen Gründer-Generationen: Viele haben eine
       persönliche Leidenschaft – und sie wollen sich auch verwirklichen.“
       
       16 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörn Kabisch
       
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 (DIR) Westafrikanische Küche: Auf der Suche nach dem Reis
       
       Essen ist Heimat. Als unsere gambische Autorin nach Deutschland kommt,
       merkt sie, was ihr fehlt. Ihre Suche führt sie in den Görlitzer Park.
       
 (DIR) Fragwürdige Biermarken: Oi, was für ein Name
       
       Immer öfter stößt man auf Biernamen, die einfach nur gaga sind oder die man
       gar nicht in den Mund nehmen will. Viele sind sexistisch und rassistisch.
       
 (DIR) Verwenden statt wegschmeißen: Aus alt mach Brot
       
       Ganz hinten im Regel liegen Zutaten, die ewig auf ihren Einsatz warten. Bei
       unserer Autorin kommen die nicht in den Müll – sondern in den Backofen.
       
 (DIR) Wiederverwertung von Lebensmitteln: Essen wegwerfen? Gehört verboten!
       
       Ein Bündnis aus 34 Organisationen will ein verbindliches Wegwerfverbot für
       Lebensmittel. Auch die Regeln für Haltbarkeitsdaten will es ändern.
       
 (DIR) Streit um das bessere Leben: Essen mit Anspruch
       
       In Kreuzberg soll ein Aldi raus aus der Markthalle Neun. Eine
       Verdrängungsgeschichte, bei​ der es um mehr als nur einen Discounter geht.
       
 (DIR) Speisewagen und Tristesse: Vom Essen auf Rädern
       
       Zug fahren und gediegen speisen, ach, es könnte so schön sein. Ein
       verzweifelter Versuch, im Bordrestaurant der Deutschen Bahn Glanz zu
       finden.