# taz.de -- Großbritannien vor dem Brexit: Ein rotes Tuch namens Jeremy Corbyn
       
       > Der britische Labour-Chef will Premierminister Boris Johnson per
       > Misstrauensvotum ablösen. Liberale EU-Befürworter lehnen den Vorstoß ab.
       
 (IMG) Bild: Corbyn will als vorübergehender Premierminister eingesetzt werden, um Schlimmeres zu verhindern
       
       Die britischen Brexit-Gegner rüsten zum Showdown – gegeneinander. Sobald
       das Unterhaus in London am 3. September aus den Sommerferien zurückkehrt,
       steht die Frage nach einem Misstrauensvotum gegen den frischen
       konservativen Premierminister Boris Johnson ganz oben auf der politischen
       Agenda. Das soll Johnson hindern, Großbritannien am 31. Oktober ohne Deal
       aus der EU zu führen. Aber erst mal behindern seine Gegner sich
       gegenseitig.
       
       Per Brief an andere Oppositionelle hat Labour-Chef Jeremy Corbyn – nur der
       Oppositionsführer kann im Parlament die Vertrauensfrage stellen – am
       Mittwoch angekündigt, „zum frühestmöglichen Zeitpunkt, an dem wir mit einem
       Erfolg rechnen können, einen Misstrauensantrag zu stellen“. Dann werde er
       „das Vertrauen des Hauses für eine streng zeitlich begrenzte
       Übergangsregierung mit dem Ziel von Neuwahlen suchen“ und dafür eine
       Verschiebung des Brexit-Termins bei der EU beantragen.
       
       Was auf den ersten Blick wie ein entschlossener Vorstoß aussieht, ist
       tatsächlich Schadensbegrenzung. Denn Corbyn ist in der Defensive. Er hätte
       schon sofort nach Johnsons Amtsantritt im Juli die Vertrauensfrage stellen
       können, tat es aber nicht, obwohl die neue Chefin der EU-freundlichen
       Liberaldemokraten, Jo Swinson, ihn dazu aufgefordert hatte. Swinson
       schließt seitdem jegliche Zusammenarbeit mit Corbyn aus.
       
       Vergangene Woche trat sie dann gemeinsam mit Labours Nummer zwei, Tom
       Watson, auf einem Pro-EU-Jugendkongress auf und beide bekannten sich zu
       einem zweiten EU-Referendum. Die einzige Grüne im Unterhaus, Caroline
       Lucas, brachte zugleich eine Allparteienregierung ausschließlich aus Frauen
       ins Spiel, um so ein Referendum vorzubereiten.
       
       ## Labour steht erneut gespalten da
       
       Auf all dies musste Corbyn reagieren – und nun steht Labour erneut
       gespalten da. Denn der Labour-Führer verspricht für den Fall seiner
       Machtübernahme erst einmal kein zweites EU-Referendum, sondern Neuwahlen,
       bei denen er laut seinem Schreiben verspricht, für ein Referendum „über die
       Art des Austritts aus der EU“ einzutreten. Wofür er beim Referendum wäre,
       verrät Corbyn ebenso wenig wie einen Zeitpunkt für Neuwahlen oder auch nur
       für seinen Misstrauensantrag.
       
       Swinson hat Corbyn eine Abfuhr erteilt. Der Vorstoß sei „Unsinn“, so die
       Liberalen-Chefin. Corbyn wisse genau, dass er keine Mehrheit habe. Auch
       unabhängige Abgeordnete, die aus Protest gegen Corbyns Politik Labour
       verlassen haben, äußerten sich negativ. Ihr gemeinsames Problem: Unter
       keinen Umständen würden sie einem Premierminister Corbyn das Vertrauen
       aussprechen. Einen anderen Übergangspremier aber lehnt Corbyn ab.
       
       Ohne Liberale und Unabhängige sind Corbyns Chancen im Unterhaus gering. Das
       Unterhaus zählt derzeit 639 stimmberechtigte Abgeordnete – die absolute
       Mehrheit beträgt 320. Konservative und nordirische DUP-Unionisten kämen
       derzeit bei einer Vertrauensabstimmung, an der der Parlamentspräsident und
       seine Stellvertreter nicht teilnehmen, auf maximal 320 Stimmen, Labour auf
       245 – mit schottischen und walisischen Nationalisten sowie Grünen wären es
       285. Das reicht auch dann nicht, wenn konservative Brexit-Gegner
       dazustoßen, von denen eine Gruppe Corbyn am Donnerstag Gespräche anbot.
       
       Selbst wenn er ein Misstrauensvotum gewänne, müsste Corbyn innerhalb von 14
       Tagen die Vertrauensfrage für sich selbst stellen und gewinnen. Scheitert
       er damit, gibt es Neuwahlen, deren Termin Johnson festlegt – vermutlich, so
       streut es dessen Umfeld bereits, erst nach dem Brexit. Deswegen ist aus
       Sicht mancher EU-Freunde Corbyns Vorstoß nicht nur unseriös, sondern
       fahrlässig.
       
       ## Konservative bei Umfragen vorne
       
       In Umfragen liegen die Konservativen derzeit im Durchschnitt mit 29 Prozent
       vor Labour (25), Liberaldemokraten (18) und Brexit Party (16). In einer
       neuen Umfrage über das Brexit-Wunschergebnis kommt der EU-Austritt mit
       beziehungsweise ohne Deal auf 48 Prozent, der Verbleib in der EU auf 43.
       
       15 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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