# taz.de -- Rassismus im sächsischen Fußball: Ein Verein für alle
       
       > Der FC Rotes Meer, ein Flüchtlingsteam, spielt beim VfB
       > Hellerau-Klotzsche mit. Ein Geschichte über Anfeindungen – und den Abbau
       > von Vorurteilen.
       
 (IMG) Bild: Elf der Vielfalt: Der FC Rotes Meer spielt in der Dresdener Stadtklasse
       
       DRESDEN taz | Der Kunstrasenplatz leuchtet im typischen Grün, die Hecken
       wirken gepflegt, Unkraut kriecht nur vereinzelt aus den Ritzen des
       Steinbodens. Die Sportgaststätte hat geschlossen – Urlaub. Es sind
       Sommerferien. „Haben sie sich verdient“, sagt ein Besucher, der vor
       verschlossener Tür steht und dann wieder geht.
       
       Man könnte meinen, beim VfB Hellerau-Klotzsche, einem Sportverein im Norden
       Dresdens, sei alles so wie bei anderen Sportvereinen. Alle machen ein
       bisschen Sport, Fußball, Tischtennis, Judo. Irgendjemand beschwert sich
       über dies und das, und einmal im Jahr feiern alle gemeinsam das
       Vereinsfest.
       
       Und trotzdem läuft in dem Verein einiges anders. In den letzten Jahren
       haben zwei Brüder ein Fußballteam aufgebaut, in dem Menschen aus Eritrea,
       Syrien, Libyen und anderen Ländern spielen. Ein Integrationsteam,
       Geflüchtete spielen zusammen mit Deutschen. Wie funktioniert das in einer
       Stadt, in der jeden Montag [1][Menschen gegen die Einwanderungspolitik der
       Regierung auf die Straße gehen]? Wie sehr kann das Engagement einen ganzen
       Verein mitziehen? Und wie viel Durchhaltevermögen braucht es, um gegen
       Vorurteile und Rassismus ankämpfen zu können?
       
       Jonas und Felix Herrlich sitzen an einem heißen Dienstagabend im August im
       Geschäftszimmer des VfB Hellerau-Klotzsche. Eine Tischdecke liegt auf dem
       Tisch, neben Pflanzen stehen Gläser und Wasser. Die Brüder, 22 und 27 Jahre
       alt, sind gerade fertig mit dem Fußballtraining, tragen Sportklamotten. Sie
       sind in Hellerau aufgewachsen und seit ihrer Kindheit im VfB
       Hellerau-Klotzsche aktiv. Felix Herrlich ist im Verein angestellt und
       trainiert unter anderen die Juniorenteams. Jonas Herrlich spielte früher im
       Nachwuchs bei Dynamo Dresden, jetzt arbeitet er dort als Erzieher.
       
       ## Dritte Mannschaft in der Stadtklasse
       
       2015, als montags Tausende in Dresden mit Pegida auf die Straße gingen und
       Ängste sowie Hass gegen Ausländer*innen schürten, gründeten die beiden
       Männer das Fußballteam Rotes Meer Dresden. Freunde aus dem Alternativen
       Zentrum AZ Conni in Dresden fragten sie, ob sie in ihrem Team für ein
       Fußballstraßenturnier noch Platz für Mitspieler aus Eritrea hätten, so
       erzählen die Brüder. Seit der Saison 2017/2018 spielt der FC Rotes Meer in
       der Stadtklasse Dresden. Offiziell gehört er zum VfB Hellerau-Klotzsche und
       ist dessen dritte Herren Fußballmannschaft. Der Beiname FC Rotes Meer ist
       geblieben.
       
       Was klingt wie eine Vorzeigegeschichte in Sachen Integration, war nicht
       immer so einfach. Auch wenn Felix und Jonas Herrlich darüber nicht so gern
       berichten. Sie sprechen von Einzelfällen, Ausnahmen. Und es scheint: Sobald
       ein Problem gelöst ist, ist die Sache für die Brüder abgeschlossen.
       
       Dabei mussten sie und ihr Team von Beginn an hohe Hürden überwinden. Nach
       der Gründung und dem erfolgreichen Turnier beschloss das Team, spaßeshalber
       weiterzuspielen. Sie nutzten einen Nebenplatz auf dem Gelände des VfB
       Hellerau-Klotzsche. Etwa vier Wochen lang, so erzählt Felix Herrlich. Dann
       durften man nicht mehr. Von liegen gelassenen Flaschen und einem nicht
       angeleinten Hund war die Rede. „Das kam uns schon sehr vorgeschoben vor“,
       sagt Felix Herrlich. Er spricht von einem Zwischenfall, der sich wenig
       später erledigt habe.
       
       Felix und Jonas Herrlich machen viel mehr, als nur ein Fußballteam zu
       trainieren. Im Vereinsheim haben sie Deutsch unterrichtet. Sie begleiten
       die Spieler zu Behördengängen, halten Kontakt zu Anwälten und
       Beratungsstellen, machen Ausflüge und sind Ansprechpartner. Als das Team
       ein halbes Jahr zusammenspielte, organisierten sie einen Vortrag im
       Vereinsheim. Spieler stellten sich vor, erzählten interessierten
       Vereinsmitgliedern beispielsweise von der politischen Lage in Eritrea und
       von ihrer Flucht nach Deutschland.
       
       Yakob Bisrat war einer von ihnen und sitzt mit an dem Tisch im
       Geschäftszimmer. Dass sein richtiger Nachname in der Zeitung steht, will er
       lieber nicht. Bisrat wirkt sehr schüchtern, gibt nur wenig von sich preis.
       2014 kam er aus Eritrea nach Deutschland. Er erzählt, dass seine Mutter ihm
       früher immer verboten habe, Fußball zu spielen. Er sollte sich auf die
       Schule konzentrieren. „Jetzt mache ich beides“, sagt er. Er macht seinen
       Realschulabschluss und arbeitet als Dolmetscher für Tigrinya und Amharisch.
       Und er spielt Fußball. „Es ist toll hier“, sagt er, wenn er nach dem FC
       Rotes Meer gefragt wird.
       
       Bisrat fragt sich gerade, warum sein Pass nicht verlängert wurde. Er hat
       alle Unterlagen eingereicht, sagt er, aber die Verlängerung steht noch aus.
       Es sind diese Momente, in denen Felix und Jonas Herrlich eine gewisse
       Verzweiflung anzumerken ist. Sie erzählen von einem Spieler, der schon
       mehrfach nach Italien abgeschoben werden sollte. Dublin-Verfahren. Der Mann
       sei wegen seiner unsicheren Situation sehr verzweifelt, erzählen sie.
       
       ## Angst vor Abschiebung und Rassismus
       
       Jeder Geflüchtete bekommt für Bewerbungen oder andere offizielle Dokumente
       eine Bescheinigung vom VfB Hellerau-Klotzsche. Dass sie im Verein spielen
       und integriert sind, stehe darin. Trotzdem fühlt sich Felix Herrlich
       hilflos: „Morgen kann schon die Nachricht kommen, dass er abgeschoben
       wurde.“
       
       Besorgnisse vor dem regulären Spielbetrieb gab es auch. In der untersten
       Liga in Dresden könne es schon mal zu Rassismus kommen. Die Befürchtungen
       hätten sich aber nicht bestätigt, sagt Jonas Herrlich. Und wieder sieht er
       hauptsächlich das Positive, obwohl es mit einem gegnerischen Team durchaus
       Probleme gab.
       
       „Spieler haben unseren Spielern rassistische Beleidigungen ins Ohr
       geflüstert“, erzählt Jonas Herrlich. Zwei Saisons lang mussten sie gegen
       das Team spielen. Beim letzten Spiel hätten sie dann viele Freunde gebeten,
       zu dem Spiel zu kommen. Einfach als Unterstützung. „Als wir nach dem Spiel
       gegangen sind, standen zwei Typen vorm Eingang und haben uns komplett
       abgefilmt“, erzählt Jonas Herrlich. Und sein Bruder sagt, dass gleichzeitig
       die Autokennzeichen aufgeschrieben wurden. „Die haben sich die extra laut
       zugerufen, damit wir das auch mitbekommen“, erzählt er. „Die haben da ein
       krasses Bedrohungsszenario aufgebaut.“
       
       Ähnlich war es im Mai 2018, als die Brüder den zweiten Hellerauer
       antirassistischen Fußballcup organisierten. Als sie morgens zum Aufbau auf
       das Gelände kamen, klebten überall rechte Aufkleber. Am Eingang, an den
       Fluchtlichtmasten, auf Mülleimern.
       
       Einige Wochen zuvor hing an einer Pinnwand im Verein unter einem Artikel
       über den FC Rotes Meer plötzlich ein weiterer Zeitungsartikel. Die
       Überschrift: „Mehr Gewalttaten durch kriminelle Flüchtlinge“. Felix
       Herrlich wühlte das so sehr auf, dass er mit einem eineinhalbseitigen
       Schreiben antwortete. „Statt feige und anonym mit billigen, populistischen
       und rassistischen Aussagen, denen jegliche Grundlage fehlt, unser
       komplettes Team zu pauschalisieren, kannst du gerne mit Fakten zu mir
       kommen und wir können sachlich diskutieren“, schrieb er mit Angabe seiner
       Telefonnummer und E-Mail-Adresse darunter. Felix Herrlich erzählt, viele
       Vereinsmitglieder hätten ihn darauf angesprochen, nachgefragt, was passiert
       sei. Mit diesen Menschen konnte er sprechen. Für ihn war das wieder eine
       Chance, Vorurteile abzubauen.
       
       Dass nicht alle im Verein vom FC Rotes Meer begeistert waren, streitet auch
       Günter Golle nicht ab. Er trägt ein blaues T-Shirt, das extra zum
       25-jährigen Vereinsjubiläum angefertigt wurde. Golle ist zweiter
       stellvertretender Vorstand des VfB Hellerau-Klotzsche und auf Vereinsebene
       der erste Inklusionsmanager Sachsens. Er soll dafür sorgen, dass mehr
       Menschen mit Behinderungen am Sportangebot in dem Verein teilnehmen können.
       
       ## Ausländerfeindlichkeit auch im Verein
       
       Golle sagt, die verschiedenen Meinungen in der Bevölkerung spiegeln sich
       auch im Verein wider. Sprich: Auch im Verein gibt es ausländerfeindliche
       Menschen. Auseinandersetzungen würden offen geführt, erklärt Golle. „Durch
       diese offene Handhabung haben wir ein Klima geschaffen, das solche Projekte
       ermöglicht.“
       
       Auseinandersetzung gab es mehrfach über den Namen des antirassistischen
       Fußballturniers, das Felix und Jonas Herrlich organisieren. Ein
       Vereinsmitglied störte sich an dem Begriff „antirassistisch“, er sei zu
       sehr gegen etwas. Das nächste Turnier hieß Borderless Cup. Und dieses Mal
       war es der Vereinsvorstand, dem der Turniername nicht passte. Er war zu
       englisch.
       
       Der VfB Hellerau-Klotzsche ist offizieller Integrationsstützpunktverein, 90
       bis 100 gibt es davon in Sachsen, die vom Land Sachsen finanziell
       unterstützt werden. Christian Dahms, Generalsekretär beim Landessportbund,
       sagt, viele Vereine seien gerne Integrationsstützpunkt, legten aber keinen
       großen Wert darauf, dass das nach außen kommuniziert wird. Beim
       Landessportbund herrscht Unsicherheit, was nach den Wahlen am Wochenende in
       Sachsen passieren wird, räumt Dahms ein.
       
       Die AfD erklärte die Integration für gescheitert. Je nach Wahlergebnis
       und Einfluss der Partei auf die Landespolitik könnten also auch Gelder beim
       Sportbund gekürzt werden. Dahms sagt: „Wir fragen uns schon, ob wir uns in
       Zukunft weiterhin so intensiv und nachhaltig der Integration widmen können,
       wie wir und vor allem die Vereine und deren Ehrenamtliche das tun.“
       
       1 Sep 2019
       
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