# taz.de -- Labour-Parteitag in Großbritannien: Kampf um Herz und Seele der Partei
       
       > Nach wie vor steht die britische Labour-Opposition im Schatten der
       > Antisemitismus-Debatte. Manche jüdische Mitglieder haben bereits
       > aufgegeben.
       
 (IMG) Bild: Joseph Cohen und Peter Gregson diskutieren vor dem kontroversen Plakat beim Labour-Parteitag
       
       BRIGHTON taz | Auf der satirischen Zeichnung steht Jeremy Corbyn an einem
       Rednerpult mit palästinensischer Flagge und den Worten „Palästinensische
       Rechte“. Dahinter feuert Benjamin Netanjahu aus einem israelischen Bomber,
       auf dem „die Lobby“ geschrieben steht, Raketen auf den Labour-Chef ab und
       ruft „Antisemit! Antisemit! Antisemit!“. Auf einer Rakete steht das Wort
       „Verleumdung“.
       
       Das Banner hing vor dem Konferenzzentrum in Brighton, wo Anfang dieser
       Woche der Labour-Parteitag stattfand. Es wurde schließlich von der Polizei
       entfernt – just in dem Moment, als davor zwei Männer intensivst
       diskutieren.
       
       Der erste, Joseph Cohen, trug schwarze jüdisch-orthodoxe Kleidung, er
       leitet ein Informationswerk zu Israel. Der andere, Peter Gregson, trägt ein
       rotes T-Shirt mit der Parole „Boykottiert und isoliert Israel“, ist Gründer
       der Gruppe „Labour gegen zionistischen islamophoben Rassismus“ und wurde im
       Frühjahr wegen Antisemitismus aus seiner Gewerkschaft geworfen und von der
       schottischen Labour-Partei suspendiert.
       
       Auf einem Flugblatt nennt Gregsons Gruppe die Vorwürfe von Antisemitismus
       in der Labour-Partei Schwindel und den jüdischen Labour-Verband JLM (Jewish
       Labour Movement) einen „Verteidiger des rassistischen Apartheidstaates
       Israel.“
       
       Das vergangene Jahr war für die JLM nicht einfach. Aufgrund ihrer Klagen
       nahm die britische Gleichberechtigungs- und Menschenrechtskommission (EHRC)
       offizielle Ermittlungen gegen Labour wegen institutionellen Antisemitismus
       auf. Sechs Parlamentarier aus Unter- und Oberhaus haben die Partei
       verlassen und nannten Antisemitismus als Grund.
       
       Beschuldigte wie der suspendierte Labour-Abgeordnete Chris Williamson haben
       dagegen die parteiinterne Gruppe „Labour Against the Witchhunt“ (Labour
       gegen die Hexenjagd) gegründet.
       
       Die „Hexenjagd-Gegner“ haben einem Informationsstand direkt neben dem
       Ausgang des Konferenzzentrums in Brighton. Der jüdische Verband JLM trifft
       sich derweil in der Synagoge der Stadt.
       
       ## „Nicht aufgeben, bis Jeremy Corbyn weg ist“
       
       „Was wir hier erleben, ist nicht ein Kampf von Juden oder für Juden,
       sondern ein Kampf um Herz und Seele der Partei“, sagt Ruth Smeeth, eine
       jüdische Abgeordnete, die sich geweigert hat, aus Labour auszutreten.
       Labour-Veteranin Margeret Hodge, Tochter eines Holocaustflüchtlings und für
       ihre Beschimpfung Corbyns als „verdammter Rassist“ berühmt geworden, zeigt
       ein Flugblatt der rechtsradikalen BNP gegen sie aus dem Jahr 2010, das auch
       von Linksextremen in den sozialen Medien benutzt worden sei. „Ich werde
       nicht aufgeben, bis Jeremy Corbyn weg ist“, sagt sie.
       
       JLM-Vorsitzender Michael Katz bedauert am Ende der Veranstaltung, er könne
       nicht garantieren, dass es JLM nächstes Jahr – dabei meint er auch das am
       Sonntagabend bevorstehende nächste jüdische Jahr – noch gebe. Das hänge
       auch vom EHRC-Urteil ab.
       
       Beim Parteitag 2018 hatte sich Labour von der internationalen
       Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Allianz
       (IHRA) distanziert, weil sie darin das Recht auf Kritik an Israel gefährdet
       sah.
       
       Rund die Hälfte aller Parteitagsdelegierten trägt dieses Jahr Aufdrucke der
       Palästina-Solidaritätsbewegung samt palästinensischer Fahne auf den
       Umhängebändern ihrer Konferenzausweise. Beim Infostand der lange von Corbyn
       geführten Palästina-Solidarität liegen Israel-Boykottaufkleber. Drinnen
       diskutieren die Delegierten über einen Antrag zu einer „ethischen
       Außenpolitik“, der sich vor allem für „das Recht der Rückkehr von
       Palästinenser*Innen nach Hause und das kollektive Recht auf
       Selbstbestimmung“ einsetzt“, für den „Stopp jeglichen Waffenhandels, der
       mit der Verletzung der Menschenrechte von Palästinenser*Innen in Verbindung
       steht“ und gegen „Handelsverträge, welche die Rechte von Palästinensern
       verletzen“.
       
       Getragen wird der Antrag unter anderem von der Gruppe Jewish Voces of
       Labour (JVL), vor einigen Jahren von Corbyn-treuen jüdischen
       Labourmitgliedern als Gegenstück zur etablierten JLM gegründet. Zu ihrer
       Nebenveranstaltung in Brighton hat JVL den revisionistischen
       antizionistischen Historiker Ilan Pappe und die ehemalige
       israelisch-palestinänische Knesset-Abgeordnete Hanin Soab eingeladen.
       
       Als JVL-Mitglied, sagt im Plenum Vanessa Stilwell, sei sie eine von 1.000
       Juden, die bei Labour niemals Antisemitismus erlebt hätten und die Corbyn
       als „den antirassistischsten Parteiführer, den die Partei je hatte“,
       ansehen. Der Saal, der bei voller Kapazität bis 5.000 Delegierte aufnehmen
       kann, bricht in Beifall und Applaus aus, bei stehenden Ovationen werden
       palästinensische Fahnen gewedelt. Solidarität für die palästinensische
       Sache wird mit Verleugnung jeglichen Antisemitismus in der Partei gemischt.
       
       Barnaby Marder, ein langjähriger jüdischer Labour-Aktivist, erklärt auf
       seiner Facebookseite einen Tag später, dass ihn das zum Entschluss brachte,
       endgültig aus Labour auszutreten.
       
       Eine Debatte zum Antisemitismus wurde hingegen auf den Samstag verlegt, den
       jüdischen Feiertag, trotz des Hinweises der JLM, dass jüdisch-religiöse
       Genoss*Innen dann möglicherweise nicht teilnehmen könnten.
       
       Beschlossen wurde ein Schnellverfahren, das der Parteiführung erlaubt,
       bestimmte Fälle von Antisemitismus direkt dem Parteivorstand vorzulegen.
       JLM-Vorsitzender Katz kritisierte, dass damit keine unparteiische Instanz
       urteile, sondern ein politisches Gremium: „Dadurch könnten Fälle in
       derartigen Schnellverfahren zugunsten der Partei entschieden werden.“
       
       Doch er gestand, dass viele wie die Labour LGBTQ+-Gruppe trotzdem aus
       Besorgnis dafür gestimmt hätten. Denn unter den Gegnern waren Corbyn-treue
       Personen, Gruppen und Gewerkschaften, welche der Auffassung waren, dass
       keine Sonderregelungen notwendig seien, da Labour schließlich kein
       Antisemitismus-Problem habe.
       
       26 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn
       
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