# taz.de -- Kontrolle von Pestiziden in Gefahr: Artensterben? Ist doch egal!
       
       > Das Umweltbundesamt warnt vor den Folgen zweier Gerichtsurteile. Diese
       > würden die Überprüfung von Risiken durch Ackergifte erschweren.
       
 (IMG) Bild: Schleppen mittels Blütenpollen immer wieder Pestizide in den Stock: Honigbienen
       
       BERLIN taz | Das Umweltbundesamt (UBA) befürchtet, dass die deutschen
       Behörden Pestizide bald ungenauer als bisher auf Umweltschäden überprüfen
       müssen. Grund seien drei aktuelle Urteile des Verwaltungsgerichts
       Braunschweig, teilte das UBA am Montag mit.
       
       Das Gericht entschied der Behörde zufolge, dass sie von ihr festgestellte
       Auswirkungen des Unkrautvernichters „Corida“ und des Insektengifts
       „Fasthrin 10 EC“ auf die biologische Vielfalt in der Zulassung nicht habe
       berücksichtigen dürfen. [1][Laut UBA] entziehen die Chemikalien auch Vögeln
       die Nahrungsgrundlage, indem sie Begleitkräuter und Insekten töten. Deshalb
       forderte die Behörde, dass die Bauern einen bestimmten Anteil von
       „Biodiversitätsflächen“ wie Brachen oder Blühflächen auf ihrem Ackerland
       vorweisen. Doch für das Thema Artenschutz gibt es dem UBA zufolge noch
       keinen Bewertungsleitfaden der Europäischen Lebensmittelbehörde. Deshalb
       habe das Gericht dem UBA verboten, diesen Punkt zu prüfen.
       
       In einer weiteren Eilentscheidung habe das Gericht die vom UBA geforderte
       Beschränkung für das Unkrautvernichtungsmittel „Sunfire“ für unzulässig
       erklärt. Die Behörde will, dass das Mittel höchstens alle drei Jahre auf
       einem Acker angewendet wird. Schließlich könne ein bestimmtes Abbauprodukt
       des Mittels kaum aus dem Grundwasser entfernt werden. Neue Informationen
       hätten zwar hohe Risiken gezeigt, diese Daten dürfe das UBA aber nicht
       berücksichtigen.
       
       ## Petition für Reform des Zulassungssystems
       
       „Sollten die Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweig rechtskräftig
       werden, geben wir den Schutz der biologischen Vielfalt im
       Zulassungsverfahren von Pflanzenschutzmitteln auf. Auch der Schutz des
       Grundwassers vor Verunreinigungen mit Pestizidrückständen wäre in
       Deutschland nicht mehr sichergestellt“, sagte UBA-Präsidentin Maria
       Krautzberger. Deshalb müsse das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz
       (BVL) gegen die drei Urteile Berufung einlegen. Das BVL stellt die
       Zulassungsbescheide aus, nachdem es das UBA konsultiert hat. Das BVL teilte
       auf taz-Anfrage mit, es habe sich noch nicht entschieden.
       
       Im Bundestag gerät das Pestizid-Zulassungssystem unter Druck. Der
       Petitionsausschuss hörte am Montag den Imkermeister Thomas Radetzki an,
       [2][dessen Eingabe] für eine Reform des Verfahrens mehr als 72.000
       Unterstützer gefunden hat. [3][Wie die Grünen in einem aktuellen Antrag]
       fordert Radetzki, dass die Bundesregierung ihren Einfluss bei der EU nutzt.
       
       ## Neuer Report über Fehler bei Pestizidüberprüfung
       
       Auf Mängel im System will ein Report hinweisen, den die
       Umweltorganisationen Pestizid-Aktionsnetzwerk und die Gesundheitheits- und
       Umweltallianz (Heal) am Montag veröffentlichten. Demnach hätten [4][3 von
       10 überprüften Pestizidwirkstoffen] nicht zugelassen werden dürfen, weil
       sie als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hätten werden müssen. Die
       zuständige EU-Lebensmittelbehörde antwortete darauf, der Report sei
       fehlerhaft und die Zulassungen würden gerade überprüft.
       
       Das Insektizid Chlorpyrifos soll nach dem Willen der EU-Kommission zum 31.
       Januar 2020 untersagt werden. „Es wird wie immer eine Übergangsfrist zum
       Aufbrauchen von Lagerbeständen geben“, sagte eine Sprecherin. „Wir setzen
       uns für ein Verbot ein“, teilte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU)
       der taz mit. Das gelte für sie sowie für die Bundesregierung insgesamt.
       
       Die Mitgliedstaaten sollen am 6. Dezember über den Vorschlag abstimmen. Die
       EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit hatte im August festgestellt, dass
       [5][Chlorpyrifos Embryonen schaden könne] und nicht zugelassen sein dürfe.
       Das Mittel ist aber seit Jahrzehnten erlaubt.
       
       22 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/uba-schutz-der-biologischen-vielfalt-im
 (DIR) [2] https://www.pestizidkontrolle.de/
 (DIR) [3] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/140/1914090.pdf
 (DIR) [4] https://pan-germany.org/pestizide/neuer-bericht-zeigt-bewertung-von-krebseffekten-bei-4-von-10-pestiziden-fehlerhaft/
 (DIR) [5] /Giftiges-Pestizid-an-Zitrusfruechten/!5617071
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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