# taz.de -- Entschädigung für Kohleausstieg: Geld statt Kohle verbrennen
       
       > Die Bundesregierung verhandelt mit den Energiekonzernen über
       > Milliardenentschädigungen für den Kohle-Ausstieg. Kritiker meinen, das
       > sei ungerecht.
       
 (IMG) Bild: Kraftwerk Mehrum: Für die Aufgabe der Kohlekraftwerke will die Regierung Milliarden zahlen
       
       BERLIN taz | Das offizielle Preisschild für den deutschen Kohleausstieg
       steht fest: 40 Milliarden Euro will der Bund in den nächsten 20 Jahren in
       die betroffenen Regionen investieren, [1][damit das letzte Kraftwerk
       spätestens 2038 vom Netz geht].
       
       Um den indirekten Preis wird derzeit hinter den Kulissen gerungen: Wie viel
       Steuergeld bekommen die Konzerne als Entschädigung, wenn sie Kraftwerke
       abschalten? Bis Ende des Jahres soll diese Frage geklärt sein, jetzt
       beginnt die heiße Phase des Milliardenpokers: Der Preis schwankt je nach
       Sichtweise zwischen zweistelligen Milliardenbeträgen und praktisch nichts.
       
       Für die Konzerne ist klar: Wenn sie ihre Kraftwerke für den Klimaschutz
       stilllegen, wollen sie dafür viel Geld sehen. Eine Kompensation von 1,2 bis
       1,5 Milliarden Euro pro Gigawatt abgeschalteter Braunkohleleistung sei
       „fair“, sagte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz im April. Für die vier
       RWE-Meiler wären das bis zu 15 Milliarden Euro. Das Aus für alle deutschen
       Kraftwerke zusammen könnte nach dieser Rechnung bis zu 30 Milliarden
       kosten.
       
       Im „Kohleausstiegsgesetz“, das in den nächsten Wochen ins Kabinett soll,
       plant es das federführende Wirtschaftsministerium anders: Die
       Steinkohleleistung soll bis 2022 mithilfe einer „Ausschreibung“ auf 15
       Gigawatt sinken: Die Konzerne bewerben sich um Prämien, die sie für die
       Stilllegung bekommen. Insgesamt solle dieser Betrag „deutlich unter einer
       Milliarde“ liegen, heißt es.
       
       Für die Braunkohle ist das Vorgehen schwieriger: Ob ein Kraftwerk Geld
       verdient, hängt auch davon ab, von welchen Tagebauen es beliefert wird und
       wie schlecht es dem direkten Konkurrenten geht. Die Bundesregierung plant
       hier erst einmal mit einer Milliarde bis 2023, aber die Gespräche laufen.
       „Für einen geordneten Ausstieg“, hat man es sich im Wirtschaftsministerium
       „zum Ziel gesetzt, eine einvernehmliche Lösung zu erzielen“. Also zu
       zahlen.
       
       ## Nicht EU-konform
       
       Das aber müsste der Staat möglicherweise gar nicht, legt nun ein
       juristisches Gutachten der Umweltrechtsorganisation Client Earth nahe. Nach
       deutschem und EU-Recht gebe es „keine Rechtsgrundlage für die Gewährung
       großzügiger Entschädigungszahlungen an Kohlekraftwerksbetreiber“, heißt es
       in der Studie „Kein Geld für alte Braunkohlekraftwerke“.
       
       Die Öko-Juristen argumentieren, dass die Kraftwerke durch billiges Gas,
       erneuerbare Energien und gestiegene Preise für CO2-Lizenzen derzeit
       unrentabel seien. Durch ihr Abschalten entstehe deshalb kein
       wirtschaftlicher Schaden – im Gegenteil: Für 2020 bis 2022 werde sogar „für
       ältere Braunkohlekraftwerke mit weiteren Verlusten von bis zu 1,8
       Milliarden Euro gerechnet“.
       
       ## Die meisten sind finanziell abgeschrieben
       
       Dazu komme: Die meisten Blöcke sind älter als 25 Jahre und damit finanziell
       abgeschrieben. Auch deshalb entstehe den Konzernen kein Schaden. Und: Eine
       solche Entschädigung sei als Beihilfe nach EU-Recht von Brüssel zu
       genehmigen. Das aber sei „unwahrscheinlich“ im Binnenmarkt: Kein anderes
       EU-Land habe bei einem Kohleausstieg solche Vorteile für die Konzerne
       geplant.
       
       Einen fiesen Vorschlag kann sich Client Earth nicht verkneifen: Da RWE
       derzeit an der Börse nur etwa 13 bis 15 Milliarden wert ist, wäre es
       gegenüber der geforderten Entschädigung „erheblich billiger für den
       deutschen Staat, RWE komplett zu kaufen und die Kraftwerke stillzulegen“.
       
       ## Kohlemeiler werden zum Klotz am Bein
       
       [2][Die Energiekonzerne brauchen dringend frisches Geld, um ihre Zukunft
       als Ökostromanbieter zu finanzieren.] Gerade teilen sich RWE und Eon die
       Ökostromfirma Innogy neu auf. Dabei werden die Kohlemeiler mehr und mehr
       zum Klotz am Bein, ergibt eine aktuelle Berechnung des
       energiewirtschaftlichen Thinktanks Carbon Tracker: Für 2019 rechnet dieser
       mit Verlusten der deutschen Kohlekraftwerke von bis zu 1,9 Milliarden Euro,
       etwa 975 Millionen davon träfen RWE.
       
       Die Konzerne veröffentlichen diese Zahlen nicht. Ihre wirtschaftliche Lage
       könnte aber wegen günstiger Altverträge zum Stromverkauf und wegen ihrer
       Reserven an billigen CO2-Zertifikaten aus der Vergangenheit besser sein als
       angenommen.
       
       Die Analyse von Carbon Tracker kommt allerdings zum Ergebnis, dass EU-weit
       fast 80 Prozent aller Kohlekraftwerke aktuell Verluste schreiben, EU-weit
       2019 insgesamt bis zu 6,6 Milliarden Euro. Matt Gray, Kraftwerksexperte bei
       dem Thinktank, sagt: „Kohlekraftwerke in der EU verbrennen Geld, weil sie
       nicht mit immer billiger werdenden Erneuerbaren und Gas mithalten können.
       Und das wird noch schlimmer. Politiker und Investoren sollten sich auf
       einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 einstellen.“
       
       29 Oct 2019
       
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