# taz.de -- Ausstellung „Ikonen“ in Bremen: Kunst von Gottes Händen
       
       > Die Bremer Kunsthalle erzählt mit ihrer „Ikonen“-Schau eine Geschichte,
       > die bei Gott anfängt und mit Beyoncé noch nicht vorbei ist.
       
 (IMG) Bild: Beyoncé, Jay Z und Mona Lisa: Wer ist hier die Ikone?
       
       BREMEN taz | Es ist nicht so wichtig, ob Gott malen kann. Seine Bilder sind
       ja ohnehin eher aus anderen Gründen beliebt. Für das „Mandylion“ etwa soll
       Jesus sein Gesicht mit göttlichen Kräften auf ein Tuch kopiert und das
       Ganze dann verschickt haben, um einen Notdürftigen in der Ferne zu heilen.
       Das ist nicht das schönste, aber doch das wichtigste Bild der mit viel
       Tamtam realisierten [1][Ausstellung „Ikonen – Was wir Menschen anbeten“] in
       der Bremer Kunsthalle.
       
       Das „Mandylion“ ist nicht von Menschenhand gemacht, das steht jedenfalls
       drauf und gilt bemerkenswerterweise auch für Kopien wie diese hier. Das
       wundertätige Original rückt der Vatikan nämlich nur in Zeiten äußerster Not
       heraus: zum Beispiel zur „Expo 2000“ in Hannover, wo es [2][den
       Nationalpavillon des Heiligen Stuhls] zu dekorieren galt.
       
       So leicht einem der Spott über die Lippen kommt, so schnell vergeht’s einem
       aber auch wieder. Bereits die Dimensionen der Ausstellung sind ja in der
       Tat wuchtig. Die 4.500 Quadratmeter der Kunsthalle hatte man schon vor
       Monaten komplett leer geschaufelt – 60 Räume für je ein Bild oder eine
       zusammenhängende Werkgruppe reserviert.
       
       Und da hängen sie nun auch: religiöse Ikonen von einst neben jüngeren
       Meisterwerken, die auf den ersten Blick nichts mit Gott zu tun haben, aber
       eben selbst eine Ausstrahlung haben. Jeder kennt sie: Van Gogh und Turner,
       Abramović, Kandinsky, Duchamp, Malewitsch und Beyoncé. Man habe das
       jahrelang geplant, sagt Museumsdirektor Christoph Künstler, „etliche
       Gefallen eingeholt, Künstler und Privatsammler bearbeitet“ für diese
       logistisch wohl aufwendigste Ausstellung des Hauses.
       
       ## Der atheistische Kurzschluss
       
       Inhaltlich ist die Sache komplizierter: Ob einen das „Mandylion“ in
       religiöse Verzückung versetzt, wird jede*r mit sich selbst und
       gegebenenfalls mit Gott ausmachen müssen. Die kunsthistorische Bedeutung
       aber wird kaum erfassen, wer die himmlische Urheberschaft vorschnell als
       reinen Mumpitz ad acta legt. Was auf die gottgemachte Ikone historisch
       folgt, ist der Kult ums göttlich inspirierte Genie, die Michelangelos,
       Raffaels und so weiter.
       
       Und wo darin aus aufklärerischer Perspektive ein Fortschritt liegen sollte,
       müsste man erst erklären. Vielleicht ist ja, wenn man den atheistischen
       Kurzschluss vermeidet, das Gott zugeschriebene Werk irgendeines Anonymus
       viel eher noch die Kunst der Menschheit, als es die Meisterhandwerker von
       damals und heute sind.
       
       Um diese Bewegung geht es der Ausstellung jedenfalls: um die Verlagerung
       des Glaubens vom Göttlichen aufs Profane – von der Religion über wechselnde
       historische Kunstdiskurse bis zum Pop. Dass da eine Säkularisierung
       zweifellos stattgefunden hat, heißt eben nicht, dass es heute ohne
       Sehnsüchte, Irrationalismus und Heititei ginge. Wahrscheinlich ist es eher
       noch schlimmer geworden, oder sagen wir meinetwegen auch: intensiver.
       
       So interessant der Gedanke ist, so eine weite Klammer ist er auch. Auch
       darauf hatte Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg nämlich hingewiesen:
       „Heutzutage ist ja alles ikonisch“, Musiker*innen etwa, die nach drei
       Monaten Castingshow als Superstars gehandelt werden. Oder die Marken der
       Warenwelt: von der ikonisch-dreieckigen Tobleronepackung bis zum
       Stickkrokodil auf dem Hemd. Und weil das so ist, kann man in dieser
       Ausstellung theoretisch eben auch alles unterbringen, solange es nur knallt
       und Publikum verspricht.
       
       Um es gleich zu sagen: Die Kunsthalle hat diese Freiheit nicht missbraucht
       – und man kann sich im Norden ja auch gerade heute über jeden Van Gogh
       freuen, der nicht für [3][„Making Van Gogh“ ins Frankfurter Städel-Museum]
       verschifft wurde.
       
       Am besten ist die Ausstellung da, wo sie mit Meistern den Meisterstatus
       hinterfragt. Etwa da, wo Elaine Sturtevant Bilder von Warhol oder
       Lichtenstein kopiert und sie mit „Sturtevant“ signiert. Aus der Ferne ist
       das ein Gag, aber als Kunst wird es dann doch richtig spannend, wenn man
       unmittelbar vor einem dieser „Originale“ steht. Da funktioniert dann auch,
       was die Ausstellung mit ihrem „Alles muss raus“ erreichen wollte: eine
       Feier der Kunst auch um ihrer selbst willen ausrichten, die das Museum, wie
       Grunenberg sagt, „als Ort direkter Konfrontation“ versteht.
       
       Es ist an dieser Stelle müßig, die nun wirklich üppig besetzte Schau auch
       nur annähernd vollständig abzubilden. Wirklich wichtig ist aber noch dieses
       Highlight: Malewitschs schwarzes Quadrat, von dem ausgehend die Schau in
       die Moderne blickt. Dass Malewitsch sich ausdrücklich auf Ikonenmalerei
       bezogen hat, ist bekannt – nur wird das Quadrat darum noch lange nicht
       immer in diesem Kontext ausgestellt.
       
       Am Anfang schon. Die erste Fassung des Bildes war 1915 in Petrograd zu
       sehen, wo es oben in der östlichen Ecke des Raumes hing: dem traditionellen
       Platz der Ikone. Als Bezug ist das weitaus interessanter, als sich mit
       Überlegungen zur Form aufzuhalten. Weil es eben gar nicht mehr um das
       Abgebildete geht, sondern um die tiefere, vielleicht spirituelle Kraft
       dahinter. Und es ist interessant, diesen Gedanken auszurollen: vom
       „Mandylion“ über Malewitsch bis zum Pop.
       
       Und wenn Gott also den Anfang gemacht hat, dann kommt die Pointe von
       Beyoncé. Irgendwo in den tiefen der Ausstellung ist ein Standbild aus
       [4][ihrem Video „Apeshit“] zu sehen: wo sie mit Jay-Z vor Da Vincis „Mona
       Lisa“ posiert und sich im Louvre mitsamt ihrer Tänzer*innen in die weiße
       Kulturgeschichte einschreibt. Und da findet dann wirklich alles zueinander:
       die Kunstikone Mona Lisa, die Weltstars, das inzwischen selbst ikonische
       Bild von dieser Louvre-Nummer – und die angeschlossene Selfie-Station, in
       der sich Besucher*innen selbst noch in eben dieses Bild einschreiben
       können.
       
       Natürlich ist es auch marketingtechnisch clever, eine Ausstellung über
       erfolgreiche Dinge auszurichten. Doch auch noch so viel Bling-Bling von
       allerlei Heiligenscheinen oder Jeff Koons’ Glitzerhund kann nicht darüber
       hinwegtäuschen, was „Ikonen“ tatsächlich ist: eine außerordentlich
       sehenswerte Ausstellung.
       
       31 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.kunsthalle-bremen.de/de/view/exhibitions/exb-page/ikonen
 (DIR) [2] http://site.expo2000.de/expo2000/tn/index.php?lang=2&tn_ktn_id=1004&tn_do_id=100143&detail=1
 (DIR) [3] https://www.staedelmuseum.de/de/vangogh
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=kbMqWXnpXcA
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
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