# taz.de -- Mathe und Naturwissenschaften: Der Osten sackt ab
       
       > Das Leistungsniveau deutscher SchülerInnen bleibt stabil. Ostdeutsche
       > Länder büßen aber ihren Vorsprung ein – und Jungs verschlechtern sich.
       
 (IMG) Bild: RealschülerInnen in Karlsuhe beim Unterricht
       
       BERLIN taz | Das Leistungsniveau der SchülerInnen in Mathe und
       Naturwissenschaften ist trotz Zuwanderung und wachsender Inklusion seit
       2012 stabil geblieben. Das zeigen die [1][Ergebnisse des Bildungstrends
       2018], den die Kultusministerkonferenz (KMK) an diesem Freitag
       veröffentlicht. „Gemessen an der wachsenden Heterogenität der Schülerschaft
       kann man das als Erfolg bezeichnen“, meint Petra Stanat, die Leiterin des
       Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, das die Studie im
       Auftrag der KMK durchführte.
       
       Allerdings bekommt das schöne Gesamtbild bei näherem Hinschauen einige
       Kratzer. So haben sich die Kompetenzen der Schüler in keinem einzigen
       Bundesland verbessert. In einigen Ländern, darunter [2][die ostdeutschen
       Länder] Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt,
       verfehlen sogar deutlich mehr SchülerInnen als vor sechs Jahren die
       Mindeststandards in einem oder mehreren Fächern. Und: Die Unterschiede
       zwischen den Ländern sind weiterhin riesig, die soziale Kopplung zwischen
       Herkunft und Leistung substantiell: Wer sozial bevorteilt ist, hat auch
       bessere Leistungen.
       
       Auf die Bildungsstandards haben sich die KultusministerInnen der Länder
       Anfang des Jahrtausends geeinigt, um Vergleichbarkeit und Transparenz ins
       föderale System zu bringen. Sie legen fest, was SchülerInnen am Ende der
       zehnten Klasse in den Hauptfächern können sollen. Das heißt etwa für
       Mathematik: Man muss mathematisch argumentieren, Probleme lösen und mit
       Modellen arbeiten können.
       
       In regelmäßigen Abständen lässt die Politik durch das IQB überprüfen, ob
       und zu welchem Anteil die SchülerInnen die Standards erfüllen – für Mathe
       und Naturwissenschaften nun zum zweiten Mal seit 2012.
       
       ## Zuwanderung spielt keine Rolle
       
       Stabil geblieben ist seitdem auch der Anteil derjenigen SchülerInnen, die
       die Mindestanforderungen verfehlen, oder korrekter gesagt: verfehlen
       würden. Denn getestet werden Neuntklässer ein Jahr vor den Prüfungen für
       den Mittleren Schulabschluss. In Mathematik würde ein Viertel durchfallen,
       im Fach Chemie sind es bis zu 17 Prozent.
       
       Die hohe Durchfallquote in Mathematik lässt sich noch relativ leicht
       erklären: Für den Bildungstrend werden auch all jene SchülerInnen getestet,
       die einen Förder- oder Hauptschulabschluss machen und für die deshalb
       eigentlich niedrigere Standards gelten. In den Naturwissenschaften werden
       hingegen nur die SchülerInnen getestet, die tatsächlich den Mittleren
       Schulabschluss anstreben.
       
       Schwieriger zu deuten, ist das Absacken der ostdeutschen Bundesländer. In
       Brandenburg ist der Anteil der Jugendlichen, die die Regelstandards in
       Mathe erreichen, seit 2012 um über 10 Prozentpunkte gesunken, in Chemie
       sogar um fast 20 Prozentpunkte. Das Land ist weder bevorzugtes Ziel von
       Zuwanderern noch hat sich der Anteil von FörderschülerInnen in Regelschulen
       sprunghaft erhöht. Das zuständige SPD-geführte Ministerium gab auf
       taz-Anfrage bekannt, man werde am Freitag Vormittag eine Stellungnahme
       herausgeben.
       
       ## Weniger Fachlehrer als zu DDR-Zeiten
       
       Erste Antworten bekam die taz jedoch aus Thüringen. Auch dort liegt der
       Anteil der SchülerInnen mit Zuwanderungshintergrund wie in Brandenburg im
       einstelligen Bereich – bundesweit hat jede dritte SchülerIn mindestens ein
       Elternteil, welches im Ausland geboren ist. Dennoch ist der Anteil der
       Thüringer Neuntklässler, die die Regelstandards in den Fächern Biologie,
       Chemie und Physik erreichen, gegenüber 2012 um etwa 10 Prozentpunkte
       zurückgegangen.
       
       Der für die Schulen zuständige Minister Helmut Holter von der Linken macht
       den Mangel an ausgebildeten FachlehrerInnen verantwortlich. Die
       Absolventenzahlen gingen bundesweit zurück. „Früher gab es einfach
       zahlenmäßig mehr gute Lehrkräfte für Chemie, Physik, Biologie und Mathe.
       Die ostdeutschen Länder haben lange von in der DDR ausgebildeten Lehrern
       profitiert“, so Holter.
       
       Im gesamtdeutschen Vergleich liegen die mathematischen und
       naturwissenschaftlichen Kompetenzen der ostdeutschen SchülerInnen trotz des
       Absackens weiterhin im oder über dem Durchschnitt. Die Länder haben also
       lediglich ihren Vorsprung verringert.
       
       Zum Vergleich: In Bremen verfehlen über 40 Prozent der SchülerInnen die
       Mindeststandards im Fach Mathematik, in Thüringen sind es 20 und in Bayern
       nur 17 Prozent. IQB-Direktorin Stanat betont jedoch, bei den
       Ländervergleichen handle es sich ausdrücklich nicht um ein Wettrennen.
       
       ## Gymnasien schneiden schlechter ab
       
       Ausgerechnet in der kompetitivsten Schulform, den Gymnasien, stellen die
       Bildungsforscherinnen „insgesamt ungünstige Veränderungen“ fest. Diese
       ließen sich jedoch nicht auf die Besuchsquote zurückführen, denn die sei
       stabil geblieben. Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne
       Eisenmann (CDU) sieht einen Zusammenhang zum Wegfall der verbindlichen
       Grundschulempfehlung in ihrem Land. Die rot-grüne Vorgängerregierung hatte
       diese abgeschafft. „Wir müssen uns die Frage stellen, ob der Wegfall der
       Grundschulempfehlung sinnvoll war“, so Eisenmann.
       
       Noch eine Entwicklung gibt Rätsel auf. So stellten die
       Bildungsforscherinnen fest, dass von ungünstigen Entwicklungen
       „insbesondere Jungen“ betroffen waren, und zwar insbesondere im
       „Jungenfach“ Mathematik. Zwar haben sie hier nach wie vor einen leichten
       fachlichen Vorteil, in den Naturwissenschaften liegen die Mädchen aber
       gleichauf oder schneiden, wie in Biologie, besser ab.
       
       Dem gegenüber steht ein ungebrochenenes Selbstbewusstsein: Jungen schätzen
       ihre Fähigkeiten und ihr Interesse für das Fach deutlich besser ein als
       Mädchen. Am größten ist die Kluft zwischen Schein und Sein in Physik,
       obwohl es bei den Kompetenzen keine Unterschiede mehr zwischen den
       Geschlechtern gibt.
       
       Für die aktuelle Studie haben 45.000 SchülerInnen Tests bearbeitet,
       darunter auch alle Geflüchteten, die seit 2015 zugewandert sind und
       mindestens ein Jahr in Deutschland die Schule besucht haben.
       
       18 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsmonitoring/ueberpruefungumsetzung-der-bildungsstandards/bildungstrend-2018.html
 (DIR) [2] /Schwerpunkt-Ostdeutschland-waehlt/!t5606218
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
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