# taz.de -- Postkoloniale Soundkunst im HKW: Wenn Karten klingen statt zeigen
       
       > Der Künstler Satch Hoyt erkundet in seinem Projekt „Afro-Sonic Mapping“
       > im HKW die Beziehungen von Klängen in der Musik der afrikanischen
       > Diaspora
       
 (IMG) Bild: Prozession nach dem Gottesdienst in der Nossa Senhora do Rosário dos Pretos in Salvador da Bahia
       
       Karten sind Schlüssel zur Herrschaft. Sie helfen, das Gelände zu lesen und
       Überblick zu gewinnen. Auch dort, wo die Landschaft flach vor den Augen
       liegt. Nicht umsonst gingen in den letzten Jahrhunderten die geografische
       Erkundung der von Europäern neu in ihre Sphäre des Wissens eingegliederten
       Weltregionen und ihre koloniale Erschließung und Ausbeutung Hand in Hand.
       Eine Karte ist ein Machtinstrument.
       
       „Aber es gibt so viele Kartografien, und nicht alle davon sind europäisch.
       Die Luba im heutigen Kongo haben eine besondere astrologische Art von
       Karte, die dir aufzeigt, wohin du in deinem Leben gehen kannst. Auch die
       polynesische Bevölkerung kannte schon sehr früh Karten“, sagt Satch Hoyt –
       und der in Berlin lebende Künstler und Musiker fügt bei [1][seinem Projekt
       „Afro-Sonic Mapping“] eine hinzu, die nicht die Perspektive von Macht
       einnimmt: „Die Sklaven trugen ein monumentales Netzwerk aus Klang zu den
       karibischen Inseln und den Amerikas und hielten so die afrikanische Kultur
       intakt. Diese Elemente haben bis heute überdauert.
       
       Die afrosonischen Zeichen bewegen sich noch immer vom afrikanischen
       Kontinent über die globale afrikanische Diaspora und sind in jede populäre
       Musik eingedrungen, die wir kennen.“ Die Spuren dieses Netzwerks zu
       zeichnen, ist Satch Hoyts Anliegen.
       
       Die erste große Präsentation dieses Vorhabens findet bis Mitte November im
       Berliner Haus der Kulturen der Welt statt, kuratiert von der Chilenin Paz
       Guevara – und sie erkundet das lusophone Dreieck, das sich zwischen den
       großen portugiesischsprachigen Regionen der Erde aufspannt, zwischen
       Portugal, seinen früheren Kolonien in Afrika wie Angola und Mosambik und
       der früheren Kolonie Brasilien.
       
       Die Karten des [2][Satch Hoyt] sind großformatige Gemälde, die in der
       Hängung eines Amphitheaters im Foyer präsentiert werden, im Kreis
       aufsteigend. Sie zeigen immer wieder die Leere zwischen zwei Polen, einen
       Schwarzen Atlantik zwischen Landmassen aus getropfter Farbe. Es sind
       Himmelskarten und grafische Soundnotierungen, Schicht um Schicht, komplexe
       Bedeutungsträger: „Sie sind nicht abgeschlossen, sondern eher so etwas wie
       Echtzeitkompositionen.“
       
       Satch Hoyt ist als bildender Künstler eher für seine skulpturalen Arbeiten
       und Installationen bekannt, die Malerei ist neues Terrain für ihn. Als
       Musiker arbeitete der gebürtige Londoner mit britisch-jamaikanischen
       Wurzeln früh mit der legendären Musikerin Grace Jones, später auch mit
       Jazzlegende Butch Morris, in dessen Impro-Gruppe Burnt Sugar The Arkestar
       Chamber er bis heute spielt.
       
       Raum und Bewegungen zeigen, in Gemälden, aber auch in Klang. Portugal, sagt
       Hoyt, wird heute im Konzert der kolonialen Großmächte oft überhört, ist
       aber doch dessen Auftakt: Das Königreich Portugal war das erste wirkliche
       Weltreich, seine Kolonialgeschichte dauerte am längsten an. Schon 1415
       eroberten Portugiesen die marokkanische Stadt Ceuta und gliederten bald
       weite Teile der Küste Afrikas in ihr Reich ein. Zum Königreich Kongo nahmen
       die europäischen Seefahrer fast gleichberechtigte Beziehungen auf.
       
       ## Akustische Restitution
       
       Als der Sklavenhandel in die Amerikas zum großen Geschäft wurde, konnte
       auch eine kongolesische Oberschicht davon profitieren. Im 17. Jahrhundert
       aber wurde das Gebiet von europäischen Sklavenjägern ausgebeutet, die
       Strukturen des Königreichs zerstört. Niederländer und Briten hatten nun die
       koloniale Vorherrschaft, 1866 zogen die letzten Portugiesen ab. Bald darauf
       entstand das Material, das nun die Basis ist für Hoyts akustische
       Kartierung.
       
       „Die afrosonische Klangwelt ist eine der größten, komplexesten
       musikalischen Lexiken, die es gibt. Sie erzählt von Schönheit und Glauben,
       aber auch von unfassbarem Schmerz.“ Im Phonogrammarchiv des Ethnologischen
       Museums in Dahlem fand Hoyt die ältesten Tonaufnahmen aus West- und
       Zentralafrika, aufgezeichnet ab 1890. „Meine Vision war es, diese Musik
       zurückzubringen an die Orte, an denen sie aufgenommen wurden. Ich will eine
       Art klangliche Restitution schaffen und sie transformieren.“
       
       Er arbeitete mit diesen Aufnahmen mit Musikern aus der Region, aus Luanda,
       der Hauptstadt Angolas. Später entwickelte er die Klänge, die dabei
       entstanden, mit Musikern aus dem brasilianischen Salvador de Bahia weiter.
       Die Ausstellung geht einher mit der Veröffentlichung eines Albums mit Field
       Recordings von diesen Orten – vor allem aber mit Performances, die das
       afrosonische Netzwerk im Konzert erschließen.
       
       Was sind diese Bedeutungszeichen, welche Knotenpunkte hat dieses Netz aus
       Klang? „Ich frage mich eher, was eingebettet ist in das Schweigen zwischen
       den Tönen. Es geht darum, die tausend Noten, die nicht gespielt werden, zu
       entschlüsseln. Und dieses Alphabet wird nicht nur decodiert, sondern auch
       weitergeschrieben. Heute trägt Kendrick Lamars Musik diese Signifikanten –
       aber wie könnte ich einen Rhythmus beschreiben oder einen Groove?“
       
       Die Gemälde und die Musik, der Komplex der Ausstellung, auch die Texte auf
       dem Blog, den Satch Hoyt betreibt, seit er 2016 mit dem Projekt begann, sie
       alle versuchen, etwas zu fassen, was sich Beschreibungen entzieht: Die
       komplexe Beziehung von Transmigration, Klang, Kosmologien, Religionen und
       Identität.
       
       „Wenn ich von Kartierungen spreche, spreche ich von New Orleans, wo
       afrikanische Musik auf französische Klassik, irische Musik und die Musik
       der First Nations trifft – und aus diesem Gebräu entsteht Jazz. Das
       passiert überall in der Diaspora. Du kannst nicht afrikanische Musik in
       Afrika studieren, du musst es auch in Kolumbien machen, du musst die Musik
       der Nachkommen der ersten entlaufenen Sklaven in den spanischen Kolonien
       studieren, die ein Bantu sprechen, das in Afrika nicht mehr existent ist,
       die afrikanische Rhythmen spielen, die in Afrika nicht mehr existent sind.“
       
       So entstehen Klangkarten, die etwas anderes abbilden als strategische Wege
       durch unwegsames Gelände: eine kontinuierliche Bewegung, die bis heute
       andauert.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       30 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://afrosonicmapping.com/
 (DIR) [2] https://www.satchhoyt.art/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Greiner
       
       ## TAGS
       
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