# taz.de -- Gegen das Schönheitsdiktat: Hässlich, schwach, schmutzig
       
       > Die SM-Beziehung erkennt an, dass wir Menschen nicht nur schön, stark und
       > wertvoll sind. Sie lässt auch das Gegenteil zu.
       
 (IMG) Bild: Morgens, mittags, abends: Die Brötchentheke ist immer gut gefüllt
       
       Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, ist die schwerste Aufgabe, mit der
       der christliche Gott uns allein lassen konnte. Und zwar nicht bloß, weil es
       verdammt anstrengend sein kann, den Nächsten zu lieben, sondern auch, weil
       es hin und wieder [1][einfach unmöglich ist, sich selbst zu lieben.]
       
       Selbstwertgefühl ist wie eine Brötchentheke. Jeden Morgen, wenn Sie in die
       Bäckerei kommen, finden Sie die Brötchentheke üppig gefüllt und appetitlich
       vor. Es gibt Vollkornkrüstchen mit Camembert, Mohnbrötchen mit Salami,
       Ciabatta mit Tomate-Mozzarella, und so weiter. Wenn Sie am Nachmittag
       reinschneien, ist es genauso. Dabei wird die Brötchentheke ständig leer
       gekauft, oder die Brötchen werden trocken, die Käsescheiben hart und glasig
       – was Sie aber gar nicht mitbekommen, weil irgendjemand ständig daran
       arbeitet, dass die Brötchentheke so aussieht, wie Sie sie vorfinden
       möchten. Und zwar ab dem frühen Morgen.
       
       Selbstwertgefühl ist Arbeit. Wir müssen schuften, damit wir uns anderen
       Menschen so zeigen können, wie wir gerne sein wollen: glücklich, zufrieden,
       selbstbewusst, selbstsicher. Wir trauen uns etwas zu, wir finden uns schön,
       begehrenswert und obendrein sind wir „empowert“, lassen also alle
       Mikroaggressionen an uns abperlen.
       
       ## Eine positive Haltung zu sich selbst ist kein Naturzustand
       
       Natürlich dürfen wir das, uns selbst lieben, natürlich haben wir das Recht,
       glücklich und zufrieden zu sein, uns schön zu finden. Aber haben wir auch
       die Verpflichtung, die Verantwortung? Rund um die Uhr? Positive Haltung zu
       sich selbst ist kein Naturzustand. Aber es gibt sehr wenig Raum dafür, sich
       hässlich, schwach oder schmutzig zu fühlen und dieses Gefühl zu teilen. In
       sozialen Netzwerken geht es jedenfalls nicht, dort herrscht entweder das
       Diktat von Schönheit und Glück (Instagram) oder das des [2][Trolls, der
       sich auf jede gezeigte Schwäche stürzt (Twitter)]. Der Arbeitsplatz ist es
       auch nicht. Und auch Familie und Freunde sind selten hilfreich. Sie werden
       immer versuchen, einem derlei Gefühle auszureden. Und ich habe noch nicht
       mal angefangen, von der Last der Selbstoptimierungskultur und der „Glück
       ist Einstellungssache“-Ratgeber.
       
       [3][Die SM-Beziehung] ist meines Wissens die einzige, in der Hässlichkeit
       und Schwäche akzeptiert und in Anerkennung umgewandelt werden. Der einzige
       geschützte Raum, in dem jemand sagen kann „Du bist hässlich und wertlos“
       und jemand antworten kann „Ja, bin ich, danke!“ und beide mal kurz, nur
       ganz kurz, Pause machen können vom Fulltimejob, ein guter Mensch zu sein.
       
       Denn manchmal sehen wir eben innerlich eher so aus wie die Brötchentheke
       meines S-Bahn-Kiosk am Samstagmorgen um 5 Uhr: kriegt man schon irgendwie
       runter, aber appetitlich ist was anderes. Und dann hilft uns dieser Gott
       auch nicht weiter, dem nichts Besseres einfiel zu sagen „Liebe dich
       selbst!“ und der dann entschwebt ist und uns mit einem Haufen tattriger
       Herren in Nachthemden als Ansprechpartner zurückgelassen hat.
       
       15 Dec 2019
       
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 (DIR) Peter Weissenburger
       
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