# taz.de -- Wahlkampf in Großbritannien: Unsichere Zeiten in Schottland
       
       > Im Norden stellen sich den Wähler:innen viele Fragen: Brexit oder nicht?
       > Unabhängigkeit oder nicht? Ein Besuch in der schottischen Grenzregion.
       
 (IMG) Bild: Alan McMaster (r.): „Wir sind alle Labour, weil die Tories einfach nicht für Arbeiter sind“
       
       EYEMOUTH UND HAWICK taz | Ruhig liegen die Fischerboote an diesem
       Samstagmittag im Hafen von Eyemouth. Alexander Thornburn, 83, stolpert nach
       dem Mittagessen aus seiner Stammkneipe „Die zufriedene Seezunge“. Thorburn,
       bekleidet mit grauen Wollpullover und einer Kappe, ist in der kleinen
       Hafenstadt in der schottischen Grenzregion eine Legende. Er arbeitete
       jahrzehntelang als Fischer, bevor er vor seiner Pensionierung hier
       Hafenmeister wurde. „Ich verbrachte 40 Jahre auf der See“, erzählt
       Thornburn stolz; dann spricht er über die Freiheit, die der Brexit
       verspreche. Für ihn bedeutet der Ausstieg aus der EU, endlich das Recht zu
       haben, [1][wieder mehr Fisch in den britischen Gewässern zu fischen].
       
       Wie viele andere wird er also für die Konservativen abstimmen, um Boris
       Johnson zu unterstützen, sagt er, weil der den Brexit garantiere. Aber die
       Sache hat für ihn einen moralischen Haken: „Das ist verdammt schwer für
       mich, das zu tun – ja, es tut weh.“ Boris Johnson sei für ihn eigentlich
       ein Mann mit schlechtem Benimm aus den Eliteschmieden Eton und Oxford. „Ich
       hingegen bin ein Fischermann und eigentlich sind wir immer Labourleute.“
       
       Das bestätigt Alan McMaster, 36, der im Hafen auf einem Boot arbeitet. „Wir
       von der Crew, die Arbeiter, sind alle durch und durch Labour, weil die
       Tories einfach nicht für Arbeiter sind.“
       
       Eyemouth ist Teil des südschottischen Wahlkreises Ettrick, Roxburgh und
       Berwickshire, der sich 100 Kilometer weit von Eyemouth ins Landesinnere
       streckt und im Süden an England grenzt. Der Großteil der etwa 50.000
       Personen starken Wahlgemeinde besteht aus Kleinstädten und Dörfern.
       Innerhalb der letzten 20 Jahre wurde der Wahlkreis von drei Abgeordneten
       dreier verschiedener Parteien eingenommen: Zunächst durch die
       Liberaldemokraten, dann durch die schottische Nationalpartei SNP und
       zuletzt 2017 durch John Lamont von den Konservativen.
       
       ## Ein Kampf zwischen der SNP und den Tories?
       
       Der 43-jährige Anwalt Lamont, der auch schon Abgeordneter im schottischen
       Regionalparlament gewesen ist, steht an diesem Samstag in blauer Regenhose
       und schwarzen Gummistiefeln mitten im Stadtzentrum Hawicks unter einem
       Zeltdach im Regen.
       
       Er halte seine Chancen für gut, gibt sich Lamont der taz gegenüber
       optimistisch. Es sei hier ein Kampf zwischen der SNP und seiner Partei, den
       Tories. [2][Die SNP fordert ein erneutes Referendum über die schottische
       Unabhängigkeit], was die Konservativen ablehnen. So sagt auch Lamont, er
       werde sich für die Einheit des Vereinigten Königreichs einsetzen und für
       den Brexit. „Es ist aber vor allem mein Einsatz für die Leute hier –
       weswegen sie mich, einen stolzen Schotten, wieder wählen sollen“, sagt er.
       
       In einem Wollgeschäft erzählt ein 50-jähriger Mann, dass sich Lamont
       tatsächlich bei einem Problem vorbildlich für ihn eingesetzt habe. Er wird
       ihn deshalb wählen. So wie James Gillespie, 32, in einer Schmiedewerkstatt
       im zehn Kilometer entfernten Dorf Bonchester Bridge. Doch erwähnt er den
       örtlichen Kandidaten gar nicht, er spricht nur über den Premierminister
       Johnson. Der stehe für den Brexit und gegen die Fragmentierung
       Großbritanniens, sagt Gillespie. Richtig überzeugt ist er aber auch nicht,
       weil der Brexit die SNP stärken könnte. Außerdem gäbe ein anderes Problem:
       „Ich habe einen Sohn, der Lernstörungen hat, und der viel mehr Hilfe in der
       Schule braucht.“
       
       Also die Labour-Partei wählen, die viel investieren will? Jedoch mag
       Gillespie weder deren Parteichef Jeremy Corbyn noch deren Vorschlag, noch
       einmal über den Brexit abstimmen zu lassen. Für die fehlende Unterstützung
       schiebt er die Schuld sowohl auf die momentane Regierung in Westminster als
       auch auf die SNP-Regionalregierung in Schottland.
       
       ## Von Labour hört man hier wenig
       
       Für Nikki Mirk dagegen, die 45-jährige Managerin eines Secondhand-Ladens in
       Hawick, gibt es nur die SNP. „Ich habe 2016 für das Verlassen der EU
       gestimmt“, erkärt sie. Sie habe gewollt, dass Schottland und Großbritannien
       unabhängig werden. Inzwischen sei sie aber lieber für ein unabhängiges
       Schottland innerhalb der EU, „weil wir so als selbständiges Land mehr
       Unterstützung erhalten und Teil einer größeren Gemeinschaft sind“.
       
       Von Labour hört man hier in Hawick wenig. Eine 50-Jährige, die ihre Stimme
       der SNP geben will, erklärt sich das so: „Hier in Schottland wird schon
       viel von dem umgesetzt, was Labour erst einführen will, etwa die
       Abschaffung der Studiengebühren oder Kostenübernahme für Medikamente.“
       
       11 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn
       
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