# taz.de -- Wahl in Großbritannien: Wahlsieg mit Chancen
       
       > Boris Johnsons Erfolg bringt dem Land Stabilität. Die Linke hat nun die
       > Möglichkeit, sich neu zu erfinden.
       
 (IMG) Bild: Boris Johnson weiß genau: Er muss jetzt für alle regieren
       
       Das wurde ja auch Zeit. Boris Johnson [1][gewinnt die Wahlen in
       Großbritannien] deutlich – und mit dreieinhalb Jahren Verspätung findet das
       Brexit-Referendum von 2016 seine folgerichtige Umsetzung in der Politik.
       
       Man kann vom wiedergewählten Premierminister eine schlechte Meinung haben
       und ihn als gefährlichen Hasardeur bekämpfen, man kann [2][auch den Brexit]
       für eine Katastrophe halten – aber angesichts dessen, wie sich die Briten
       nunmal mehrfach entschieden haben, lässt die politische Logik dieses
       Wahlergebnis als einzig möglichen Garanten für die Wiederherstellung von
       Stabilität in Großbritannien, für eine Klärung des britischen Verhältnisses
       zu Europa und auch für die überfällige Neuordnung der britischen Politik
       erscheinen.
       
       Ein erneutes Patt im Parlament, angesichts der Umfragenwerte die einzige
       mögliche denkbare Alternative, hätte Großbritannien im politischen Chaos
       des vergangenen Herbstes erstarren lassen, mit einer blockierten
       Legislative, einer gelähmten Regierung egal unter wessen Führung, erneuten
       Brexit-Verschiebungen und massiven Streitereien über ein mögliches weiteres
       Referendum. Polarisierung und Gereiztheit hätten auf allen Seiten weiter
       zugenommen.
       
       Boris Johnson hat einen so hohen Sieg eingefahren, dass er es sich jetzt
       gar nicht leisten könnte, das Land zu spalten. Seine Konservativen
       verdanken ihren Wahltriumph einer traditionell antikonservativen
       Wählerschaft, die „Boris“ wegen Brexit ausnahmsweise die Stimme geliehen
       haben, mit seiner Partei ansonsten wenig am Hut haben und sie ihm auch
       wieder entziehen können.
       
       ## Eine schnelle Einigung mit Brüssel wird jetzt leichter
       
       Der Premierminister muss jetzt für das ganze Land regieren, will er nicht
       im nächsten Jahr so schnell wieder untergehen, wie er im vergangenen Jahr
       aufgestiegen ist. Das weiß er ganz genau.
       
       Dass Johnson eben kein prinzipiengeleiteter Politiker ist, sondern je nach
       Sichtweise entweder ein Pragmatiker oder ein Opportunist und auf jeden Fall
       ein gerissener Machtpolitiker, ist da ausgesprochen hilfreich. Auch für das
       Verhältnis zur EU ist das von Vorteil, wie die EU selbst weiß: Mit einer
       hohen Mehrheit für den Premierminister endet der Zustand, dass einzelne
       Überzeugungstäter im Parlament alles blockieren können.
       
       Eine schnelle Einigung zwischen London und Brüssel wird daher mit einem
       starken Boris Johnson leichter und nicht schwerer, denn nichts hat der
       Premierminister so oft betont wie seinen Wunsch, den Brexit endlich hinter
       sich zu bringen und sich dann den wirklich wichtigen Problemen zu widmen.
       Das schwierigste dieser Probleme dürfte übrigens Schottland heißen, worauf
       weder die Konservativen noch Labour eine Antwort parat haben.
       
       Auch für Johnsons Gegner eröffnet Johnsons Sieg, gekoppelt mit Corbyns
       Niederlage, neue Chancen. Die Labour-Opposition hatte sich mit der Clique
       ressentimentgeladener Altsozialisten an ihrer Spitze in eine unansehnliche
       Sackgasse manövriert, in die viele ihrer Wähler ihr nicht folgen wollten.
       
       ## Die Linke kann sich jetzt vom Corbyn-Irrweg lösen
       
       Stattdessen haben Liberale und Grüne zwar nicht mehr Parlamentssitze, wohl
       aber mehr Stimmen und auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit für ihre Themen
       und für eine weniger apparatgeleitete Politik gewonnen. Jetzt müssten sie
       nur noch aufhören, immer bloß die Brexit-Schlachten der Vergangenheit zu
       führen.
       
       Die britische Linke kann sich jetzt vom Corbyn-Irrweg lösen, den Brexit
       hinter sich lassen, sich von Grund auf neu erfinden und eine Grundlage für
       eine progressive Politik ohne Hass und Vorurteile schaffen, die sich den
       Herausforderungen der Zukunft stellt. Dann wird sie vielleicht auch wieder
       mehrheitsfähig gegenüber einer Rechten, die jenseits vom Willen zur Macht
       den Beweis einer Zukunftsvision für Großbritannien bisher schuldig
       geblieben ist.
       
       13 Dec 2019
       
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