# taz.de -- Science-Fiction-Filme und Realität: Zukunft von gestern
       
       > Essbares Menschenfleisch, seelenlose Roboter und KI-Dates: Wie
       > Science-Fiction-AutorInnen bisher auf die 2020er blickten.
       
 (IMG) Bild: „RoboCop“ von 2014 spielt im Jahr 2028 und zeichnet ein düsteres Bild der neuen 20er
       
       ## „RoboCop“ (Actionfilm, USA, 2014)
       
       Worum geht’s? Ein Megakonzern, der sein Geld mit Drohnen und Waffen
       verdient, korrupte Polizisten und ein Cyborg, dessen Emotionen per
       Fernbedienung ein- und ausgeschaltet werden können. Wir befinden uns im
       Jahr 2028, ein heldenhafter Polizist wird von einem bösen Kapitalisten in
       einen emotionslosen Superkämpfer verwandelt. Nur die Erinnerung an seine
       Frau und seinen Sohn bewahren ihm das Menschliche, so kann er am Ende über
       das Böse siegen.
       
       Wie realistisch ist das? Eher unwahrscheinlich, dass es innerhalb der
       nächsten zehn Jahre soweit kommt, dass ein Mensch mit Hightechprothesen als
       ferngesteuerter Supersoldat eingesetzt werden kann. Fast ebenso gruselig
       ist, dass es in den USA 2028 laut diesem Film [1][keine Frauen] mit
       eigenständigem Charakter mehr zu geben scheint. In „RoboCop“ ist die
       Aufgabe der einzigen bedeutsamen Frauenrolle, ihren zur Maschine gewordenen
       Ehemann an seine Gefühle zu erinnern.
       
       ## „2030 Aufstand der Alten“ (Film, Deutschland, 2007)
       
       Worum geht’s? Deutschland 2027: Ein Drittel aller Rentner:innen lebt
       unterhalb der Armutsgrenze, häusliche Pflege gibt es nur noch für Reiche,
       das „freiwillige Frühableben“ wird von Krankenkassen bezahlt. In diesem
       ZDF-Dreiteiler verfrachtet ein Privatkonzern für die Bundesregierung Kranke
       und Alte nach Afrika. Dort werden sie in riesigen Bettenlagern über
       Schläuche ernährt und mit Medikamenten ruhiggestellt. Eine Journalistin und
       ein Mitglied der Protestgruppe „Zornige Alte“ versuchen, die Welt darauf
       aufmerksam zu machen.
       
       Wie realistisch ist das? Im Jahr 2030 werden in Deutschland 34 Prozent der
       Menschen 60 Jahre oder älter und jede/r Fünfte von ihnen von Altersarmut
       betroffen sein. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Alterung hat der
       Fernsehfilm also gar nicht so Unrecht. Bleibt nur zu hoffen, dass der
       Umgang mit den Alten unserer Gesellschaft anders aussieht als prophezeit.
       Den [2][Fachkräftemangel in der Pflege] endlich zu lösen, wäre ein guter
       Anfang.
       
       ## „Neue Mitte“ (Roman, Deutschland, 2011)
       
       Worum geht’s? In dem 2011 erschienenen Roman von Jochen Schimmang putscht
       2016 das Militär, wieder gibt es eine Diktatur in Deutschland, wieder sind
       es Alliierte, die diese Diktatur beenden – nicht die Bevölkerung selbst. In
       den nun leer stehenden Regierungsgebäuden siedelt sich eine linke,
       intellektuelle Avantgarde an. Sie nutzen die zweite „Stunde null“ im Jahr
       2026, um ihre Träume für ein Zusammenleben zu verwirklichen. Schimmang
       entwirft in „Neue Mitte“ eine Utopie, die erst durch das Vakuum, das die
       vorangegangene Katastrophe hinterlassen hat, möglich wird. Diese muss auch
       verteidigt werden, denn Überlebende der alten Elite, die versuchen wieder
       Fuß zu fassen, können ihr gefährlich werden.
       
       Wie realistisch ist das? Der Militärputsch und die darauf folgende Diktatur
       bleiben uns hoffentlich erspart. Um gesellschaftliche Utopien in Angriff zu
       nehmen, sollte man aber nicht auf eine neue Stunde null warten. Sondern am
       besten einfach damit anfangen.
       
       ## [3][„Hotel Artemis“] (Thriller, USA/GB, 2018)
       
       Worum geht’s? Mit Honolulu und Waikiki, zwei Bankräuber-Brüdern im Los
       Angeles des Jahres 2028, beginnt die Handlung. L.A. versinkt in
       Kriminalität, die Massen protestieren gegen die Regierung,
       bürgerkriegsähnliche Zustände auf den Straßen. Honolulu wird bei einem
       Überfall verletzt und sein Bruder bringt ihn in das Hotel Artemis, ein
       geheimes Krankenhaus für Kriminelle. Eine Krankenschwester versorgt hier
       verletzte Verbrecher:innen, unter anderem mit Organen aus 3D-Druckern. Die
       einzige Regel: Innerhalb des Krankenhauses darf nicht getötet werden. Einer
       der Patienten hält sich aber nicht daran.
       
       Wie realistisch ist das? Gewaltsame Proteste gegen die soziale
       Ungerechtigkeit sind jetzt nicht völlig aus der Luft gegriffen. Als gar
       nicht so unrealistisch gilt auch, dass [4][Organe irgendwann aus dem
       3D-Drucker] kommen könnten. Immerhin haben im April dieses Jahres Forscher
       aus Tel Aviv den [5][Prototyp eines menschlichen Herzens] in
       Miniaturversion gedruckt.
       
       ## „A Date in 2025“ (Kurzfilm, USA, 2017)
       
       Worum geht’s? In dem Kurzfilm von Ryan Turner werden amouröse Treffen im
       Jahr 2025 zu einem schier aussichtslosen Unterfangen. Der Student Daniel
       liegt an eine Menschenpuppe geschmiegt im Bett. Um die Stirn hat er ein
       Elektroband, das ihm eine Welt mit seiner Traumfrau vorgaukelt – bis der
       Wecker klingelt. Daniels Leben wird von einem KI-System geregelt, das
       ihm jeden Wunsch von den Lippen abliest. Seit 42 Tagen hat er sein
       Apartment nicht verlassen, ernährt sich ausschließlich von Pizza-Shakes
       und flieht in die digitale Traumwelt, so oft er kann. Schlafen, essen,
       masturbieren. Uniseminare finden nur noch im virtuellen Raum statt. Dort
       ist auch Amber, in die er verknallt ist, sich aber nicht traut, sie um ein
       Date zu bitten. Erst als ihm sein KI-System vorrechnet, dass er mit 78
       prozentiger Wahrscheinlichkeit Suizid begeht, wenn er sie nicht
       anspricht, entscheidet sich Daniel, zur Tat zu schreiten.
       
       Wie realistisch ist das? Durchaus möglich. [6][Einsamkeit ist heute schon
       ein großes Gesellschaftsphänomen]. Durch digitalen Eskapismus könnte sich
       das noch verschärfen. Würde dieses filmische Satirestück allerdings
       Wirklichkeit, hinge die Zukunft der Menschheit an einem seidenen Faden,
       weil die Sache mit der Fortpflanzung wirklich schwierig würde.
       
       ## „Soylent Green“ (Drama, USA, 1973)
       
       Worum geht’s? Wieder eine Dystopie, diesmal schon im Jahr 2022: Die Erde
       ist überbevölkert, allein in New York leben 40 Millionen Menschen, viele
       sind obdachlos. Die Ressourcen sind fast aufgebraucht. Die breite Masse
       ernährt sich deshalb von rotem und gelbem soylent (zusammengesetzt aus
       soy=soja und lent(il)=Linsen). Gerade ist das neue und überraschend leckere
       soylent green auf den Markt gekommen. Frisches Gemüse oder sogar Fleisch
       bleibt den Superreichen vorbehalten. Der Polizist Thorn und seine
       Assistentin Sol ermitteln im Mordfall an einem ehemaligen Mitglied der
       Soylent-Company. Und sie decken am Ende auf: „Soylent green is people“ –
       Soylent Grün ist Menschenfleisch.
       
       Wie realistisch ist das? Im November 2019 leben etwa 7,75 Milliarden
       Menschen auf der Erde. Die nächste Milliarde knacken wir wohl 2023. Die
       Bevölkerung von New York beträgt rund 8,6 Millionen. Nach den Ergebnissen
       der letzten Obdachlosenzählung leben über 62.000 Menschen in New York auf
       der Straße, die größte Zahl seit der Großen Depression. Die Probleme in
       „Soylent green“, der ein Jahr nach dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“
       des Club of Rome erschien, sind – wenn auch überzeichnet – sehr real. Auch
       Ressourcenknappheit wird in den 2020er-Jahren ein Thema sein. Bleibt nur zu
       hoffen, dass andere Lösungen gefunden werden, als Menschenfleisch zu essen.
       
       ## „Black Mirror – Das Leben als Spiel“ (Episode, USA, 2011)
       
       Worum geht’s? Die Netflix-Serie [7][„Black Mirror“] hat sich mit düsteren
       Zukunftsvisionen einen Namen gemacht. In Folge zwei der ersten Staffel wird
       eine Welt gezeigt, in der sich Menschen in grauen Sportanzügen täglich in
       einer Art Fitnesscenter auf Ergometern abmühen, um Energie zu erzeugen.
       Während des Radelns lassen sie sich von infantilen Unterhaltungssendungen
       und Pornos berieseln. Am beliebtesten ist die Castingshow „Hot Shots“, ein
       Singcontest, bei dem man einen Blick in die reale Außenwelt ergattern kann
       und währenddessen nicht radeln muss. Voraussetzung für die Teilnahme ist
       eine bestimmte Punktzahl, die man sich nur durchs Radeln erwerben kann.
       Bing, den das Strampeln anödet, fängt eine Romanze mit Abi an, von deren
       Singtalent er fasziniert ist. Er schenkt ihr seine Punkte, damit sie an der
       Castingshow teilnehmen kann.
       
       Wie realistisch ist das? Eher unwahrscheinlich, dass die Welt im kommenden
       Jahrzehnt ihr Energieproblem durch Radeln lösen wird. Aber vielleicht
       könnte man mit der Ergometer-Drohung den Ausbau der Erneuerbaren
       vorantreiben. Wer nicht ein paar Windräder in der näheren Umgebung seines
       Hauses akzeptieren will, muss als Kompensation jeden Tag mindestens fünf
       Stunden auf den Ergometer. Das könnte der Windrad-Debatte noch mal, nun ja,
       ganz neuen Schwung geben.
       
       31 Dec 2019
       
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