# taz.de -- Bündnis fürs Boxen: Weniger Kohle – besserer Sport
       
       > Um das Boxen wieder attraktiv zu machen, haben die Boxställe Universum
       > und Sauerland am Hamburger Fischmarkt einen gemeinsamen Wettkampf
       > veranstaltet.
       
 (IMG) Bild: Aus mehreren Gründen zufrieden über seinen schnellen Sieg: der Hamburger Artem Harutyunyan
       
       HAMBURG taz | „Dänisch müsste man können“, raunt Markus Schwer in tiefstem
       Schwäbisch, während neben ihm die Betreuer des Schwergewichtlers Kem
       Ljungquist ihren Schützling lautstark anfeuern. Seinen Job kann der Cutman
       auch ohne sprachliche Verständigung machen. Jeder Griff sitzt. Mit dem
       Pausengong balanciert er Sitzhocker und Wassereimer durch die Seile, seine
       eigenen zwei Meter hinterher und macht sich an die Körperpflege.
       
       Feinfühlig reibt er den Oberkörper des Kämpfers ab, trägt eine dünne
       Schicht Vaseline auf die Augenbrauen und erfrischt den Nacken mit einem
       Kühlpack. Die kleinen Wattestäbchen, mit denen die Mikro-Risse an den der
       Brauen verklebt werden, kommen bei Ljungquist kaum zum Einsatz – zu
       überlegen boxt er gegen den Ukrainer German Skobenko.
       
       „Hoffentlich leg ich mich nicht noch auf die Schnauze“, schwäbelt Schwer,
       als er über einen wackligen Plastikstuhl wieder den Boden erreicht. Er
       arbeitet hier, im „Work Your Champ“-Gym am Hamburger Fischmarkt, auf
       ungewohntem Terrain. Er ist als Cutman für das in Berlin ansässige Team
       Sauerland tätig, das heute erstmals mit dem hier beheimateten Hamburger
       Universum-Boxstall einen gemeinsamen Kampfabend veranstaltet. „Vereinte
       Kräfte“ heißt das Motto der Kooperation, die als eigentliche Sensation
       dieser Box-Gala in Szene gesetzt wird.
       
       Vor zehn Jahren hätte man von einer „Elefantenhochzeit“ sprechen können.
       Aber der Boxsport ist vom der Prime-Time-Event zum Randphänomen
       geschrumpft. Die großen [1][Fernsehanstalten stiegen aus], der Geldstrom
       versiegte, aktuell gibt es keinen deutschen Boxer in den Spitzenrängen der
       Weltranglisten.
       
       ## Wie ein Kostümfest
       
       Zu der Zeit, als die Klitschkos, die Rocchigianis, Axel Schulz oder Regina
       Halmich noch die großen Hallen füllten und die Patriarchen Klaus-Peter Kohl
       (Universum) und Wilfried Sauerland die Strippen zogen, wäre dieser
       gemeinsame Kampfabend in etwa so gewesen, als bäten die aus dem Drama Romeo
       und Julia bekannten Veroneser Familien Capulet und Montague gemeinsam zum
       Kostümfest.
       
       Einem Kostümfest gleicht natürlich auch heute die Szenerie am Ring – die
       boxtypische Mixtur aus Sportfans, Semiprominenz, Poser*innen und den
       Familien der Boxer aus zehn Ländern. Eine Glanz- und Glitzerwelt mit viel
       Aufstiegshoffnung, die den engen Raum gelassener und respektvoller
       miteinander teilt, als man es von manch bildungsbürgerlichem Kulturevent
       kennt.
       
       Selbst in der Chefreihe, wo die Sauerland-Söhne Kalle und Nisse sowie
       Universum-Boss Ismail Özen-Otto sitzen, gibt es permanentes Stühlerücken,
       wenn ein neuer Gast erscheint, dem Tribut zu zollen ist.
       
       Ex-Boxer Özen-Otto, der Schwiegersohn des Versandhaus-Chefs Michael Otto,
       ist angetreten, den 2013 in Konkurs gegangen Universum-Stall wieder zur
       Blüte zu bringen. Gegen das ramponierte Image des Boxens will er ein
       sauberes Boxen setzen. Ohne Absprachen über Kampfausgänge – dafür mit
       freiwilligen Dopingkontrollen. Das Fehlen großer Stars sieht er als Chance
       für „Kämpfe auf Augenhöhe“. Verbundenheit zur Basis demonstriert er durch
       das Projekt „Kampf deines Lebens“, das Jugendliche und Profis im Gym
       zusammenbringt.
       
       Zehn Kämpfe sind heute angesetzt, um mit vereinten Kräften den Sport wieder
       attraktiv für größere Fernsehsender zu machen. Heute überträgt der
       Spartenkanal Sport1 ab 21 Uhr die letzten vier Kämpfe. Die entspannte,
       sportlich geprägte Stimmung unter den 450 Zuschauer*innen zeigt, dass es
       dem Boxen ganz guttut, dass im Augenblick weniger Geld im Spiel ist.
       
       ## Jürgen Blin boxte gegen Muhammad Ali
       
       In einer der hinteren Reihen sitzen zwei junge Leute, die zufällig hier
       sind, weil sie über ihre Firma Karten bekommen haben. „Es ist fesselnd zu
       sehen, wie konzentriert und mit dem Herzen dabei die Boxer sind“, sagt Tim
       Kramer. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal fürs Boxen interessieren
       würde, aber das ist wirklich schön anzusehen“, meint Aylin Hornung.
       
       Ein paar Reihen weiter erzählt der 15-jährige Luciano, dass er seit einem
       Jahr selbst hier im Gym boxt und sich in den Sport verliebt hat. Als er
       sagt, dass sein großes Vorbild Muhammad Ali ist, weiß er nicht, dass ein
       paar Meter vor ihm Jürgen Blin sitzt, einer von nur zwei Deutschen, die
       gegen Ali gekämpft haben. Als der taz-Reporter beide bekannt macht, kommen
       sie ins Gespräch.
       
       Als Hauptkämpfer haben beide Ställe ihre aktuellen Nachwuchshoffnungen an
       den Start gebracht. Zuerst ist Lokalmatador Artem Harutyunyan im
       Super-Leichtgewicht gegen den Argentinier Miguel Cesario Antín dran. Der
       29-jährige Harutyunyan ist Bronzemedaillengewinner der Olympischen Spiele
       von Rio und kam als Kleinkind mit seinem Bruder Robert und den Eltern als
       Asylbewerber aus Armenien nach Hamburg.
       
       Nach verhaltenem Beginn dreht der technisch sauber boxende Harutyunyan in
       Runde drei plötzlich auf und schlägt seinen Gegner mit einer schnellen
       Kombination zu Boden. Eine Runde hält Antín noch durch, bevor seine Ecke
       ihn vorsorglich aus dem Kampf nimmt. „Ich habe mich schon in der ersten
       Runde am Daumen verletzt“, erklärt Harutyunyan nach dem Kampf sein
       plötzliches Eiltempo.
       
       ## Tod im Ring
       
       Die frühe Aufgabe seines angeschlagenen Gegners dürfte ihn auch aus einem
       anderen Grund beruhigt haben. „Es ist ein Riesenproblem, dass Ringrichter
       und Ringärzte Kämpfe zu lange laufen lassen“, hatte er im Sommer vorigen
       Jahres gesagt, nachdem ein anderer argentinischer Boxer, den er Mitte Juli
       in Hamburg besiegt hatte, fünf Wochen darauf trotz Schutzsperre wieder
       geboxt hatte und dabei [2][ums Leben gekommen] war.
       
       Kurz vor dem letzten Kampf des Abends nimmt Markus Schwer seinen Platz in
       der Ecke wieder ein. Diesmal kennt er den Boxer nicht nur, er schwärmt
       regelrecht von der Sauerland-Hoffnung Abass Baraou. „Da stimmt das
       Gesamtpaket“, sagt er über den im schwäbischen Aalen geborenen jungen Mann,
       dessen Familie aus Togo kommt. „Das isch kein Proll. Der boxt nicht nur
       gut, sondern benimmt sich auch anständig und gibt gute Interviews.“
       
       Obwohl sein Coach Ulli Wegner wegen eines Oberschenkelhalsbruches nicht
       dabei ist, geht der Superweltergewichtler selbstsicher und dynamisch in den
       Kampf, der ebenfalls schon nach der vierten Runde zu seinen Gunsten
       abgebrochen wird. Geschliffen, wie von Schwer prophezeit, analysiert Baraou
       den Kampf noch im Ring selbst.
       
       „Ich bin gut reingekommen und wollte den schnellen K. o.“, sagt er übers
       Hallenmikrofon. „Anschließend habe ich ein wenig cleverer geboxt und wollte
       es zunächst taktischer angehen lassen. Als er mich dann aber getroffen hat,
       war ich sauer und habe stark gekontert.“ Als Schwer unfallfrei über den
       klapprigen Stuhl wieder den Boden erreicht, blinzelt er listig und fragt:
       „Weischt jetzt, was ich meine?“
       
       26 Jan 2020
       
       ## LINKS
       
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