# taz.de -- Der Hausbesuch: Stammtisch ohne Gehabe
       
       > Bernhard Zanders hat in Hinsbeck einen Gentlemen's-Club gegründet.
       > Seither wird am Niederrhein echte Britishness zelebriert.
       
 (IMG) Bild: In der Mühle in Hinsbeck treffen sich die Gentlemen. Der mit Schärpe ist Bernhard Zanders
       
       Berhard Zanders ist Geigenbauer und Gründer eines Gentlemen’s Club. Zweimal
       im Monat diskutiert er mit seinen „Friends of British Royalty“ über Meghan
       und Harry, den Brexit oder die Energiewende in England. Die Regeln: Alkohol
       in Maßen, respektvoller Umgang und bloß kein Stammtischgehabe.
       
       Draußen: Der Feldweg ist matschig, es nieselt seit Tagen am Niederrhein.
       Kurz vor 18 Uhr ist in Hinsbeck, einem Ort ganz im Westen
       Nordrhein-Westfalens, die Sonne untergegangen, in der Ferne lässt sich nur
       noch die weiß gestrichene Mühle ausmachen. Bauer Reinhold Funken steht auf
       seinem Grundstück am Rande des Weges. „Ich komme auch gleich, ich bin der
       Butler“, ruft er, dreht sich um und geht leicht gebeugt zurück ins Haus. Er
       muss noch duschen, die Haare kämmen, den Frack anziehen und die weißen
       Handschuhe. Währenddessen fährt Bernhard Zanders auf den Parkplatz seiner
       Mühle, steigt aus und stöpselt seinen Smart in die Ladestation.
       
       Drinnen: Zanders läuft die Steinstufen zum Eingang hinauf und schließt auf.
       Dutzende Geigen hängen an der Decke der ersten Ebene, auf dem Boden liegen
       Häufchen aus Sägespänen. Zanders hat die Instrumente gebaut, in jedes
       einzelne Stück rund 120 Stunden Arbeit investiert, er braucht Ahorn für
       Hals, Boden und Zarge, Fichte für die Decke. Als Teenager merkte er, dass
       ihn die Zusammensetzung seiner Geige mehr interessierte, als selbst Klänge
       zu erzeugen. An diesem Montagabend geht Zanders die steilen Stufen zur
       zweiten Ebene hinauf. Die Werkstatt ist sein Reich, aber über ihm regiert
       die Queen.
       
       Standortvorteil: Die Mühle hat seine Frau geerbt. Mitte der 1990er Jahre
       sanieren Anne und Bernhard Zanders sie und richten im einstigen
       Kartoffelkeller einen Konzertsaal ein. Als Zanders sich mit der Geschichte
       des Bauwerks befasst, findet er heraus, dass der Elektronikhersteller Loewe
       Anfang der 1950er Jahre großes Interesse an dem Standort hatte. Da sich die
       Mühle auf dem höchsten Punkt zwischen London und Köln befindet, eignete sie
       sich damals sehr für eine Relaisstation. In Großbritannien stand nämlich
       ein Spektakel an, das auch in deutsche Wohnzimmer übertragen werden sollte:
       die Krönung der Elizabeth Alexandra Mary aus dem Hause Windsor im Juni
       1953. „Als ich das las, wurde mir klar, dass ich diese zweite Ebene, auf
       der sich die Relaisstation damals befand, nicht für den Geigenbau nutze“,
       sagt Bernhard Zanders, „sondern für etwas Urbritisches“.
       
       Gentlemen: Ungefähr zur selben Zeit, als Bernhard Zanders merkt, dass er
       Geigen lieber bauen würde, als darauf zu spielen, liest er Jules Vernes „In
       80 Tagen um die Welt“ und findet Gefallen am Umfeld der Hauptfigur Phileas
       Fogg. Der wohlhabende Brite verkehrt in einem Gentlemen’s Club. Die Eleganz
       der Hauptfigur, „seine Ruhe, sein Understatement“, imponiert Zanders. Er
       mag, wie kultiviert die Männer sind, wie tiefgründig sie diskutieren.
       Zanders erinnert sich an Phileas Fogg, während er die zweite Ebene der
       Mühle saniert. Zum Schluss hängt er ein Porträt der Queen dort auf und
       fragt Freunde aus dem Ort, ob sie Gentlemen werden wollen.
       
       Die Glocke: Eine Handvoll von ihnen will. Alle zwei Wochen montags ist von
       nun Clubabend, 1995 findet zum ersten Mal einer statt. Die Männer legen
       fest, was der Club sein soll, und werden sich schnell einig: Ein
       Gegenentwurf zur Stammtischkultur. Mit Gesprächsthemen, die vorbereitet
       sind, Alkohol, der in Maßen konsumiert werden darf, und Diskussionen, bei
       denen Emotionen keine große Rolle spielen sollen. Droht eine
       Auseinandersetzung zu hitzig zu werden, bimmelt Zanders mit der
       Charles-und-Diana-Glocke.
       
       Gesprächskultur: „Wir wollen nicht so tun, als seien wir ein elitärer
       Haufen“, sagt Mitglied Bastian Rütte. Er ist Theologe und mit 39 Jahren der
       jüngste Gentleman. „Aber wir tun uns und der Sache keinen Gefallen, wenn
       wir nur daherlabern.“ Von einem richtigen Londoner Gentleman, einem
       ehemaligen Mitarbeiter der Royal Air Force, der in den Neunzigern auf einem
       Militärflughafen in der Nähe von Hinsbeck stationiert war, ließen sie sich
       erklären, worauf es ankommt: nichts Berufliches besprechen, keine Geschäfte
       machen und Privates nur anreißen. „Ich erzähl hier zum Beispiel nicht, wie
       problematisch meine Kinder diese Woche waren“, sagt Rütte, „nehme
       Erfahrungen, die ich unmittelbar gemacht habe, aber zum Anlass, ein
       bisschen zu abstrahieren.“ Wie gut läuft eigentlich die Kleinkindbetreuung
       in Nordrhein-Westfalen und wie machen die Briten das? Wer eine Meinung
       vertritt, nur um eine Meinung zu vertreten, wird schnell entlarvt.
       
       Der Vereinsbaum: Generell funktioniere das mit der Emotionslosigkeit ganz
       gut, sagen die Gentlemen, nur eine Sache habe sie ein bisschen aus dem
       Konzept gebracht: Jede Kegelbruderschaft, jeder Schützenverein hängt mit
       eigenem Wappen am Hinsbecker Vereinsbaum. Doch weil der Gentlemen’s Club
       keine niederrheinische Tradition ist, weigerte sich das Rathaus, ihr Wappen
       dazuzuhängen. „Leute im Ort haben uns vorgeworfen, dass das kompletter
       Blödsinn sei, mit Melone und Schärpe als England-Fans durch die Gegend zu
       laufen“, sagt Bernhard Zanders. „Aber als Schützenbruderschaft 350
       Kilometer von der Küste entfernt in Marineuniform auf Holzvögel zu schießen
       ist nicht bekloppt, oder?“ Der Club lud den WDR ein und bestellte einen
       Dudelsackspieler, der so lange vor dem Rathaus dudelte, bis ihr Antrag
       bearbeitet wurde. Inzwischen hängt das Wappen und für die HinsbeckerInnen
       richten die Friends of British Royalty Feiern aus, zum Geburtstag der Queen
       und zum Thronjubiläum.
       
       Frauen: Nein, sie wollen niemanden ausgrenzen und keine „männerbündischen
       Seilschaften“ pflegen – trotzdem haben Frauen im Clubraum nichts zu suchen.
       „Es gibt tolle Lady’s Clubs, in Düsseldorf zum Beispiel, mit denen stehen
       wir in regem Austausch“, sagt Zanders. Sie seien nun mal Gentlemen und
       blieben unter sich. Über ihre eigenen Ehen schweigen sie, nur die in der
       Königsfamilie sind regelmäßig Thema.
       
       Megxit und Brexit: „Für Meghan und Harry haben wir viel Sympathie“, sagt
       Bernhard Zanders. Dass sich die beiden von ihren royalen Pflichten
       befreiten, sei eine zeitgemäße Entwicklung. Wie die Boulevardpresse mit
       Meghan umgegangen sei, „das war unter der Gürtellinie hoch zehn“. Der
       Brexit hingegen, „für uns Europäer eine Katastrophe“. Nicht nur die Briten,
       die ganze Welt kranke an nationalstaatlichem Denken. Ihre Verbindungen zum
       Vereinigten Königreich wollen sie gerade deswegen nicht kappen. Sie alle
       sind seit wenigen Jahren Grundbesitzer in Schottland, kauften sich für ein
       paar Pounds je einen Quadratmeter Boden und dürfen sich seitdem Lairds of
       Glencairn nennen. Laird – Gutsherr.
       
       Begegnungen: Die nächste Reise ins Land steht sowieso immer bevor, auch
       wenn die Liebe – auf Regierungsebene – einseitig erscheinen mag. Die
       Begegnungen mit den Menschen in London, Dover, Nutfield oder sonst wo seien
       aber jedes Mal warmherzig und von aufrichtigem Interesse. Irritiert seien
       die Leute zwar angesichts der aufgebrezelten Deutschen mit Schärpe und
       Melone, „aber dann wollen sie Fotos mit uns machen, sogar in der Times
       waren wir schon“. Den ehemaligen Bischof von Canterbury trafen sie mal auf
       der Straße und luden ihn zur Tea Party ein. „Zurückgemeldet hat er sich
       noch nicht. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf.“
       
       21 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leonie Gubela
       
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