# taz.de -- Häusliche Gewalt in Bremen: Für den Senat kein Thema
       
       > Bremen tue zu wenig gegen häusliche Gewalt, sagt Ralf Hillebrandt-Tasmim
       > vom Verein Neue Wege, der mit Menschen in gewalttätigen Beziehungen
       > arbeitet.
       
 (IMG) Bild: Zu oft werden Betroffene von häuslicher Gewalt alleine gelassen
       
       BREMEN taz | Mitarbeiter*innen von sozialen Einrichtungen sind häufig
       unzufrieden über die finanzielle Ausstattung durch die Stadt – oder die
       Geschwindigkeit, mit der Politik und Verwaltung Entscheidungen treffen.
       Aber Ralf Hillebrandt-Tasmim klingt richtig deprimiert, wenn er aufzählt,
       was in Bremen aus seiner Sicht [1][zu wenig gegen häusliche Gewalt getan
       wird].
       
       Der Psychotherapeut arbeitet beim Verein Neue Wege mit Menschen, die ihren
       Partner*innen Gewalt antun – fast immer sind es Männer – und denen, die
       diese Gewalt abbekommen – fast immer sind es Frauen. „Die Gründer*innen des
       Vereins wollten damals nicht hinnehmen, dass so viele Strafverfahren gegen
       die Täter eingestellt wurden – doch daran hat sich im Grunde nichts
       geändert“, sagt er.
       
       Hillebrandt-Tasmim nennt dafür zwei Hauptursachen: Die Staatsanwaltschaft
       sei überarbeitet, dadurch dauere es sehr lange, bis Anklage erhoben werde.
       „Viele Frauen ziehen in dieser Wartezeit ihre Anzeige zurück“, bis der Mann
       das nächste Mal zuschlägt – oder schlimmeres. Andererseits zögen viele
       Frauen die Anzeigen auch deshalb zurück, weil sie nicht ausreichend
       unterstützt würden. „Oft wird ihre Not gar nicht wahrgenommen.“
       
       Das spiegele sich darin wider, dass die Staatsanwaltschaft viele Fälle an
       den Täter-Opfer-Ausgleich, also eine außergerichtliche Einigung,
       vermittele. [2][2015 gab es nach Auskunft des Senats 73 solcher Verfahren],
       2017 noch 49. Dieses Vorgehen sei bei häuslicher Gewalt selten angemessen,
       sagt Hillebrandt-Tasmim. „Das geht nicht, wenn man Angst vor dem Täter hat
       und mit ihm in enger Beziehung lebt.“ Es reiche nicht, wenn jemand
       schriftlich erkläre, keine Gewalt mehr ausüben zu wollen. Die
       Wiederholungsgefahr sei hoch. „Die wenigsten Täter wollen Gewalt ausüben,
       aber sie müssen erst lernen, wie sie das stoppen können“, sagt der
       Psychotherapeut.
       
       Er erlebe in der Beratung, dass die Opfer so gestärkt werden können, dass
       sie sich aus gewalttätigen Beziehungen lösen und auch Anzeigen aufrecht
       erhalten können. Außerdem würden manche Täter ihr Verhalten ändern. „Wir
       wissen, dass Beratung und Therapie wirken“, sagt Hillebrandt-Tasmim.
       
       Deswegen sind der Therapeut und seine Teamkolleg*innen so frustriert, dass
       diejenigen, die Hilfe brauchen, oft gar nicht bei ihnen ankommen. Dabei hat
       die Stadt Bremen Neue Wege vor sieben Jahren zur Interventionsstelle
       Häusliche Gewalt ernannt. In anderen Kommunen, darunter auch Bremerhaven,
       bedeutet das: Die Polizei gibt nach entsprechenden Einsätzen die Daten an
       die jeweilige Interventionsstelle weiter, die meldet sich daraufhin bei den
       Betroffenen und bietet Hilfe an.
       
       In Bremen geht das aus Datenschutzgründen nicht. Hier müssen sich
       Polizist*innen während des Einsatzes eine Einverständniserklärung
       unterschreiben lassen, die besagt, dass die Daten weitergegeben werden
       dürfen. Zwischen 2013 und 2017 hatten diese 20 Personen unterschrieben –
       bei jährlich rund 1.800 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt.
       Hillebrandt-Tasmim wundert das gar nicht. „Das kann nicht funktionieren“,
       sagt er, „die Leute befinden sich in einer Ausnahmesituation, die haben
       dabei gar keinen Kopf, sich damit zu beschäftigen.“
       
       Die neue rot-grün-rote Regierung hat sich nun vorgenommen, das Bremer
       Polizeigesetz zu ändern und dabei auch die Datenweitergabe nach häuslicher
       Gewalt zu ermöglichen. Das war in der letzten rot-grünen Regierung an
       Unstimmigkeiten zwischen den Regierungsparteien gescheitert. Einen
       Zeitplan, wann das so weit sein wird, gibt es nicht. Das Innenressort
       arbeite daran, sagt dessen Sprecherin. Der innenpolitische Sprecher der
       SPD-Fraktion, Kevin Lenkeit, sagt, das Gesetz befinde sich „in
       koalitionärer Abstimmung“. Sein grüner Kollege Björn Fecker sagt dasselbe.
       
       Sollten die Daten im Zuge der Gesetzesänderung tatsächlich an Neue Wege
       weitergegeben werden dürfen, müsste allerdings schon jetzt mehr Geld für
       den Verein im noch nicht verabschiedeten Haushalt eingeplant werden. Denn
       dann würden Hillebrandt-Tasmim und seine Kolleg*innen, mit denen er sich
       zwei Vollzeitstellen teilt, deutlich mehr Leute anschreiben müssen als
       jetzt. Dafür hätten sie derzeit keine Zeit, sagt er. Und Gesprächstermine
       könnten sie auch keine anbieten.
       
       Zuständig für die Männergewalt ist in Bremen das Frauenressort.
       Hillebrandt-Tasmim kann das nicht verstehen. Andere Ressorts wie Justiz
       oder Inneres, sagt er, müssten ein ureigenes Interesse an der Unterstützung
       der Beratungsstelle haben, denn „die Folgekosten von häuslicher Gewalt sind
       enorm“. Eine [3][Studie aus dem Jahr 2017 kommt zu dem Ergebnis], dass
       häusliche Gewalt in Deutschland jährlich 3,8 Milliarden Euro kostet. Darin
       eingerechnet sind die direkten Kosten für medizinische Versorgung,
       Polizeieinsätze, Gerichte, aber auch Ausgaben für die Opfer wegen
       langfristiger Folgen.
       
       ## Beratung für Kinder kommt
       
       Immerhin verspricht der Senat, dass jetzt [4][die vor anderthalb Jahren von
       der Bürgerschaft beschlossene Beratung] für von häuslicher Gewalt
       betroffene Kinder und Jugendliche kommen soll. „Die Ausschreibung wird
       vorbereitet“, sagt ein Sprecher der Sozialsenatorin. Bisher gibt es in
       Bremen kein systematisches Arbeiten mit Kindern, die Gewalt zwischen ihren
       Eltern erleben müssen. Zu diesem Ergebnis war 2019 das Institut für
       Polizeiforschung an der Hochschule Bremen gekommen. Es hatte für eine
       Studie unter anderem Akten der Staatsanwaltschaft ausgewertet. Das
       Ergebnis: Aus Polizeiakten zu Vorfällen häuslicher Gewalt wird oft nicht
       einmal klar, ob überhaupt Kinder in der Wohnung waren.
       
       Die Beratungsstelle ist auch eine alte Forderung des Vereins Neue Wege.
       „Wir wissen, dass ganz oft Kinder in diesen Haushalten leben, wir wissen,
       was sie durchmachen und dass ihnen niemand hilft“, sagt Hillebrandt-Tasmim.
       Das wiederum führe dazu, dass die Gewalt von den Eltern an die Kinder
       weiter „vererbt“ werde. „Fast alle, die zu uns kommen, haben als Kinder
       selbst Gewalt erlebt“, erzählt der Psychotherapeut. „Die Erlebnisse kommen
       wieder hoch, wenn sie selbst Kinder haben.“ Der beste Weg, diesen Kindern
       zu helfen, sei: verhindern, dass die Eltern gewalttätig werden.
       
       Ein Sprecher der Frauensenatorin sagt, noch in diesem Jahr solle eine
       Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher
       Gewalt eingerichtet werden.
       
       28 Feb 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Beratungsstelle-fuer-Beziehungsgewalt-ueberlastet/!5409451
 (DIR) [2] https://www.bremische-buergerschaft.de/dokumente/wp19/land/drucksache/D19L1988.pdf
 (DIR) [3] https://www.b-tu.de/news/artikel/13210-kosten-haeuslicher-gewalt-in-deutschland
 (DIR) [4] https://paris.bremische-buergerschaft.de/starweb/paris/servlet.starweb?path=paris%2FLISSHFL.web&format=LISSH_MoreDokument_Report&search=WP=19+AND+DNR=1577+AND+DART=d
       
       ## AUTOREN
       
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