# taz.de -- Auftakt Talkreihe „On Music“ HKW Berlin: Navigationshilfe im Dschungel
       
       > Mit einem kuratierten Abend des Schweizer Webmags „Norient“ begann die
       > Reihe „On Music: Life after Music Magazines“ im Berliner HKW.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus der Snapcollage „Digitally famous and real life broke“ von Flor de Fuego
       
       Runterscrollen, liken, bookmarken. Nachdenken über Musik im digitalen
       Zeitalter ist grenzenlos, das wird zumindest suggeriert. Aber die
       Vernetzung verlangt technisches Know-how und Zeit: Snippets hören, Mails
       checken und Texte lesen, das ist normal geworden. Von Usern wird nicht nur
       mehr Medienkompetenz verlangt, sondern auch viel Zeit, zum Update sollen
       sie am besten standby bleiben.
       
       Die neue Reihe „On Music: Life after Music Magazines“, die die nächsten
       Monate jeweils am ersten Donnerstag im Haus der Kulturen der Kulturen Welt
       stattfindet, hat sich vorgenommen, das endlose Nebeneinander der virtuellen
       Welt in Panels, Konzerten und Installationen offline abzubilden. Gibt es
       ein Leben nach dem Ende der Musikmedien? Der Behauptung, dass die
       Musikberichterstattung hierzulande durch Einstellung von gleich mehreren
       Fachmagazinen an Relevanz eingebüßt habe, setzt das HKW einen
       international ausgerichteten Diskurs entgegen. Zum Auftakt am Donnerstag
       durfte der Schweizer Thinktank [1][„Norient“] das Haus übernehmen.
       
       Norient wurde 2002 in Bern von dem Musikjournalisten Thomas Burkhalter als
       Do-it-yourself-Webmag gestartet. Nach und nach entwickelte sich seine Idee
       zur funktionierenden Plattform, inzwischen hat Norient verschiedene Zweige:
       Filme, Forschungsarbeiten, Blog, Internetradio.
       
       Dank Crowdfundingkampagne will die Plattform ihre Beitragenden nun
       entlohnen. Im Restaurant des HKW waren zur Einstimmung sogenannte
       Snapcollagen, hyperschnelle A:V-Filme auf Bildschirmen zu sehen,
       zusammengestellt von 50 Beitragenden des Netzwerks: In rascher Folge
       purzeln Konsumkritik, Existenzialismus, Cyborgwesen, Hochhäuser, urbane
       Wüsten und Bedroomproduzent:innen durchs Bild. Zu Beats und Loops auf der
       Tonspur blinken Slogans auf wie: „Bodies can be elastic and expansive and
       so can the space around us“. Die Überwältigungstaktik funktioniert.
       
       ## Entschleunigung auf Augenhöhe
       
       Burkhalter meldete sich per Videobotschaft aus Nairobi, er sehe „Norient“
       als Navigationshilfe im Onlinedschungel. Gut, dass die Keynotesprecherin
       vor Ort war, denn sie sagte, Kommunikation ist leichter, wenn man sich Auge
       in Auge gegenübersteht. Die Senegalesin Jenny Fatou M’Baye trug in ihrem
       konzentrierten Vortrag angenehm zur Entschleunigung bei. Sie ist
       Kulturanthropologin an der City University London und sprach davon, dass
       aktueller Musikdiskurs lose Punkte verbinden müsse, um erfolgreich zu sein:
       Für den Musikdiskurs bedeutet dies mehr interdisziplinares Arbeiten. Als
       gelungenes Beispiel führte sie das Londoner Internetradio [2][NTS] an, zu
       dem Menschen aus aller Welt beitragen.
       
       Offline ist die Kollaboration schwieriger. Anschaulich wurde es, als Fatou
       M’Baye erwähnte, dass Afrikaner:innen mit gültigem Pass Zugang zu rund 50
       Ländern gewährt würde, während Menschen aus der westlichen Welt Zugang zu
       170 Ländern hätten. „Grenzen sind für viele mörderisch.“ Die sich
       anschließende Paneldiskussion war mit dem pakistanischen YouTube-Star Ali
       Gul Pir, der ägyptischen Kuratorin Kamila Metwaly, dem südafrikanischen
       Filmemacher Brian Little und Fatou M’Baye divers besetzt.
       
       ## Kein Visum für Blogger
       
       Es fehlte der Blogger Faisal Khan aus Bangladesh, der kein Visum bekam. Gul
       Pir erzählte, wie schwierig es auch für ihn war, bis er das Visum hatte.
       Trotz 500.000 Followers in seiner Heimat konnte er nicht alle behördlichen
       Zweifel wegen seiner Reise nach Deutschland ausräumen.
       
       Seine Satirebeiträge und Musikvideos sind in Pakistan berühmt. Er leistet
       aufklärerische Arbeit, wendet sich aktiv gegen Zensur. Einer seiner Clips,
       „Der glotzende Mann“ machte Furore: Er zeigt, wie Frauen, die allein in der
       Öffentlichkeit unterwegs sind, von Männern belästigt werden. Der Durchbruch
       kam, als Musikjournalisten über das Video berichteten. Auch nach dem Ende
       von Musikmagazinen geht das Leben weiter.
       
       9 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Experimentelle-Musik-im-Museum/!5274033
 (DIR) [2] https://www.nts.live/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Magazin
 (DIR) Diskurs
 (DIR) Global Pop
 (DIR) Radio
 (DIR) taz Plan
 (DIR) AUDINT
 (DIR) Afrika
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) WDR kürzt bei Musiksendungen: Cosmo ohne „Soundcheck“
       
       Die WDR-Welle Cosmo verschiebt ihr interkulturelles Programm ins Digitale.
       Mitarbeiter*innen kritisieren die interne Kommunikation.
       
 (DIR) Sommerliches Festival made in Berlin: Bewegung im Stillstand
       
       Anstelle der „Wassermusik“ bringt das HKW in diesem Jahr mit „20 Sunsets“
       Künstler*innen aus Berlin zusammen. Das Programm kann sich sehen lassen.
       
 (DIR) Spekulatives Buch zum Thema Sound: Lärm der Maschinen
       
       Musikbuch der Stunde: Der Sammelband „Unsound : Undead“, herausgegeben vom
       Thinktank Audint, erweitert den Begriff Klang um seine dunklen Stellen.
       
 (DIR) Experte über historische Tonaufnahmen: „Das sind Dokumente des Alltags“
       
       US-Musikethnologe Radano hat historische Tonaufnahmen aus Afrika im
       Phonographischen Archiv Berlin untersucht – mit erstaunlichem Ergebnis.