# taz.de -- Wirtschaftskrise im Libanon: Erdgas soll Beirut helfen
       
       > Der Libanon sucht nach Wegen aus der Krise. Im Meer wurde Erdgas
       > entdeckt, ein neues Bohrschiff soll das Land aus der Krise führen.
       
 (IMG) Bild: „Inmitten der Dunkelheit wird sich eine große Lichtluke öffnen“, verspricht Premier Hassan Diab
       
       BEIRUT taz | Auf Twitter hat die libanesische Öl- und Gasexpertin Laury
       Haytayan ein Video hochgeladen: Es zeigt sie auf einem Schlauchboot im
       Mittelmeer vor dem Ölbohrschiff „Tungsten Explorer“. Freudig reißt Haytayan
       ihre Arme in die Luft und erklärt: „Endlich sind wir in der Nähe des
       Erdbohrers. Er existiert wirklich. Wir sind hier in Block 4, im Libanon, in
       Beirut. Wir haben so lange darüber gesprochen, endlich ist er hier.“
       
       Eigentlich gibt es derzeit keinen Anlass zur Freude. Der [1][Libanon steckt
       nicht nur in einer politischen Krise], sondern auch in der schwersten
       Wirtschaftskrise seit Ende des Bürgerkriegs vor dreißig Jahren. Deshalb
       kommen der Staatsführung positive Nachrichten wie gerufen.
       
       Feierlich präsentierte Präsident Michel Aoun gemeinsam mit Regierungschef
       Hassan Diab vergangene Woche das Erdöl- und Gasbohrschiff im Mittelmeer,
       dreißig Kilometer vor der libanesischen Küste. „Inmitten der Dunkelheit
       wird sich heute eine große Lichtluke öffnen, die darauf hoffen lässt, die
       schwere Wirtschaftskrise zu überwinden“, sagte der Regierungschef. „Es ist
       ein historischer Tag, an dem wir anfangen, im Meer zu bohren, um den
       Libanon in ein Ölland zu verwandeln.“
       
       Die Staatsschulden des Libanon betragen knapp 80 Milliarden Euro, etwa 150
       Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist er eines der am höchsten
       verschuldeten Länder der Welt. Die Staatswährung verliert an Wert und die
       Libanes*innen können nur noch sporadisch Geld abheben, viele Geschäfte
       mussten schließen, Tausende Menschen wurden entlassen.
       
       Zur wirtschaftlichen kommt die politische Krise hinzu. Am Montag sagte
       Diab: „Dieser Staat ist nicht mehr in der Lage, die Libanesen zu schützen.“
       Daraufhin versammelten sich erneut Demonstrant*innen in Beirut, um Straßen
       zu blockieren. Seit vier Monaten schon gehen sie gegen die korrupte
       Regierung und ihr Missmanagement auf die Straße. Im Oktober führten die
       Proteste zum Rücktritt von Ex-Ministerpräsident Saad Hariri. [2][Diab ist
       seit vergangenem Monat im Amt], doch die Menschen vertrauen seinem
       Kabinett, das eng mit der alten Elite verbandelt ist, nicht. „Diese
       Regierung hat das Vertrauen der Menschen verloren“, gab selbst Diab am
       Montag zu.
       
       Können Öl- und Gas dem Libanon aus der Krise helfen? „Ich freue mich, weil
       endlich etwas passiert“, erklärt Haytayan der taz. Sie ist Expertin für den
       Öl- und Gassektor und Direktorin des Instituts zur Steuerung natürlicher
       Ressourcen (NRGI), das unter anderem die libanesische Regierung berät.
       „2013 sollten wir die erste Erkundung haben, aber damals hatten wir keine
       Regierung. Endlich ist das Bohrschiff angekommen. Das könnte den Libanon
       auf den richtigen Weg bringen, ein Öl- oder Gasförderland zu werden.“
       
       Haytayan hofft, dass Gas zur Stromproduktion genutzt werden kann. Im
       Libanon sind gelenkte Stromausfälle von bis zu zwölf Stunden an der
       Tagesordnung. Um durchgängig Strom zu liefern, bräuchte es allerdings auch
       eine Umrüstung auf Kraftwerke, die das Gas auch in Strom verwandeln können.
       Doch für neue Infrastruktur fehlt das Geld; der Elektrizitätssektor weist
       ein jährliches Defizit von mehr als 1,5 Milliarden Euro auf.
       
       Und nicht nur im Elektrizitätssektor braucht es Reformen. Das merken
       internationale Geldgeber an, die 2018 noch Finanzhilfen im Wert von rund 9
       Milliarden Euro versprochen hatten – vorausgesetzt, die Regierung
       reformiert ihre Wirtschaft. Hinzu kommt, dass Libanons Kreditwürdigkeit
       fraglich ist. Am Montag wird die Rückzahlung von Eurobonds im Wert von 1,1
       Milliarden Euro fällig. Sollten die Schulden nicht getilgt werden, wird es
       schwer, an Geld aus dem Ausland zu kommen. Das wird aber benötigt, denn das
       Land ist auf Importe von Medikamenten, Nahrungsmitteln und Benzin
       angewiesen.
       
       „Ohne Reformen der Wirtschaft helfen Öl und Gas nichts“, gibt auch Haytayan
       zu. Trotz ihrer Euphorie sieht sie Öl und Gas nicht als Allheilmittel für
       die Krise. „Es ist unklar, wie die möglichen Gewinne genutzt werden sollen.
       Bei der großen Korruption im Land ist die größte Sorge der Menschen, dass
       Politiker und ihre Freunde das Geld in die Hände bekommen und unter sich
       aufteilen.“
       
       5 Mar 2020
       
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