# taz.de -- Studieren in Zeiten von Corona: Kontaktlos bitte
       
       > Zum Sommersemester wollen die Unis in Deutschland Vorlesungen und
       > Seminare möglichst digital anbieten. Es gibt aber noch ganz andere
       > Probleme.
       
 (IMG) Bild: Können wir das auch? Ein Professor der Universität Mailand nimmt seine Vorlesung auf
       
       BERLIN taz | Eigentlich sollte Tobias Stutz in diesen Tagen in einem
       Forschungslabor in München stehen, doch stattdessen sitzt der 23-Jährige in
       seinem alten Kinderzimmer in einem Reihenhaus in einer hessischen
       Kleinstadt. Tobias Stutz, Chemieingenieur-Student der TU München,
       untersucht für seine Bachelorarbeit verschiedene Brennstoffe in der
       Biomasseverbrennung auf ihre Energieeffizienz. Abgabefrist ist der 8.
       April.
       
       Das Problem: Aufgrund der [1][Corona-Pandemie] musste die Universität
       vorletzte Woche sämtliche Gebäude schließen – darunter auch die Laborräume.
       So wie Stutz geht es vielen Studierenden und Lehrenden an den
       Universitäten, deren Alltag von den umfassenden Maßnahmen zur Eindämmung
       des Virus durcheinandergewirbelt wurde.
       
       In ganz Deutschland laufen Hochschulen im Notbetrieb, schließen
       Bibliotheken, werden Prüfungen abgesagt und Abgabefristen verschoben. Der
       Start des Sommersemesters wurde vielerorts um eine Woche [2][auf den 20.
       April verlegt] – bei vielen Fachhochschulen ist das sogar ein ganzer Monat
       später als geplant.
       
       Wie bereiten sich die Hochschulen nun auf den Semesterstart vor? Wie genau
       der Universitätsbetrieb in den nächsten Monaten aussehen wird, weiß
       niemand. Klar ist nur: Das Studium wird digitaler. Viele Hochschulen haben
       bereits angekündigt, die Präsenzveranstaltungen [3][möglichst durch
       elektronische ersetzen] zu wollen. Viele andere Fragen sind aber noch
       offen.
       
       ## Nebenjob futsch, was nun?
       
       Fünf, sechs Arbeitstage hätten ihm noch für die letzten Versuche gefehlt,
       erzählt Stutz, der von Anfang Januar bis zum Beginn der Corona-Pandemie
       fast pausenlos im Labor stand. Er fange derzeit zwar bereits mit der
       Auswertung an, „aber das bringt mir nicht viel, wenn der wichtigste Teil
       der Untersuchung unvollständig ist“, erklärt er. Ein Antrag auf
       Verlängerung beim Prüfungsamt soll ihm nun etwas Luft verschaffen. Ob Stutz
       wie geplant im Sommer die letzten Klausuren schreiben und sich dann auf
       einen Masterplatz bewerben kann, ist nun unklar.
       
       Doch die Coronakrise torpediert nicht nur seine Studienpläne: Stutz jobbt
       in der Gastronomie, [4][um sich sein Studium zu finanzieren]. Laut der
       aktuellen Sozialerhebung des Studierendenwerks haben mehr als zwei Drittel
       der Studierenden einen Nebenjob. Mit der Schließung der Restaurants bricht
       Stutz sein monatlicher Verdienst weg. Das [5][Kurzarbeitergeld] greift bei
       der geringfügigen Beschäftigung nicht. Daher ist der Student vorübergehend
       zurück zu seinen Eltern gezogen.
       
       Dass die Coronakrise bestimmte Statusgruppen an den Universitäten stark
       belastet, befürchtet auch Andrea Geier. Die Professorin für
       Literaturwissenschaft an der Universität Trier hat vor einer Woche
       gemeinsam mit Paula-Irene Villa Braslavsky von der
       Ludwig-Maximilians-Universität München und Ruth Mayer von der Leibniz
       Universität Hannover [6][einen offenen Brief] veröffentlicht. Darin rufen
       die drei Professorinnen und die inzwischen über 9.000 Unterzeichner*innen
       dazu auf, dass das kommende Sommersemester ein „Nicht-Semester“ werden
       solle. Die Forderung: Die Lehre soll stattfinden, aber das Semester nicht
       formal zählen. Das soll unter anderem erwerbstätige Studierende entlasten.
       
       GEW-Hochschulexperte und Gewerkschaftsvize Andreas Keller erkennt noch ein
       weiteres Problem: Die Hochschulen seien nicht auf eine flächendeckende
       Umstellung ihrer Lehre auf ein Fernstudium eingestellt: „Dafür sind weder
       die Lehrenden ausreichend qualifiziert noch gibt es eine dafür geeignete
       digitale Infrastruktur“, so Keller.
       
       ## Kreativität gefragt
       
       Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Peter-André Alt ist sich
       hingegen sicher, dass der Studienbetrieb mithilfe digitaler Angebote
       „zumindest in großen Teilen“ aufrechterhalten werden könne. Alt lehnt den
       Begriff des „Nicht-Semesters“ ab, auch wenn er die Idee dahinter teile.
       Niemandem dürften aus der aktuellen Ausnahmesituation Nachteile entstehen,
       so der HRK-Präsident.
       
       Eine Nichtanrechnung des Semesters auf die Regelstudienzeit etwa beim BAföG
       oder die Verschiebung von Prüfungszeitpunkten könne da helfen. Zur
       Zusatzbelastung für die ohnehin [7][oftmals prekär Beschäftigten in der
       Lehre] sagt der HRK-Präsident nichts. Vielmehr fordert er das Lehrpersonal
       dazu auf, „diese Herausforderungen anzunehmen und auf kreative Weise Lehre
       in unterschiedlichen Formaten durchzuführen“.
       
       Ob und wie gut das gelingen kann, sei von Seminar zu Seminar
       unterschiedlich, sagt Andrea Geier. Von ihren fünf Veranstaltungen im
       Sommer werde sie neben der Vorlesung drei Seminare „größtenteils ganz gut“
       digital umsetzen können, erzählt die Literaturwissenschaftsprofessorin. „Es
       wird viel mehr über schriftliche Arbeiten als über den mündlichen Austausch
       gehen.“ Ihr Kolloquium dagegen müsse ganz neu geplant werden und werde in
       Absprache mit den Studierenden, wie und was man gemeinsam arbeiten kann,
       vermutlich etwas später starten.
       
       Doch auch Banalitäten können in diesen Krisentagen den Lehrbetrieb
       herausfordern: „Ich stehe bei einem Seminar tatsächlich vor dem großen
       Problem, dass alle meine Bücher und Unterlagen dafür nicht an dem Ort sind,
       wo ich sie gerade brauche“, erzählt Geier.
       
       ## Es kommt auf das Studienfach an
       
       Wie leicht die Umstellung auf digital fällt, hängt auch von der
       Studienrichtung ab: „Eine physische Bibliothek braucht man in meinem
       Fachbereich gar nicht mehr unbedingt“, stellt etwa Felix Grün fest.
       Schließlich seien die meisten wissenschaftlichen Arbeiten als E-Paper
       zugänglich. Felix Grün, 30, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am
       Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft der TU Berlin, wo er zum
       Thema Entscheidungsfindung promoviert.
       
       Im Homeoffice bereitet Grün sein Seminar für das kommende Semester vor. Mit
       kleinen Video- und Audiobotschaften sowie virtuellen Gruppenaufgaben möchte
       der Dozent das Lehrangebot digital aufrechterhalten. Auch die Prüfung in
       Form eines Portfolios aus verschiedenen Prüfungsleistungen sei digital
       problemlos möglich. Trotz aller Schwierigkeiten überwiegen für Grün die
       Chancen durch den erzwungenen [8][Digitalisierungsschub]: „Die Studierenden
       können ihre digitalen Kompetenzen schulen und zum Beispiel das Halten eines
       Referats über Videokonferenz üben.“
       
       Ähnlich optimistisch gibt sich auch die Landeskonferenz der Rektoren und
       Präsidenten der Berliner Hochschulen (LKRP): Die Berliner Universitäten
       würden alles in ihrer Macht Stehende organisieren, um für die mehr als
       150.000 Studierenden in der Hauptstadt kontaktlose Formate zu entwickeln,
       Diese sollen möglichst ab dem 20. April eingesetzt werden. Für den Ausbau
       digitaler Lehr- und Prüfungsformate hat der Berliner Senat bereits
       zusätzliche 10 Millionen Euro springen lassen.
       
       Ob der digitale Aufbruch so schnell gelingen wird, daran haben viele
       Studierende und Lehrende ihre Zweifel. Und selbst bei einer
       funktionierenden digitalen Infrastruktur blieben zahlreiche Fragen und
       Probleme für die Angehörigen der Universitäten offen. Vor allem für
       diejenigen, die sich ihr Studium ohne Job nicht mehr leisten können. Fest
       steht: Dieses Semester wird ein besonderes.
       
       31 Mar 2020
       
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