# taz.de -- Studierende und ihre Handys: Aufmerksamkeitskiller Smartphone
       
       > Smartphones lenken ab, führen sogar zu schlechteren Leistungen. Dennoch
       > setzen Hochschulen vermehrt auf den Smartphone-Einsatz.
       
 (IMG) Bild: Onlinesein ist die kollektive Sucht der Digital Natives.
       
       Von dem Philosophen Karl Popper kann man immer etwas lernen. Dass die
       Philosophie Vorurteile berichtigen könne etwa oder dass die Sonne
       Lichtstrahlen krümmt. Popper, im Jahr 1974 bereits ein älterer Herr in
       grauem Pullover, steht von seinem Tischchen auf, um Einsteins
       Gravitationslehre an einem Klemmbrett zu illustrieren. Die Kamera zoomt auf
       die Skizze. In diesem Moment brummt bei den Zuschauern das Smartphone. Eine
       neue WhatsApp-Nachricht ist eingetroffen: „Schätze bitte, wie groß ich bin.
       Bitte nur in einer Zahl antworten, lange Antworten sind überflüssig.“
       
       594 Studierende erhielten die Nachricht an dieser oder anderer Stelle im
       Interview und haben deshalb möglicherweise einen entscheidenden Satz
       verpasst. Das sollten sie auch. Die Nachricht war eine gezielte Ablenkung
       von dem Film. Eines von insgesamt zwei Störmanövern, die die Probanden von
       fünf vorab ausgeteilten Fragen ablenken sollten.
       
       Die „Interventionsfragen“ sollten untersuchen, ob Smartphones im Hörsaal zu
       schlechteren Leistungen führen. „Ich glaube feststellen zu können, dass die
       Aufmerksamkeit der jungen Leute in den letzten Jahren massiv abgenommen
       hat“, sagt Joachim Riedl. Der Leiter des Studiengangs Marketing Management
       der Hochschule Hof hat das Experiment an verschiedenen Unis durchgeführt.
       
       Das Ergebnis: Selbst einfache WhatsApp-Unterhaltungen beeinträchtigen die
       Aufmerksamkeit der Studierenden derart, dass die Leistung im Schnitt
       wenigstens um ein Drittel schlechter ausfällt. Bei einem Teil der
       Studierenden wurde eine weitere Störung hinzugefügt. Die Werte
       verschlechtern sich im Vergleich zur restlichen Gruppe erneut deutlich.
       „Multitasking gibt es nicht. Sie können nur schnell hin- und herschalten.“
       
       ## Auch ein sinnvolles Rechercheinstrument
       
       In seinen Vorlesungen beobachtet Riedl seit Längerem, wie sehr sich
       Studierende von ihren Smartphones ablenken lassen. Früher wurden Zettel
       geschrieben und unauffällig unter der Bank weitergereicht. Heute surfen die
       StudentInnen dank Smartphone und WLAN im Netz, schreiben sich Nachrichten
       über soziale Netzwerke oder zocken Games – allein oder auch miteinander.
       „Wir schaffen es kaum mehr, die Aufmerksamkeit der jungen Leute für länger
       als fünf Minuten zu halten“, beklagt Riedl. „Danach sind sie sofort wieder
       bei ihren technischen Spielzeugen.“ Und damit meistens nicht mehr beim
       Vorlesungsstoff.
       
       Schon vor anderthalb Jahren haben Forscher der Universität des Saarlands
       festgestellt, dass Studierende ihre Smartphones am häufigsten für nicht
       vorlesungsrelevante Aktivitäten nutzen. Auch wenn das die Verfechter
       digitaler Lernhilfen, die in Smartphones die mündige Lösung für spontan
       aufkommende Fragen im Seminar sehen, nicht gerne hören: Smartphones werden
       in den meisten Fällen privat genutzt und eben nicht als Recherchetool für
       den gerade behandelten Stoff.
       
       „Das Ablenkungspotenzial ist mit den Smartphones sicher gegeben“, sagt
       Matthias Jaroch vom Deutschen Hochschulverband. Andererseits gebe es auch
       sinnvolle Anwendungen. Viele DozentInnen würden sie als gezielte Lernhilfe
       einsetzen. Etwa für Umfragen in der Vorlesung oder wie bei der von der
       Universität Freiburg entwickelten App „Smile“. Ist ein Professor zu schnell
       oder zu langsam, können die Studierenden ihm während der Vorlesung Feedback
       auf das Smartphone schicken – ohne sich per Meldung outen zu müssen.
       
       Man mag das als Spielerei sehen – Fakt ist: Das Smartphone ist nicht mehr
       aus dem Hörsaal wegzudenken. Ein landesweites Smartphone-Verbot wie in den
       Hörsälen der TU Deggendorf wird es nicht geben. Im Gegenteil: Die
       Universitäten setzen auf dessen Einsatz.
       
       ## Informatiker sind die Ausnahme
       
       Eigene Campus-Apps gehören mittlerweile zum Service-Standard. Die
       Studierenden können sie kostenlos über den Apple-Store herunterladen und
       dann Mensaspeisepläne, Kursbeschreibungen oder Busabfahrtzeiten ihrer Uni
       einsehen. An der Universität Mannheim kann man die Bibliotheksbestände am
       Smartphone durchsuchen. An der Bergischen Universität Wuppertal zeigt die
       App freie Lernräume an. Und für die Campus-App der Universität Bremen hat
       der Entwickler sogar die Aushänge des Schwarzen Bretts berücksichtigt.
       Möglich, dass die Smartphones bald die Computerräume überflüssig machen.
       
       „Die Generation Studierender, die heute an die Universitäten kommen, sind
       alle Digital Natives“, sagt Jaroch vom Deutschen Hochschulverband. Die
       meisten hätten Smartphones. Aber man müsse auch die im Blick haben, die
       keines besäßen. „Da muss man vorsichtig sein, dass man niemand abhängt.“
       Experimentleiter Riedl hält für bedenklicher, dass sie ständig auf ihr
       Handy blicken müssen: „Sie können gar nicht mehr anders. Das ständige
       Onlinesein ist eine Sucht.“ Damit konfrontiert er seine Studentinnen und
       Studenten auch in der Vorlesung. Wer das Gerät nicht freiwillig wegpackt,
       müsse aufstehen und sagen: „Ich bin Klaus und ich bin süchtig.“ Die
       Nachricht verstehen die Studierenden sofort.
       
       Mit einem Klischee hat Riedls Experiment ganz nebenbei aufgeräumt: dass
       Frauen multitaskingfähiger seien als Männer. Frauen ließen sich ebenso
       stark wie die männlichen Probanden ablenken. Wirklich überrascht hat Riedl
       nur ein Befund: Informatiker können dem Seminar folgen – und gleichzeitig
       auf dem Smartphone herumtippen. Damit sind sie jedoch die Ausnahme.
       
       25 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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